Baum
Baum
Baum
Baum
Baum

In Weilau sind Zigeuner deutsch


von Michaela Nowotnick

Kirche
„Zigeuner, die deutsch ge­wor­den sind?“, Herr Schus­ter sieht mich mit gro­ßen Au­gen an. „Na­ja“, ver­su­che ich rich­tig­zu­stel­len, „evan­ge­lisch sind sie ge­wor­den.“ Für Herrn Schus­ter zählt das nicht, evan­ge­lisch, säch­sisch und deutsch, das wä­re das­sel­be. Wir ste­hen vor sei­nem Kü­chen­ofen und phi­lo­so­phie­ren da­rü­ber, wie man die­sen wohl mit Holz be­stü­cken und ein­stel­len muss, da­mit der von mir ge­fer­tig­te Ku­chen auch et­was wird. Nach­dem Nach­bar Lu­ca vor­bei­ge­kom­men ist, zie­hen wir nun zu dritt mal an die­sem He­bel, öff­nen je­ne Klap­pe und wer­fen dort noch ein Holz­scheit nach. Auch Lu­ca hat noch nie von deut­schen Zi­geu­nern ge­hört, ich be­gin­ne zu er­zäh­len. Am Wo­chen­en­de hat­ten wir uns auf­ge­macht nach Nord­sie­ben­bür­gen, in ein Dorf „hin­ter Got­tes An­ge­sicht“, wie man hier sagt, nach Wei­lau. Zwei Ber­li­ner, ei­ne Her­mann­städ­te­rin, ein Hund, ein VW-Bus, 170 Ki­lo­me­ter. Auf­grund des herr­li­chen Spät­som­mer­wet­ters brau­chen wir für die Stre­cke acht­ein­halb Stun­den.
Wolke
Sonne
Wolke
Erster Halt: Jakobs­dorf. Eng­li­scher Ra­sen und Blu­men­ra­bat­ten, Bän­ke im Dorf ver­teilt. Vor kur­zem war hier noch ein Ver­ein, der sich um el­tern­lo­se Jun­gen ge­küm­mert hat, tä­tig. Nach dem Tod des In­itia­tors wur­de be­kannt, dass des­sen „Küm­mern“ nicht im­mer nur dem ent­spro­chen hat­te, was man ge­mein­hin da­run­ter ver­steht. Kir­chen­burg, Schu­le, Pfarr­haus, Saal, das sie­ben­bür­gi­sche En­sem­ble, das es in je­dem Dorf hier gibt, sind ver­las­sen. Ar­bei­ter in der Schu­le, ei­ne Pen­sion soll ent­ste­hen. Al­les ist he­raus­ge­putzt: Die Kir­che frisch ge­stri­chen, der Bo­den mit beige­far­be­nen Ba­de­zim­mer­flie­sen be­deckt (die müs­sen jetzt wie­der raus, er­klärt der Ar­bei­ter, Denk­mal­schutz). Die him­mel­blaue bis ro­sa Aus­ma­lung wird ele­gant von ein­ge­gips­ten En­gels­fi­gu­ren durch­bro­chen, die Kryp­ta wur­de im Zu­ge der Um­bau­ar­bei­ten wie­der zu­gäng­lich ge­macht. Blin­ken­de ro­te Lich­ter ste­hen auf den zwei Grab­plat­ten im In­nern, me­di­ta­ti­ve Mu­sik aus der Wand. In der Kir­che sind Über­res­te der säch­si­schen Kul­tur aus­ge­stellt. An den Wän­den, von der De­cke, über­all bau­meln schwe­re Kir­chen­pel­ze, bunt be­stick­te Trach­ten und Rei­ter­stie­fel. Der Gang durch die Schu­le en­det in ei­nem Raum, in dem ein po­ny­gro­ßer Hund an ei­ner Ket­te liegt und ge­fähr­li­che Knurr­lau­te von sich gibt. Die Idyl­le kann so trü­ge­risch sein. Nächs­ter Halt zum Mit­tag­es­sen, dann Kaf­fee trin­ken, dann Spa­zie­ren ge­hen …
Brot
Tasse
Gegen Abend An­kunft in Wei­lau. Un­ter­ge­bracht im Pfarr­haus des Or­tes wer­den wir ne­ben Kis­ten mit selbst­ge­mach­ten Nu­deln und Schnaps aus ei­ge­ner Bren­ne­rei, auf deut­schen Kran­ken­haus­bet­ten und zwi­schen Stoff­tie­ren aus Hilfs­lie­fe­run­gen schla­fen. Nach dem obli­ga­to­ri­schen Be­grü­ßungs­schnaps, der so stark ist, dass selbst un­se­re Gast­ge­ber ihn mit Ho­lun­der­li­mo­na­de ver­dün­nen, ge­hen wir in das Haus des ehe­ma­li­gen Kas­sen­war­tes der Ge­mein­de. Ein klei­nes säch­si­sches Haus, in der Kü­che wird ge­ra­de das Abend­es­sen ab­ge­tragen.
Haus
An dieser Stel­le der Er­zäh­lung seufzt Herr Schus­ter, jaja, die Zi­geu­ner wä­ren auch in Burg­berg in die deut­schen Häu­ser ein­ge­zo­gen. Aber sie kön­nen ja kei­ne Wirt­schaft füh­ren. Lu­ca hin­ge­gen kennt Zi­geu­ner, die ei­ne Wirt­schaft füh­ren kön­nen. Ehe ein Streit aus­bricht, er­zäh­le ich wei­ter. Am Tisch in der Kü­che sitzt ne­ben dem Kas­sen­wart und sei­ner Frau auch ein Ver­tre­ter der thü­rin­gi­schen Part­ner­ge­mein­de. Ob wir uns auf Deutsch oder Ru­mä­nisch un­ter­hal­ten wol­len? Säch­sisch, den Dia­lekt, sprä­chen wir wohl nicht, fragt un­ser Ge­gen­über. Wir ver­nei­nen, so wird es ein Abend auf Ru­mä­nisch. Der Kas­sen­wart er­klärt uns, dass in Wei­lau, wie in vie­len Ge­mein­den Sie­ben­bür­gens üb­lich, die Zi­geu­ner sich nach der Re­li­gion ih­rer Ar­beit­ge­ber ge­rich­tet hät­ten. Da die meis­ten der Wei­lau­zi­geu­ner als Ta­ge­löh­ner bei Sach­sen ge­ar­bei­tet hät­ten, wä­ren sie eben in die evan­ge­li­sche Kir­che ein­ge­tre­ten. Rich­ti­ge Mit­glie­der hät­ten sie al­ler­dings nie wer­den kön­nen, hät­ten hin­ten in der Kir­che sit­zen müs­sen und wa­ren von be­stimm­ten li­tur­gi­schen Hand­lun­gen aus­ge­schlos­sen. Den säch­si­schen Dia­lekt hät­ten sie von den Sach­sen ge­lernt. Und spä­ter dann, im Kom­mu­nis­mus, hät­ten die Sach­sen ja wei­ter­hin säch­sisch ge­spro­chen und sie eben mit. Nach der Wen­de, als fast al­le Sach­sen aus­ge­wan­dert wa­ren, woll­te die evan­ge­li­sche Lan­des­kir­che die Kir­chen­ge­mein­de Wei­lau schlie­ßen: Es wa­ren ja kei­ne Deut­schen mehr da. In vie­len Dör­fern ist ge­nau dies pas­siert und die Zi­geu­ner sind zum or­tho­do­xen Glau­ben über­ge­tre­ten. Doch nicht so in Wei­lau.
Glocke
Einige deutsche Pfar­rer ha­ben sich ein­ge­setzt, ei­ner kam so­gar in das klei­ne Dörf­chen. Und die­ser ist auch heu­te noch in al­ler Mun­de, mor­gen kä­me er zur gro­ßen Wie­der­ein­wei­hung der Kir­che. Als was sie sich be­zeich­nen wür­den, wol­len wir wis­sen. Deut­sche, Sach­sen, Ru­mä­nen, Zi­geu­ner, Ro­ma? Ro­ma, der Kas­sie­rer lacht, ganz be­stimmt nicht und Sach­sen si­cher­lich auch nicht. Sie wä­ren Zi­geu­ner, das wä­ren sie ja schon im­mer ge­we­sen. Zu­frie­den, nun auch selbst völ­lig un­be­fan­gen „Zi­geu­ner“ sa­gen zu dür­fen, trot­ten wir gen Ge­mein­de­saal. Hier wird das mor­gi­ge Fest zur Fei­er der Kir­chen­wie­der­ein­wei­hung nach der Re­no­vie­rung vor­be­rei­tet. 200 Men­schen wol­len be­wir­tet und ver­sorgt sein, wir ha­ben an­ge­bo­ten, zu hel­fen. Vol­ler Ta­ten­drang, wie nur Deut­sche ihn ha­ben kön­nen, mar­schie­ren wir in den Ge­mein­de­saal, er­ken­nen so­fort, wo noch Hil­fe nö­tig ist und pa­cken an. Im­mer­hin ist es schon 9 Uhr abends. Nach­dem al­le Ser­viet­ten ge­fal­tet und farb­lich pas­send in Glä­ser ge­steckt sind, die Tel­ler auf den Ti­schen ste­hen und wir uns auf das Ge­mü­se­schnei­den stür­zen wol­len, wer­den wir zu­rück­ge­pfif­fen. Die Ser­viet­ten kom­men an­ders, die Tel­ler sind nicht rich­tig und es müss­ten auch noch neue Tisch­de­cken auf­ge­legt wer­den.
Glas
Glas
Auf unseren Hin­weis die spä­te Uhr­zeit be­tref­fend rea­giert man mit Kopf­schüt­teln, der Got­tes­dienst be­gin­ne erst in 13 Stun­den. So lan­ge hal­ten wir nicht durch. Nach­dem wir al­les zwei Mal um­sor­tiert, ei­nen Schnaps ge­trun­ken und viel ge­lacht ha­ben, ge­hen wir nach Hau­se und über­las­sen das Ko­chen den­je­ni­gen, die auch et­was da­von ver­ste­hen. Der nächs­te Tag be­ginnt mit ei­ner Pro­zes­sion von der Dorf­gren­ze zur Kir­chen­burg. Fünf Rei­ter mit ge­schmück­ten Pfer­den und ein klei­nes blau­es Küt­schlein tref­fen auf die Obers­ten der evan­ge­li­schen Kir­che, die in ei­nem Klein­bus aus Her­mann­stadt an­ge­reist sind: Bi­schof, Haupt­an­walt, Lan­des­kir­chen­ku­ra­tor, zwei Pfar­rer und noch ei­ner vom lu­the­ri­schen Welt­bund. Bö­se Zun­gen be­haup­ten, man sol­le lie­ber noch ei­nen wei­te­ren Bus für die Lan­des­kir­che kau­fen, bei ei­nem Un­fall wä­re mit ei­nem Schlag die ge­sam­te Füh­rung der evan­ge­li­schen Kir­che aus­ge­löscht und man kön­ne dicht ma­chen. Der Bür­ger­meis­ter (blau-rot-gel­be Schär­pe) und der Kir­chen­ku­ra­tor von Wei­lau neh­men den ho­hen Be­such in Emp­fang und ge­lei­ten ihn in die Kut­sche. Jetzt geht es zu­rück zum Pfarr­haus. Vor­ne­weg ei­ne klei­ne Zi­geu­ner­band, be­ste­hend aus ei­nem Ak­kor­de­on und ei­ner Fi­del. Die Stim­mung ist aus­ge­las­sen, am We­ges­rand win­ken Men­schen­scha­ren. Vom Pfarr­haus dann im Glo­cken­ge­läut hoch auf den Kirch­berg.
Glocke
Glocke
Glocke
Glocke
Es setzen sich in Be­we­gung: Die evan­ge­lisch-säch­si­schen Pfar­rer mit Ba­rett, blin­ken­der Kre­pel­wes­te und be­stick­tem Ta­lar. Die bun­des­deut­schen Pfar­rer im da­ge­gen recht ein­fach wir­ken­den Or­nat. Hin­ten­dran das hal­be Dorf, ei­ni­ge in säch­si­scher Tracht, nebst Gäs­ten von über­all­her. Die Got­tes­dienst­li­tur­gie wird auf säch­sisch ab­ge­hal­ten. Hier un­ter­bricht Herr Schus­ter und fragt mehr­mals nach. „Auf säch­sisch, in un­se­rem Dia­lekt? Die Zi­geu­ner?“ Wäh­rend Herr Schus­ter rest­los be­geis­tert ist, weiß Lu­ca nicht so recht, was er da­von hal­ten soll. Bis­her hat­te er gar nicht ge­wusst, dass es ei­nen Un­ter­schied zwi­schen säch­sisch und deutsch gibt. Die Pre­digt wird von ei­nem Ab­ge­sand­ten des Lu­the­ri­schen Welt­bun­des ge­hal­ten, der hat ja im­mer­hin auch die Re­no­vie­rung be­zahlt. Wir sind zu­tiefst be­ein­druckt von sei­nen Wor­ten. Er spricht über Ent­schleu­ni­gung und Stress­ver­mei­dung, um Zeit ha­ben für ein Mit­ein­an­der und Für­ein­an­der. Erst als er il­lus­trie­rend an­führt, dass sei­ne Groß­mut­ter viel mehr Zeit hat­te, ob­wohl sie ei­nen Hof ver­sor­gen muss­te und die Wä­sche per Hand wusch, däm­mer­te es auch uns: Nie­mand aus der Ge­mein­de wird von die­ser Pre­digt an­ge­spro­chen.
Haus
Hier versorgt ja je­der ei­nen Hof, hat Vieh und Plumps­klo im Gar­ten. Es gibt kei­ne Wasch­ma­schi­nen und wenn, dann im Som­mer kein Was­ser in den Brun­nen. Glück­li­cher­wei­se ist die Pre­digt auf Deutsch und wird von den meis­ten Mit­glie­dern der Ge­mein­de nicht ver­stan­den. Nach dem Got­tes­dienst werden wir mit Ku­chen und der Band emp­fan­gen, die heu­te nicht mehr auf­hö­ren wird zu spie­len. Das Ge­mein­de­haus ist seit ges­tern noch ein­mal voll­stän­dig um­ge­stal­tet wor­den. An der Wand ein säch­si­scher Wand­be­hang, auf den „Sie­ben­bür­gen, sü­ße Hei­mat“ ge­stickt ist. Da­ne­ben die eu­ro­pä­ische Fah­ne, die ru­mä­ni­sche so­wie die deut­sche. Die­se mit dem de­ko­ra­ti­ven Schrift­zug „Küm­mer­ling“ ver­se­hen. Be­glei­tet wird das Es­sen durch Mu­sik: Ak­kor­deon, Fi­del, Zim­bal, so­wie zwei E-Gi­tar­ren spie­len uns be­kann­te Lie­der: „Hoch auf dem gel­ben Wa­gen“, „Muss i‘ denn“ und vie­les mehr. Al­ler­dings in ei­ner Neu­in­ter­pre­ta­tion, die nicht zum Schun­keln, viel­mehr zum Mit­tan­zen ein­lädt. Nach dem Es­sen wird ge­tanzt, ru­mä­ni­sche und un­ga­ri­sche Weisen.
Note
Note
Note
Note
Alles dreht sich und ist rund­um zu­frie­den. Da­zwi­schen im­mer wie­der Trink­sprü­che, Re­den und so­gar die Vor­stel­lung ei­nes Pre­digt­ban­des, al­les in ei­ner bun­ten Sprach­mi­schung, in säch­sisch, ru­mä­nisch, deutsch. Der Ku­chen ist fer­tig, Herr Schus­ter, Lu­ca und ich be­stim­men, dass er vor­treff­lich aus­sieht. Die bei­den Herren sit­zen am Tisch und fra­gen die­ses und je­nes. An­schlie­ßend la­chen sie schal­lend über die deut­schen Zi­geu­ner, „dass es so et­was gibt …“ „Man kön­ne ja auch hier die Zi­geu­ner fra­gen, ob sie nicht in un­se­re Kir­che kom­men wol­len“, wirft Herr Schus­ter ein. Dann wä­re man nicht nur zu zehnt. Den Ge­dan­ken ver­wirft er al­ler­dings recht schnell wie­der, so weit ist es mit der Völ­ker­ver­stän­di­gung in Burg­berg doch noch nicht.
Zurück-Button