Dorf + Berg = Bergdorf ... Poiana Marului und Holbav
Wilhelm Scherz /
www.karpatenwilli.com
Im Oktober 2008 lockte es mich wieder einmal in die rumänischen Karpaten. Reinweg von der Planung her wollte ich für diese Jahreszeit keine alpine Bergregion bewandern, sondern - dem "goldenen Oktober" entsprechend - eher ein bewaldetes Gebirge. Meine Wahl fiel dabei auf die Muntii Persani, angeregt durch meinen rumänischen Freund Dan Nedelea, der mich auf dieses schöne Land schon vor Jahren aufmerksam machte.
Mein erster Zeltplatz ÜBER, oder sagen wir besser IN Poiana Marului, nahe Vf. Dosu Plesitei. Der Blick gen Nord/
Nordost zeigt ein weit verzweigtes Hügelland, dessen Höhen meist zwischen 900 - 950 m betragen. In der Ferne (Bildmitte) erkennt man ganz schwach den alles überragenden Vf. Magura Codlei (1292 m). Bis dorthin zieht sich ein weit verzweigtes Netz isolierter kleiner Höfe der beiden Gemeinden Poiana Marului und Holbav.
Blick von den südlichen Höhen der Gemeinde Poiana Marului auf die von Wolken verhüllte Piatra Craiului. Bei klarer Sicht hat man von hier aus wunderschöne Ausblicke auf die Piatra Craiului und die Muntii Fagaras, sowie auf das malerische Tal der Barsa Grosetului, wo alljährlich viele Wanderer mit Forstfahrzeugen in Richtung Cabana Plaiu Foii trampen, um dort in das Fagaras-Gebirge einzusteigen. Hier oben auf dem Bergkamm zwischen dem Vf. Gongu und Vf. Dosu Plesitei, vereinen sich die Wildnis des Nationalparkes Piatra Craiului mit dem bergbäuerlichen Land der Muntii Persani, ein traumhafter Kontrast zweier ganz unterschiedlicher Landschaften!
Die flache Kuppe des Vf. Dosu Plesitei/ 1088 m (rechts im Bild). Lohnenswert ist der Aufstieg aus dem Tal der Barsa Grosetului. Der Aufstieg zwischen 200-300 Höhenmeter ist relativ kurz und in ein bis zwei Stunden leicht zu schaffen. Hier oben zwischen den Gipfeln Dosu Plesitei und Vf. Gongu finden sich wunderschöne Zeltplätze. Wasser kann man von den nahen Höfen oder einer der hoch gelegenen Quellen holen. Hat man am späten Vormittag das Zelt aufgeschlagen, so bleibt viel Zeit, die südwestlichen Abschnitte von Poiana Marului in aller Ruhe zu begehen - nette Begegnungen mit den hier lebenden Bergbauern inbegriffen!
Morgenstimmung über Poiana Marului. In der Ferne ist der Vf. Magura Codlei / 1292 m (links im Bild) zu dieser Tageszeit noch gut zu erkennen. Wie schon erwähnt, bei dieser Landschaft handelt es sich nicht um ein weitläufiges Waldgebiet, sondern um die großflächigen Streudörfer Poiana Marului und Holbav. Unten im Tal, in dem noch ein leichter Nebelschleier ist, befindet sich das Ortszentrum von Poiana Marului. Eine Wanderung bis hinüber zum Vf. Magura Codlei ist mit kleinem Gepäck und schnellen Fußes in zwei Tagen machbar. Schöner ist es natürlich, mehr Zeit einzuplanen, um auch entlegende Winkel dieser schönen Gebirgsgegend besichtigen zu können.
Blick ins Detail: Oft befinden sich die kleinen Höfe malerisch gelegen auf einer Bergkuppe. Solche Motive findet man in den transsilvanischen Niederungen natürlich nicht! Die hier lebenden Bergbauern sind allesamt Rumänen und die Gründe für diese historisch gewachsene und über Jahrhunderte beständige autarke Lebenskultur sind sicher vielschichtig. Einerseits entsprach dieses Gelände durchaus den Bergbauern, die vorrangig von der Viehzucht lebten. Weiterhin gibt es immer wieder historische Hinweise darauf, dass die Rumänen aus den transsilvanischen Niederungen von den damaligen ungarischen Machthabern oder Kolonisten anderer Nationalität über Jahrhunderte verdrängt wurden. Zur Situation der Rumänen schreibt Balthasar Hacquet auf seiner Karpatenreise im Jahr 1789: "... Die Einwohner waren meistens Wallachen ... Diesem vernachlässigten und gedruckten Volk, ist auch hier, so wie im ganzen Lande, der schlechteste Boden zu Theil geworden. Nicht genug, daß man sie, der Himmel weis mit was für einem Recht, gegen die übrigen Einwohner dieses Fürstenthums, nur auf wüste und öde Plätze, verbannt hat, sondern man hat auch ihre mit vielem Schweiß zu dem benöthigten Mays urbar gemachte Gegenden, sobald es nur einen Ungarn oder Sachsen einfiel, sich derselben zu bemächtigen, ihnen wieder, wiewohl nach hundertjährigen Besitz, entrissen, und die ausgetriebene Familie, nach den gebirgichten Gegenden verwiesen, ..." Zitat aus "DIE KARPATEN / Balthasar Hacquet und das "vergessene" Gebirge" / Studien-Verlag / ISBN 3-7065-1952-6".
Das Ortszentrum von Poiana Marului. Hier befindet sich die orthodoxe Kirche "Biserica Sf. Ioan Botezatorul" aus dem XVIII. Jahrhundert. Die Kirche ist eine Stiftung des Voievodul Constantin Brancoveanu aus dem Jahr 1707. Die sich über 9450 ha erstreckende Gemeinde hat heute ca. 3400 Einwohner. Poiana Marului ist ca. 30 km von Brasov und 45 km von Fagaras entfernt. Um 1589 gehörte das Dorf Poiana Marului zum Distrikt Fagaras, im Jahr 1925 kam das Dorf dann unter Verwaltung des Distriktes Brasov. ... Im Oktober jeden Jahres gibt es hier ein großes Volksfest (Targ de Toamna la Poiana Marului).
Weitermarsch vom Ortszentrum Poiana Marului in den nordöstlichen Abschnitt der Gemeinde und Rückblick auf die alles überragende Piatra Craiului. Davor befindet sich der Bergkamm zwischen den Gipfeln Dosu Plesitei und Vf. Gongu.
Blick gen Südost auf das ferne Masivul Bucegi. Während der Wanderung bis hinüber zum Vf. Hoapecu (980 m), wo in etwa die Grenze zwischen den beiden Gemeinden Poiana Marului und Holbav liegt, eröffnen sich zahlreiche Weitblicke auf beinahe alle Gebirgsabschnitte des Inneren Karpatenbogens - ein wirkliches Charakteristikum dieses Abschnittes der Muntii Persani!
Auf dem Weg in Richtung Vf. Hoapecu ist das Vulcanita-Tal zu überwinden. Links im Bild erhebt sich der Vf. Cetatuiei (941 m). Die Orientierung ist hier ganz einfach: Den nächstmöglichen Weg talwärts und im Tal einen beliebigen Pfad wieder hoch ... Den Vf. Cetatuiei lässt man links liegen. Die Orientierung ist dort oben nicht ganz einfach, weil hier wieder sehr viele Pfade und Wege in alle Richtungen verlaufen. Aber da man ja hier durch ein "Dorf" wandert, findet sich immer ein Bergbauer, der den ratlosen Fremden wieder auf den richtigen Weg führt! 🙂
Abendlicher Besuch beim Bergbauer. Also, die Geschichte ist eine ganz typische: Ich lief in Richtung Vf. Hoapecu und da es schon später Nachmittag war, schaute ich mir eine Anhöhe aus, die als Zeltplatz schöne Weitblicke garantiert. Was ich brauchte, war nur noch Wasser! Auf dem Weg zu meiner Anhöhe erkundigte ich mich bei einigen Bauern, die auf den umliegenden Feldern mit der Ernte beschäftigt waren. Ja ja, Wasser ist bei den Höfen ringsum und ich solle nur mein Zelt dort aufbauen. Kaum hatte ich mich häuslich eingerichtet, kam ein alter Herr mit seinem Enkelkind von einem tiefer gelegenen Hof herauf und schenkte mir zwei große Wasserflaschen. Eine Stunde später kam ein anderer Bauer und brachte ebenfalls Wasser. Sein Haus befindet sich oberhalb meines Zeltplatzes. Selbiger kam am Abend zurück und lud mich zum Abendessen in sein Haus ein. Natürlich nahm ich die Einladung gerne an - auch um einen Einblick in das Leben der Menschen hier zu bekommen. Mein Gastgeber präsentierte mir auch, wie man hier oben ohne Kühlschrank und andere Modernitäten Fleisch, Gemüse und Obst konserviert. Muss ich an dieser Stelle erwähnen, dass es hier auch eine gute Tuica gab???!!!
Häuserzeile in Holbav. In früherer Zeit gab es hier zahlreiche Bergwerke (Blei, Kohle, Silber). Im Jahr 1733 führte Bischof John Innocent Klein hier eine Volkszählung durch mit dem Resultat: 24 Familien (120 Personen). Im Jahr 1919 gab es hier 1299 Einwohner. Heute leben in der sich über 2094 ha erstreckenden Gemeinde 1360 Einwohner, zu der zwei Kindergärten und zwei Schulen gehören. Die Menschen hier sind weitgehend in der Landwirtschaft tätig.
Blick durch´s Tele über Valea Gaunoasa gen Süd auf die ferne Piatra Craiului.
Blick über Valea Lupului auf Vf. Magura Codlei / 1292 m (rechts im Bild). Die Valea Lupului stellt in etwa die nördliche Grenze der landwirtschaftlich bewirtschafteten und bewohnten Flächen der Gemeinde Holbav dar. Die Magura Codlei begrenzt die Gemeinde Holbav im Nordosten.
Traumhaft gelegene Höfe im Norden der Gemeinde Holbav. Einige Höfe sind verlassen oder werden nur noch in den Sommermonaten bewohnt.
Einer der noch bewohnten kleinen Höfe auf den nördlichen Höhen von Holbav. Hier wohnt noch ganzjährig ein altes Ehepaar.
Holbav befindet sich 20 km von Brasov und 14 km von Codlea. Man erreicht das Zentrum der Gemeinde über eine gut ausgebaute und asphaltierte Bergstraße, welche von Vulcan heraufführt. Somit bietet auch das Bergland um Holbav sich gut für Tagesausflüge an. Selbst ein Tagesausflug hinauf zum Vf. Magura Codlei / 1292 m ist möglich: Anmarsch z.B. über die direkte Kammverbindung von Holbav aus über Vf. Frasinet und Rückweg über die besiedelten Hochflächen bei Vf. Rucareni. Die Tour ist landschaftlich sehr abwechslungsreich und durchaus anspruchsvoll!
Isolierter Hof nördlich Vf. Frasinet. Die Hunde hier sind weitgehend an den Menschen gewöhnt, von ihnen - zumindest den frei umherlaufenden - geht keine Gefahr aus!
Blick auf die letzten, nordöstlich gelegenen Höfe, unterhalb Vf. Magura Codlei (rechts im Bild).
Morgenstimmung: Mein Zeltplatz über den Höfen nahe Vf. Magura Codlei. Die Bewohner dieser Häuser holen sich ihr Trinkwasser von einem Quellbach unterhalb des Bergkammes. Der kleine Pfad, welcher zur Quelle hinabführt, ist gut zu sehen. Wer hier oben sein Zeltlager aufgeschlagen hat, kann sich aber einer zweiten Quelle Richtung Magura Codlei (hinter dem letzten Hof, noch oberhalb meines Zeltes) bedienen. ... Setzt man die Wanderung durch die Muntii Persani nach Norden fort, so enden die vielen schönen Aussichten und Weitblicke. Fortan geht es zumeist durch dichte Waldgebiete mit teils großen Buchenbeständen. Natürlich gibt es auf den weiteren Abschnitten der Muntii Persani auch viele interessante Sehenswürdigkeiten und Naturschönheiten mit so ganz anderen Qualitäten ... aber das ist schon wieder eine neue Geschichte, die durchaus in Stande wäre, einen kompletten Adventskalender allein zu füllen. In diesem Sinne verbleibe ich mit schönen Weihnachtsgrüßen an alle Rumänienfreunde.