Mit Dampf das Wassertal hinauf

von Markus Gärtner

"Abfahrt 8:30 Uhr" steht mit Kreide geschrieben auf der kleinen Tafel am Bahnhofsgebäude in Viseu de Sus. 8:20 Uhr erreichen wir den Bahnhof mit dem Auto, natürlich nicht ganz übereinstimmend mit unseren Planungen vom Vortag. Vor dem Bahnwärterhaus der Schmalspurbahn warten schon über 40 Reisende. Noch ist der Zug nicht eingefahren, so bleibt uns noch genügend Zeit, in Ruhe die Fahrkarte zu erwerben, einen Kaffee zu trinken und kurz in das Haus "Elefant" hineinzuschauen. Michael Schneeberger, der Präsident des Vereins Wassertalbahn/Rumänien, hat das Haus des letzten in Viseu de Sus lebenden Juden umsetzen und auf dem Bahnhofsgelände neu aufbauen lassen. Treffend zum Familiennamen des Juden "Elefant" trägt nun auch das Haus diesen Namen. Es ist recht kühl und über dem Tal ziehen Wolken hinweg und machen so die Hoffnung auf Sonnenschein und wärmere Temperaturen zunichte. Jedoch hat das Warten in der Kälte nach kurzer Zeit ein Ende, da die Dampflok mit 3 Personenwagen einfährt. Bis zum Einsteigen vergeht noch etwas Zeit, da vorher noch die Reihenfolge der Waggons durch Rangieren geändert wird. Vor den Augen des Publikums fährt die Dampflok mit den Waggons einige Male recht zügig hin und her. Ebenso zügig sind auch die Plätze in den 3 Waggons besetzt und die Bahn setzt sich mit einem fast umwerfenden Ruck in Bewegung.
Bis der Bahnhof hinter uns liegt hat der Lokomotivführer die Bahn einmal angehalten, zurückgesetzt, um einen mit Holz beladenden Wagen anzukoppeln und 50 m später noch mal angehalten. Neben einer alten Dame "springen" bei diesem erneuten Stopp auch andere Einheimische auf. Nach 5 min verringert sich unser Tempo und der Zug hält an, jedoch nur kurz, um den Waggon mit dem Holz zurück zu lassen. Geschätzt nach 3 km hält der Zug erneut und zusätzlich zur alten Dame steigen mit ihr auch die restlichen Touristen aus. Nicht um irgend etwas fotografieren zu können hält der Zug, sondern um die Meute auf den letzten Laden bis zur Endstation einstürmen zulassen. Nicht jeder hat sich vorher für eine 3-4stündige Fahrt ausreichend mit Getränken und Essen eingedeckt. Bis sich der kleine Zug eine halbe Stunde später wieder in Bewegung setzt, bleibt noch etwas Zeit um die kleine Siedlung etwas näher in Augenschein zu nehmen oder die Gleise näher zu betrachten. Auf starken Holzbohlen sind die Schienen mit großen Nägeln eingeklemmt, so dass die Schienen oder Holzbohlen im Eiltempo gewechselt und neu verlegt werden können. Das ganze erinnert etwas an eine Spielzeug- bzw. Parkeisenbahn. Langsam zeigt sich auch öfters die Sonne auf den gegenüberliegenden Berghängen und es wird noch einiges an Fahrstrecke zurückgelegt werden müssen bis sie auch das Tal erreichen wird. Nach 15 km folgt der nächste Halt am Haus des Försters. Diesen bekommt jedoch heute keiner zu Gesicht. Nur die Pilze, welche der Zugführer in seinem Hut von Weitem anbringt, und schon geht die Fahrt weiter. Obwohl die letzten größeren Häusersiedlungen schon längst zurück liegen, tauchen hin und wieder einzelne Häuser auf, die sich oft an den Holzlagerplätzen befinden. In diesen Häusern wohnen die Woche über die Waldarbeiter, welche über das Wochenende mit der Wassertalbahn zurück nach Hause fahren.
Obwohl noch einige der Mitfahrer am Ende des Waggons auf der Einstiegsplattform stehen, kehrt langsam etwas Ruhe ein. Einige der Touristen haben sich schon der 2. Bierflasche gewidmet während andere zu ihrem Frühstück die gemächlich vorbeiziehende Landschaft genießen. Obwohl die Wassertalbahn von Viseu de Sus in Europa sich einer großen Bekanntheit erfreut, sind heute nur eine Handvoll ausländischer Fahrgäste mit von der Partie. Neben einer rumänischen Schulklasse sind auch 2 Familien mit dabei.
Bis vor knapp 80 Jahren wurden die Baumstämme noch dem Fluss hinunter geflößt. Da die "Vaser" dafür aber zu wenig Wasser führt, wurde im oberen Teil des Tales ein Wehr errichtet. Durch Öffnen des Wehres wurde eine künstliche Flut geschaffen, auf welcher die Baumstämme nach Viseu de Sus geflößt wurden. Ab 1932 übernahm die Wassertalbahn diese Aufgabe. Früher waren auf dieser Strecke nur Dampflokomotiven unterwegs, heute werden sie nur in Notfällen eingesetzt bzw. um die Heerscharen von Touristen zu befördern. Für den Produktionseinsatz fahren heute vermehrt Diesellokomotiven das Tal hinauf. Zum Abend hin, wenn die Lok mit 10-20 beladenen Waggons zurück zum Sägewerk fährt, rollen die Wagen fast von ganz allein. Um das aber in einem zu hohen Maße zu verhindern, fährt auf jeden Waggon ein Bremser mit. Die Bremser stehen auf kleinen Plattformen und auf ein Signal des Zugführers hin bremst jeder seinen Waggon etwas ab.

Selbst wenn die geringe Steigung für den Fahrgast kaum spürbar ist, muss die Dampflok auf dem Weg nach oben mit Wasser "betankt" werden. Der Holzvorrat hingegen reicht vollkommen aus. So folgt heute bei km 21,9 kurz vor einer kleinen Brücke der nächste Stopp. Noch ist der Grund der Pause unklar, aber auch nicht jeder interessiert sich dafür. Einige verschwinden in die nahen Büsche, andere laufen zur Vaser hinüber. Der Lokomotivführer jedoch verlegt einen seitlich an der Lok befestigten Wasserschlauch in den kleinen Bach, um die beiden großen Wasserbehälter aufzufüllen. Bis das Pfeifsignal zur Abfahrt kommt, dauert es etwa 30 min. Bis dahin klettert das Zugpersonal des Öfteren über die Lok, um an irgendwelchen Hebeln zu rütteln oder an den Wasserbehältern zu klopfen. 3000 l würden reinpassen erzählt der Schaffner. Eine große Zahl der Touristen läßt sich mit einem der Lokomotivführer fotografieren. Andere versuchen, technische Details zu erhaschen oder zwanghaft ihre Alkoholflasche an die 3 Männer des Zugpersonals zu bekommen. Ein Kind darf sogar in den Führerstand und die Signalpfeife ertönen lassen.
Am Wegesrand tauchen immer wieder einige Häuser auf, Häuser welche nicht nur von den Waldarbeitern bewohnt werden. Es folgt ein sehr enger Talabschnitt, in dem die Schienen durch 3 Tunnels führen. Natürlich ist auch dies eine Herausforderung für jeden Fotoapparat im Waggon. Die Sonne hat den Zug schon fast in ihrer Gewalt als ein kleiner Bahnhof in Sichtweite kommt und der Zug dort zum Stehen kommt. Etwa 5 min Pause, in der es vergebliche Kommunikationsversuche über verschiedene Funkgeräte mit dem nachfolgenden Zug gibt. Kurz nach Verlassen des Bahnhofes und der Passierung einer Weiche fängt unser Waggon an zu knattern und zu ruckeln. Der Zug kommt zum Stehen und sofort springen sämtliche Fotografen nach draußen, um den Grund des Ganzen festzustellen und natürlich zu verewigen. Ein Achsenpaar des vorderen Drehgestells unseres Waggons ist aus den Schienen gesprungen.
Für das Zugpersonal gehört dies zu den alltäglichen Vorkommnissen. Man sieht schnell, dass sämtliche Werkzeuge für solche kleinen Unfälle ständig mitgeführt werden. Auch den sicherlich etwas nervigen Hinweisen der Zuschauer scheinen sie gelassen gegenüber zu stehen. Aber schließlich ist ja jeder an einem schnellen Vorwärtskommen interessiert. Denn obwohl die Sonne scheint, liegen die Temperaturen scheinbar recht nahe am Gefrierpunkt. Nach einigem Hin- und Herfahren und dem Unterlegen zweier Metallplatten in V-Form geht die Fahrt nach 20min weiter.
Etwa 12:15 Uhr hält der Zug das nächste Mal. Der Kilometerstein zeigt 31,3 km und nicht jedem ist klar, dass es sich heute um die Endstation für die Touristen handelt. Schließlich beträgt die gesamte Streckenlänge etwa 60 km. Einige der weiter unten abzweigenden Streckenabschnitte werden jedoch nur noch selten befahren und für die Touristenzüge ist bei Faina Schluss. "Eine Stunde Pause und 13.30 Uhr ist die Rückfahrt", ruft der Schaffner, was jedoch in dem Gewühl von Leuten etwas untergeht. Auf dem Nachbargleis zur rechten kommt eine Diesellokomotive langsam entgegen und hält auf gleicher Höhe. Im Schlepptau hat sie einen Personenwaggon für die Holzfäller und einige Waggons mit Holz. Die Station hier wird Faina genannt. Früher, unter den deutschsprachigen Zipsern, trug sie den Namen Feinen. Auch viele andere Bahnstationen im Tal haben einen rumänischen und deutschen Namen. Hier in Faina gab es früher ein Wehr, mit dem Strom erzeugt wurde. Dieses Wehr war es auch, an welchem das Wasser für die Flößerei gestaut wurde. Lange bevor die ersten Baumstämme mit der Wassertalbahn abtransportiert wurden, blieben die Holzarbeiter oft 3-4 Wochen in den Wäldern um ihre Arbeit zu tun. Wohl aus diesem Grund wurde in Faina auch eine kleine Kapelle errichtet. Etwa 200 m die Bahnschienen hinauf ist heute ein Magazin Mixt zu finden. Beim Warten in der Schlange hinter der Schulklasse geht die knappe Stunde recht schnell vorbei. Nicht auszudenken, wie es in der Hauptsaison im Sommer mit 200 Fahrgästen pro Tag ist. Vor dem Laden stehen 2 rumänische Grenzpolizisten. Dies ist hier nicht verwunderlich, schließlich sind es nur 10-15 km bis zur ukrainischen Grenze. Wer hier oben etwas länger bleiben möchte, kann sich eine der kleinen Holzhütten auf der anderen Flussseite mieten.
Wie zu Beginn der Fahrt werden die letzten Vorbereitungen, sprich das Umrangieren, vor dem Publikum durchgeführt. Mit viel Dampf und unter den strengen Augen der Zuschauer wird die Lokomotive entgegen der Fahrtrichtung an das andere Ende der 3 Waggons angekoppelt. Noch ist etwas Zeit für die letzten Fotos, ehe das weithin hörbare Signal zur Abfahrt ertönt. Auf der recht schnellen Rückfahrt hält der Zug nur einmal, als einige der Touristen eine Pinkelpause erbitten. An einigen markanten Punkten wird jedoch das Tempo verringert, damit die Waldarbeiter aufspringen und mit zurück nach Viseu de Sus fahren können.

Nachtrag:

Im Sommer 2008 zerstörte ein verheerendes Hochwasser weite Teile der Eisenbahnstrecke.
Informationen dazu hier: Hochwasser Valea Vaserului

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