Die goldene Zeit und wie es heute ist


von Nina May

Knochen
Knochen
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Hühnerbeine
„Epoca de aur“ (die gol­de­ne Epo­che) sagt mein Mann wie selbst­ver­ständ­lich, wenn er von der Ceau­ces­cu-Zeit spricht. Und dann ver­ste­he ich nur noch Bahn­hof! Denn die gol­de­ne Zeit hat­te ih­re ei­ge­ne Spra­che – ei­nen ver­bin­den­den Ge­heim­co­de, der die schlim­men Zu­stän­de durch ei­ne Pri­se Iro­nie er­träg­li­cher mach­te. In der „gol­de­nen Epo­che“ hat­ten Schwei­ne kei­ne Len­den, Rip­pen oder Bäu­che, son­dern nur Fü­ße und Köp­fe, wie der Blick in Metz­ger­vi­tri­nen ver­riet, den man nach lan­gem An­ste­hen viel­leicht er­ha­schen konn­te. Der Ein­ge­weih­te ver­lang­te dann „Turn­schu­he“ (auf ru­mä­nisch „adi­da­si“) und „Com­pu­ter“ (also Sau­schä­del), und er muss­te nicht wie heu­te pein­lich be­rührt hin­zu­fü­gen, „für den Hund“.
Schwein
Mittlerweile ist es wie­der ähn­lich: Rin­der­kno­chen, Hüh­ner­häl­se und Schwei­ne­öhr­chen „für den Hund“ sind ratz­fatz aus­ver­kauft, wenn man den Gang zum Metz­ger nicht vor dem Abend schafft. Kaum zu glau­ben, wie vie­le Leu­te in Zei­ten wie die­sen auch noch ei­nen Hund durch­füt­tern, dach­te ich zu­erst. Die Kun­den müs­sen wohl Ve­ge­ta­rier sein, denn au­ßer dem Hun­de-Fest­schmaus wird nichts ge­kauft.
Hühnerköpfe
An Metzger­kun­den kann man auch be­ob­ach­ten, dass sich die Wahr­schein­lich­keit ei­nes Hun­des im Haus­halt di­rekt pro­por­tio­nal zu Ar­mut und Al­ter ver­hält. Manch­mal bil­den sich so­gar wie­der Schlan­gen vor der Tre­sen­ecke mit den Hüh­ner­häl­sen, wäh­rend Ko­te­letts und Rin­der­lend­chen un­be­ach­tet lie­gen blei­ben.
Knochen
In der goldenen Zeit trug man au­ßer­dem stets eine PPC-Tü­te mit sich he­rum, denn Plas­tik­beu­tel gab es nicht. Nein, PPC ist kei­ne exo­ti­sche che­mi­sche Ver­bin­dung, son­dern die Ab­kür­zung für „poa­te pi­ca ce­va“, viel­leicht fällt was ab! Sprich: Viel­leicht gibt es ir­gend­wo un­er­war­tet was zu kau­fen, grü­ne Ba­na­nen, Mais­mehl oder „Be­ste­cke“ (ta­câ­muri) – so nann­te man die Ex­tre­mi­tä­ten des Huhns, die ein ver­wöhn­ter West­eu­ro­päer zum Weg­schmei­ßen ab­schnei­det: Fü­ße, Häl­se, Bür­zel.
Hühnerteile
Glücklich schätzen konnte man sich da­mals, wenn man ir­gend­wo „fra­tii Pe­treus“ (die Ge­brü­der Pe­treus) ent­deck­te! Für die bei­den vor­zei­tig ver­reck­ten Zucht­hühn­chen, die stets im Dop­pel­pack an­ge­bo­ten wur­den, weil ih­re Lei­chen ein­zeln nur ein paar Gramm auf die Waa­ge brach­ten, lohn­te sich stun­den­lan­ges Schlan­ge­ste­hen. Den Spitz­na­men ver­dank­ten die Go­ckel ei­nem da­mals po­pu­lä­ren ma­ra­mu­re­scher Brü­der­paar, zwei Sän­ger, die je­den Auf­tritt mit ei­nem Ki­ke­ri­ki-ähn­li­chen Jauch­zen und ei­nem toll­küh­nen Sprung auf die Büh­ne ein­lei­teten.
Hühner
Warum man die „fra­tii Pe­treus“ nie­mals aus­ge­wach­sen zu Ge­sicht be­kam, blieb ähn­lich mys­te­riös wie der Ver­bleib der vir­tu­el­len Schwei­ne­mit­ten. Die Nach­richt, was es ge­ra­de wo zu kau­fen gab, wur­de dann in Win­des­ei­le per „Ra­dio sant“ über­tra­gen, dem er­folg­reichs­ten Sen­der der da­ma­li­gen Zeit. Wie, ken­nen Sie auch nicht? Ra­dio „Stra­ßen­gra­ben“ (sant), so nann­te man das Ge­flüs­ter der dicht zu­sam­men­ste­hen­den Frau­en am We­ges­rand, wo die Ge­rüch­te­kü­che bro­del­te, weil es in der tat­säch­li­chen Kü­che mal wie­der nix zu bro­deln gab. Oder hat man sich nur den neu­est­en Witz von Bu­la er­zählt?
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All dies gibt es nicht mehr, seit die „Epo­ca de aur“ durch die Re­vo­lu­tion ein En­de fand. Nur die Spr­ache von da­mals lebt wei­ter, in der mitt­ler­wei­le ein we­nig ver­klär­ten Er­in­ne­rung. So man­cher sagt heu­te, da­mals sei es nicht schlech­ter ge­we­sen. Viel­leicht so­gar bes­ser? „Vor al­lem die Men­schen ha­ben sich ver­än­dert“, den Satz hört man oft. Wäh­rend der Kom­mu­nis­mus das Volk wohl im Leid ver­band, ent­zweit es nun die Kon­sum­ge­sell­schaft: zu­erst teilt sie die Men­schen in arm und reich, dann in arm und är­mer, in är­mer und noch är­mer – und es gibt kei­nen Buh­mann mehr für die Pein­lich­keit fi­nan­ziel­len Ver­sa­gens. Für die­se Zeit exis­tiert kei­ne ty­pi­sche, ver­bin­den­de Spra­che. Doch wie sol­len sich über­schäu­men­de Ge­füh­le in ei­ner sprach­lo­sen Ge­sell­schaft Luft ma­chen? Et­wa durch Ge­walt?
Diese und weitere Kurz­ge­schich­ten von Ni­na Mai wur­den in der ADZ ver­öf­fent­licht.
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