Eiskalt ins neue Jahr


von Michaela Nowotnick

Eis
Liebe Freunde,
die gute Nachricht zuerst: Niemand ist erfroren.
Die schlechte: Viel fehlte nicht.
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Romantisch verschneit lag das alte Pfarr­haus in seinem Gar­ten, die Fens­ter vol­ler wun­der­schö­ner Eis­blu­men. Die­se na­tür­lich nur, weil es im Haus so kalt war wie drau­ßen, zehn Grad mi­nus. Holz gab es von der Ge­mein­de, schon ge­spal­ten und fer­tig zum Ab­trans­port. Groß­zü­gig mein­ten wir nach der ers­ten Au­to­fuh­re, dass das be­stimmt rei­chen wür­de und hat­ten es doch ei­ni­ge Stun­den spä­ter schon in die Öfen ge­scho­ben.
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„Welchen Raum hei­zen Sie denn?“, so die Fra­ge im Dorf. Wir rea­gier­ten et­was ir­ri­tiert mit „Al­le?!“ Schnell ka­men wir da­von ab und feu­er­ten nur noch zwei oder drei Öfen. Nun ver­ste­he ich Tex­te aus frü­he­ren Zei­ten viel bes­ser: Man rückt im Win­ter zu­sam­men und Feu­er nimmt den zen­tra­len Punkt im Le­ben ein. Das nimmt es tat­säch­lich, das ist nicht nur da­hin­ge­sagt. Auch das Sprich­wort „Die Frau ist an den Herd ge­fes­selt“ füllt sich mit Be­deu­tung, denn man muss je­de Vier­tel­stun­de ei­nen Scheit nach­le­gen, da­mit das Feu­er nicht aus­geht.
Ofen Ofen
Nachdem Öfen und Zim­mer ei­ni­ger­ma­ßen warm wa­ren, wur­de es nun end­lich auch ge­müt­lich. Sil­ves­ter mit Schwei­zer Kä­se­fon­due und ru­mä­ni­schem Sa­lat de bouf und na­tür­lich Zui­ka in rau­en Men­gen. Ru­mä­ni­sche Sil­ves­ter­bräu­che sind für West­eu­ro­pä­er et­was ir­ri­tie­rend, ha­ben aber durch­aus ei­nen ge­wis­sen Charme. Am 31. De­zem­ber wird man mit Wei­zen­kör­nern be­streut, im Haus wohl­ge­merkt. Die Non­ne Mar­ta ver­spür­te ei­ne un­bän­di­ge Freu­de da­bei, sich von hin­ten an mich an­zu­schlei­chen, um mir sin­gend hän­de­wei­se Kör­ner über den Kopf und in den Pul­lo­ver­aus­schnitt zu kip­pen. An­schlie­ßend lässt man tra­di­tio­nell ein Huhn in das Zim­mer, da­mit es al­le Kör­ner auf­pickt. In Er­mang­lung ei­nes Huhns wird wohl die Non­ne selbst den Staub­sau­ger ge­schwun­gen ha­ben.
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Man wünscht sich „Vie­le Jah­re“, und das täg­lich zwi­schen dem 27. De­zem­ber und 6. Ja­nu­ar. Et­was an­stren­gend, in Ver­bin­dung mit dem nö­ti­gen Al­ko­hol­kon­sum, aber auch ganz lus­tig. Ge­gen zwölf Uhr zog die Burg­ber­ger Sil­ves­ter­ge­sell­schaft auf den na­he ge­le­ge­nen Hü­gel, um ein even­tu­el­les Feu­er­werk nicht zu ver­pas­sen. Zu dem kam es zwar nicht, doch ging die Feu­er­wehr­si­re­ne an. Gleich­zei­tig läu­te­ten die Kir­chen­glo­cken und auf den Stra­ßen schich­te­te man Au­to­rei­fen und ließ sie in Flam­men auf­ge­hen. Die Stim­mung er­in­ner­te al­le an ei­nen Bom­ben­an­griff oder an Mai­aus­schrei­tun­gen in Ber­lin, mal et­was an­de­res. An­schlie­ßend be­schlos­sen wir ins neue Jahr zu rut­schen und schlit­ter­ten auf Müll­sä­cken den Burg­berg hi­nab.
Mädchen rutscht auf Eis
Besondere Heraus­for­de­run­gen wa­ren zum ei­nen, dass noch nie­mand je­mals auf Müll­tü­ten ge­ro­delt war und zum an­de­ren, dass im Stock­dun­keln we­der Trep­pen­stu­fen noch Bäu­me oder ab­schüs­si­ge Kan­ten aus­fin­dig zu ma­chen wa­ren. Was für ein Spaß! Den Rest der Ta­ge ver­brach­ten wir vor al­lem mit ... Hei­zen na­tür­lich.
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Während eines Besuches beim al­ten Herrn Schus­ter im Dorf sind wir dann zum ers­ten Mal seit Lan­gem wie­der rich­tig warm ge­wor­den. Herr Schus­ter nö­tig­te uns zu je­der Men­ge Al­ko­hol, ob­gleich er sel­ber nichts da­von trinkt. Bei die­ser Ge­le­gen­heit blieb viel Zeit, um über Ge­schlech­ter­stu­dien nach­zu­den­ken. Mein Freund stieg beim Sau­er­kirsch­li­kör aus, wo­rauf­hin Herr Schus­ter sich freund­lich ni­ckend an mich wand­te und fest­stell­te, dass Män­ner, die nicht trin­ken, ih­re Frau­en auch we­ni­ger schla­gen wür­den. Da trank ich gleich noch ei­nen mehr und über­leg­te, ob es trin­ken­den Frau­en nun im Ge­gen­zug er­laubt wä­re, ih­re Män­ner zu ver­prü­geln.
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Mein Rumänisch, so kam es mir zu­min­dest vor, kommt schon viel bes­ser über die Lip­pen. Der Pra­xis­test soll­te mich lei­der ei­nes Bes­se­ren be­leh­ren. Als ich ei­nem Sie­ben­bür­ger Sach­sen ei­nen ge­wis­sen Ort be­schrei­ben woll­te, wies ich auf den Turm in der Nä­he hin. Gro­ße Frag­lo­sig­keit im Ge­sicht des Ge­gen­übers. „So et­was ken­ne ich nicht.“ Ei­nen Turm, so et­was kennt er nicht? Wie an­ders um­schrei­ben, was gibt es noch für Wör­ter für Turm. Nach ei­ni­gen hilf­lo­sen Ver­su­chen schlug sich mein ein­deu­tig ru­mä­nisch ge­präg­ter Ge­sprächs­part­ner an die Stirn und sag­te: „Ei­nen Turrrm mei­nen Sie, Sie haben das r nicht mit­ge­spro­chen.“ Nicht ein­mal die Deut­schen ver­ste­hen mich, wie de­pri­mie­rend. Da­mit wä­re auch der Vor­satz für das neue Jahr ge­fasst: Ich ler­ne, das r zu rol­len.
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Ich wünsche Euch ein groß­ar­ti­ges neues Jahr und grü­ße herz­lich aus Burg­berg. In mei­nem Rü­cken knackt der Ka­chel­ofen, das Ra­dio läuft, Stim­men­gewirr (ein Zim­mer für al­le), der Hund kratzt an der Tür und will nach drau­ßen zu den an­de­ren Hun­den. Nach vor­ne fällt der Blick durch blü­hen­de Eis­blu­men in den fun­keln­den Ster­nen­him­mel. Ganz ro­man­tisch ei­gent­lich.
Eure Michaela
Winterlandschaft
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