Heu - das Lebenselexier


Text und Recherche: Nina May
Fotos Gudrun Pauksch

Clip
Der rumänische Heukreislauf
Für Rumänien soll­te man ein Bi­bel­zi­tat um­schrei­ben, auf dass es von al­len Kan­zeln schal­le: „Aus dem Heu sind wir ge­kom­men, und im Heu wer­den wir en­den“. Ein kräf­ti­ges Hal­le­lu­ja auf den Kreis­lauf der Na­tur, in den sich der klei­ne Ru­mä­ne mit dem ers­ten Schluck Milch und dem ers­ten Löf­fel­chen „Cior­bi­ta de va­cu­ta“ (Rind­süpp­chen) ein­klinkt, um ihn Zeit sei­nes Le­bens nie wie­der zu ver­las­sen - und selbst da­nach nicht, weil das Gras am Fried­hof be­son­ders fett wächst und auch dort ge­mäht wer­den muss. Mein per­sön­li­cher Aha-Ef­fekt nach ei­nem Jahr Land­le­ben lau­tet:
Heu ist Leben!
Heu
Clip
Es lebe der Heukreislauf!
Heu
Heu
Heu bedeutet Le­ben für Kuh und Schaf als Milch- und Fleisch­pro­du­zent au­tar­ker Selbst­ver­sor­ger­hö­fe - die durch­wegs üb­li­che Le­bens­form hier auf dem Lan­de. Nur so kann man sich er­klä­ren, wa­rum ab­ge­pack­te Le­bens­mit­tel in ru­mä­ni­schen Su­per­märk­ten teu­rer sind als in Deutsch­land, oh­ne dass in dem ar­men Land die Re­vo­lu­tion er­neut aus­bricht, denn au­ßer den Städ­tern kauft sie nie­mand. Selbst letz­te­re er­freu­en sich oft ei­ner frei­gie­bi­gen Ver­wandt­schaft auf dem Lan­de, die ih­ren Lie­ben Kar­tof­feln, Ei­er und Schwei­ne­speck zu­kom­men läßt. Al­les, was der Mensch auf dem Dorf für sich und sei­ne Fa­mi­lie zum Le­ben be­nö­tigt, ent­stammt in der Re­gel dem ei­ge­nen Feld, Gar­ten, Haus und Hof. So ist je­der Dörf­ler per se Bau­er - der ei­ne in klei­ne­rem Stil für die ei­ge­ne Sip­pe, der an­de­re ver­kauft Über­schüs­se auf dem Markt oder am Stra­ßen­rand an vor­bei­fah­ren­de Rei­sen­de. Für den Win­ter wird ein­ge­macht, ein­ge­kel­lert, ge­trock­net und ein­ge­sal­zen was das Zeug hält. Die Haus­frau fer­men­tiert ih­ren Kä­se selbst, der mit Salz in ei­nem Faß den Win­ter über­steht. Die übri­ge Milch lan­det mit Brot oder Kleie ver­mischt im Bauch der Kat­ze, im Napf des Hof­hun­des oder im Schwei­ne­trog, zu­sam­men mit ge­koch­ten Kar­tof­feln und Es­sens­res­ten. Ein Fest­mahl für das Schwein und ei­ne schlaue In­ves­ti­tion des Bau­ern in sei­nen ei­ge­nen Weih­nachts­schmaus.
Heu
Heu
Heu ist Leben für Pferd, Och­se und Esel, die sich ihr Da­sein als Arbeits­tie­re hart ver­die­nen müs­sen, in­dem sie pflü­gen, ackern und Fuhr­wer­ke zie­hen. Ro­man­tisch mu­tet der An­blick der turm­hoch be­la­de­nen Heu­wa­gen an, die im Som­mer ge­mäch­lich die Stra­ße ent­lang­zu­ckeln und mit ih­rer La­dung fast zwei Spu­ren be­le­gen. Die vie­le Ar­beit sieht man dem hoch oben auf dem Ju­chuu thro­nen­den Jun­gen dann nicht mehr an, sein strah­len­des Ge­sicht ver­rät ver­mut­lich Vor­freu­de auf ei­ne damp­fen­de Kar­tof­fel­sup­pe und ein wei­ches Bett. Oder sieht die Welt von da oben ein­fach schö­ner aus? Wie ger­ne wür­de ich es ein­mal aus­pro­bie­ren! Und noch ei­nen heim­li­chen Wunsch muss ich hier ein­ge­ste­hen: ein­mal im Le­ben in ei­nen rie­si­gen Heu­hau­fen sprin­gen! Sei still, du un­ge­stü­mes in­ne­res Kind, man kann nicht al­les ha­ben...
Clip
Heu
Heu
Heu
Stolze Heumännchen in al­len For­men und Grö­ßen säu­men ein­sa­me Land­stra­ßen, die sich durch sanf­te Hü­gel win­den oder in en­gen Berg­tä­lern am Fluss ent­lang schlän­geln. Sie ha­ben oben lus­ti­ge Zip­fel­chen, oft auch klei­ne Dä­cher aus Fo­lie oder Blech, da­mit das Re­gen­was­ser seit­lich bes­ser ab­tropft. Man muss sie ein­zäu­nen oder in schwin­deln­den Hö­hen müh­sam auf ei­nem Baum auf­tür­men, da­mit ih­nen ge­frä­ßi­ge frei­lau­fen­de Haus­tie­re nicht vor­zei­tig zu­set­zen.
Heu
Wenn das Heu hingegen in ei­nem Heu­scho­ber oder ei­ner Scheu­ne ge­la­gert wird, ist Tro­cken­heit obers­tes Ge­bot. Dies nicht nur, da­mit das kost­ba­re Fut­ter nicht ver­dirbt, son­dern auch we­gen der Ge­fahr der Selbst­ent­zün­dung, da beim Fäul­nis­pro­zeß Hit­ze frei­ge­setzt wird. Heu­scho­ber ste­hen da­her meist mit ih­ren höl­zer­nen Fü­ßen auf di­cken Wa­cker­stei­nen, da­mit sie sich nicht von un­ten mit Was­ser an­sau­fen.
Heu
Gemäht wird hier fast über­all noch mit der Sen­se, vor al­lem aber in den Berg­re­gio­nen, so­wie bei Som­mer­hit­ze mit­ten am Tag, da­mit das Heu auch wirk­lich schön tro­cken ist. Ein Kno­chen­job, doch der Sen­sen­mann bei uns im Dorf ver­langt da­für nur 5 Lei pro Stun­de, das ist ein biß­chen mehr als ein Eu­ro. Lu­zer­ne hin­ge­gen muss man mor­gens mä­hen, denn wenn sie nicht feucht ist, fal­len die zar­ten, nahr­haf­ten Blätt­chen ab. Wer sich schon ge­wun­dert hat, wa­rum man man­cher­orts al­le paar Me­ter ab­ge­mäh­te Wie­sen­fle­cken fin­det, wäh­rend rings­um ho­hes Gras steht, hier die Er­klä­rung, die mir ein Mä­her ge­ge­ben hat. Wenn man die gan­ze Wie­se auf ein­mal schnei­det, ist das Gras da­nach für län­ge­re Zeit zu kurz zum mä­hen. Des­we­gen be­wahrt man stets Por­tio­nen mit län­ge­rem Gras, die spä­ter ge­mäht wer­den kön­nen, wäh­rend das kur­ze in Ru­he nach­wächst. Die Me­tho­de emp­fiehlt sich, wenn man fri­sches Gras als Fut­ter be­nö­tigt, an­statt Heu zu ma­chen.
Clip
Heu
Heu
Heu
Doch nach dem Mähen ist die Ar­beit noch lan­ge nicht ge­tan. Je nach­dem für wel­ches Tier das Heu oder Gras als Fut­ter be­stimmt ist, müs­sen be­stimm­te Kräu­ter so­wie Dis­teln mit gro­ben Dor­nen aus­sor­tiert wer­den. Pfer­de und Kü­he be­kom­men von ge­wis­sen Pflan­zen Durch­fall, z.B. von Schach­tel­halm, oder sie ver­let­zen sich das zar­te Maul an den Sta­cheln der Dis­teln.
Heu
Heu hält bei richtiger La­ge­rung et­wa 2-3 Jah­re lang, wo­bei man eher das fri­sche ver­füt­tert und das al­te als Ein­streu ver­wen­det. Je nach­dem, wo man mäht, fällt Heu in ver­schie­de­nen Qua­li­tä­ten an, so­dass auch Wi­der­käu­er Un­ter­schie­de zwi­schen „Fest­es­sen“ und „Haus­manns­kost“ ken­nen. Wenn das deut­sche Heil­mit­tel­ge­setz in Ru­mä­nien gül­tig wä­re, dann müss­te man ru­mä­ni­sches Heu in klei­nen Do­sen in der Apo­the­ke kau­fen, denn es ent­hält noch ei­ne un­be­schreib­li­che Fül­le an Blu­men und Heil­kräu­tern, wie z.B. wil­de Min­ze, Scharf­gar­be, Jo­han­nis­kraut, Stein­klee, Spitz­we­ge­rich, En­zian, Ar­ni­ka, wil­der Thy­mian, Schach­tel­halm und vie­les mehr. Die­se Ar­ten­viel­falt kann nur ent­ste­hen, weil die Wie­sen nicht künst­lich ge­düngt sind und meist nur ein­mal im Jahr ge­mäht wer­den. Ge­heim­tipp: fast al­les, was hier blüht, eig­net sich zum Auf­brü­hen als Tee, von Heu­bä­dern erst gar nicht zu spre­chen. Kü­he auf­ge­passt, jetzt müsst ihr se­hen, wo ihr bleibt!
Heu
Rinder sind beim Fres­sen übri­gens we­ni­ger g‘schle­ckig als Pfer­de. Sie zie­hen sich gna­den­los al­les rein, was ih­nen auf den Tel­ler – äh – vor die Fü­ße ge­rät. Ich muss­te mal ei­ner dumm-ge­frä­ßi­gen Kuh mit Ge­walt ei­ne Plas­tik­fo­lie aus dem Maul reis­sen, denn wer weiss, ob die je­mals wie­der­ge­kom­men wä­re (wir brauch­ten so­wohl die Fo­lie als auch die Kuh noch...). Das hin­te­re En­de der Fo­lie muss schon recht weit vor­ge­drun­gen sein, denn es war halb an­ge­daut, wäh­rend das Vieh noch ge­dul­dig auf dem vor­de­ren En­de he­rum­kau­te. Wä­re die Fo­lie län­ger ge­we­sen, hät­te man sich über­le­gen kön­nen, ob man sie bes­ser vor­ne oder hin­ten he­raus­zieht... Ob sich auf die­se Wei­se meh­re­re Kü­he „auf­fä­deln“ lie­ßen? Ei­ne an­de­re Kuh frass ge­nüß­lich kra­chend ver­dor­be­ne Ei­er mit­samt Scha­le, die wir auf die Wie­se ge­schmis­­sen hat­ten. Der bes­tia­li­sche Ge­stank stör­te sie nicht im ge­rings­ten. Ich weiss nicht, wo­für Kü­he die­se rie­si­gen Na­sen ha­ben – oder ist das ein gut ge­tarn­tes zwei­tes Klein­hirn?
Heu
Dafür sind Pferde ent­schie­den ver­fres­se­ner als Kü­he: in ei­nem Win­ter ver­til­gen sie vier von die­sen gi­gan­ti­schen Heu­wa­gen­la­dun­gen, Kü­he je­doch nur zwei. Wa­rum das? Nun, Pfer­de ge­hen auch nachts „an den Kühl­schrank“, wäh­rend Kü­he nach dem Sand­männ­chen brav schla­fen, so wie sich das ge­hört. Zu­tiefst un­ge­recht ist, dass Rin­der trotz­dem di­cker sind...
Clip
Kühe sind meine Lieb­lings­tie­re, seit ich mich die­sen Som­mer un­frei­wil­lig als Hir­te pro­fi­lie­ren muss­te: Mei­ne Freun­din Ers­zi und ich kehr­ten nach ei­ner Wan­de­rung zu ih­rer Berg­hüt­te zu­rück und be­merk­ten, dass et­wa 20 Kü­he in den Gar­ten ein­ge­bro­chen wa­ren. Ers­zi schloss die Hüt­te auf, dreh­te sich zu mir um und mein­te bei­läu­fig: „Ich geh in die Kü­che, treib du doch bit­te in­zwi­schen die Kü­he raus“, und weg war sie. Es be­gann schon zu däm­mern und wir woll­ten im Gar­ten gril­len. Na­ja, ich ging al­so auf die Ein­dring­lin­ge zu und bau­te mich hin­ter dem erst­bes­ten Rind­viech auf - aber wie sagt man zu ei­ner Kuh, wenn man sie an­trei­ben will? „Hüüh“ ist doch eher für ein Pferd ge­dacht. „Hal­lo“ wirkt viel­leicht zu jo­vi­al, „Heu­re­ka“ klingt über­trie­ben in­tel­lek­tu­ell und „Hur­ra“ wä­re al­len­falls nach dem er­folg­rei­chen He­raus­trei­ben der Rind­vie­cher an­ge­bracht. Al­so brüll­te ich zu Ers­zi rein: „Wie spricht man bei euch Kü­he an?“ Aus der Hüt­te er­tön­te post­wen­dend ein laut­star­kes „Nje­hoo-njäääh“! Ob das un­ga­risch ist? Egal, ich schnapp­te mir ei­nen Stock und be­zog er­neut hin­ter der Kuh Stel­lung. Et­was ver­schämt rief ich lei­se: „nje­hoo-njäääh!“ Ob sie wohl mei­nen aus­län­di­schen Ak­zent ver­steht? Hof­fent­lich hört mich sonst kei­ner. Die Kuh schien mich je­doch ver­stan­den zu ha­ben, denn sie trab­te brav vor mir her bis zum Gat­ter. Es folg­te die nächs­te, dann noch ei­ne und noch ei­ne, ich stolz grin­send hin­ter­drein, mit im­mer selbst­be­wuss­te­rer Stim­me und eif­rig den Stock schwin­gend. Welch tol­les Er­folgs­er­leb­nis! In fünf Mi­nu­ten wa­ren 20 Kü­he eva­ku­iert und wir konn­ten ir­gend­wo zwi­schen den Kuh­fla­den den Grill auf­bau­en. Mein Fa­zit: Kü­he sind su­per! Zu­dem kann ich jetzt ei­ne Fremd­spa­che mehr: Kuhsch.
Heu
Gelegentlich beobachtet man in Ru­mä­nien Leu­te, die ihr Haus­rind an der Lei­ne Gas­si füh­ren, im­mer die Stra­ße auf und ab. Ko­misch, dach­te ich an­fangs, ob der Ar­me kei­nen Hund hat, der ihn be­glei­ten könn­te? Oder woll­te er zu­hau­se kei­ne Kuh­häuf­chen weg­put­zen? Ging es ihm viel­leicht da­rum, den vor­bei­fah­ren­den Au­tos stolz sein präch­ti­ges Va­cu­ta (Rind­chen) vor­zu­füh­ren? Al­les falsch ge­ra­ten. Es gibt lei­der auch Men­schen, die kein oder zu we­nig ei­ge­nes Wei­de­land be­sit­zen und ihr Tier auf öf­fent­li­chen We­ges­rän­dern gra­sen las­sen müs­sen, um ein biß­chen Milch zu er­hal­ten. Im Som­mer mäht der Mann den Stra­ßen­rand dann säu­ber­lich mit der Sen­se, da­mit die Kuh auch im Win­ter zu fres­sen be­kommt. Über Blei­be­las­tung in der Milch macht er sich mit Si­cher­heit kei­ne Ge­dan­ken. „Mir geht’s doch gut und ich ma­che das schon im­mer“, ent­geg­nen mir Ru­mä­nen stets arg­los, wenn ich sie vor­sich­tig über sol­che Din­ge auf­zu­klä­ren ver­su­che - z.B. dass das hier üb­li­che Ver­bren­nen von Plas­tik­fla­schen und -tü­ten ge­fähr­li­che Dio­xi­ne frei­setzt. Nicht ein­mal der Bür­ger­meis­ter hat­te Ver­ständ­nis für mei­nen Wunsch, die as­best­hal­ti­gen Eter­nit­stü­cke, die ich von mei­nem Vor­dach ent­fernt hat­te, ord­nungs­ge­mäß zu ent­sor­gen. Ru­mä­nien ist halt Ru­mä­nien, mit all sei­nen De­fi­zi­ten und Vor­zü­gen. Ein in­ten­si­ves Land, das ei­nen täg­lich auf die ein oder an­de­re Wei­se zum Nach­den­ken an­regt...
Heu
Auf dem Lande le­bend merkst du bald: Du bist hier Teil der Na­tur – oder Teil des Heu­kreis­laufs - und du weißt wie­der, wo­her die Din­ge kom­men. Der ba­na­le Mar­ken­schmelz­kä­se mit dem gold­be­schich­te­ten Glanz­pa­pier er­scheint dir dann wie ein High Tech Pro­dukt aus ei­ner fer­nen Welt. Die Papp­schach­tel kann man im Ofen ver­hei­zen, aber das Gold­pa­pier flat­tert durch die Land­schaft und bleibt im Ge­äst ir­gend ei­nes Strau­ches hän­gen. Wie so vie­les, was kein Mensch braucht...
Heu
Heu
Aber was braucht der Mensch wirk­lich? Ein klei­nes Häus­chen und ein Fleck­chen ei­ge­nes Land: Men­schen­wür­de, die man in den Wohn­blocks der Stadt nicht fin­det - nicht hier und nicht in Deutsch­land. Wie­sen, Bäu­me und freie Na­tur.
Clip
Heu
Und auf jeden Fall gaaanz viel duftendes, trockenes Heu!
Clip
Zurück-Button