Hundeweihnachten


Text: Nina May
Fotos: George Dumitriu

Hund
Unglück gibt es nicht – nur et­was ver­schlun­ge­nere We­ge zum Glück. Dies de­mons­triert ein Er­leb­nis, das mir nicht nur ein über­ra­schen­des Lieb­lings­ge­richt be­scher­te, son­dern herz­er­wär­men­de Er­in­ne­run­gen an ei­nen un­ge­wöhn­li­chen Kurz­ur­laub in ei­nem aus­ge­stor­be­nen Berg­dorf in Hat­zeg. Un­ser Freund Ca­ta­lin hat­te sich dort ein al­tes Holz­haus ge­kauft und mei­nen Mann und mich, so­wie ei­ne Freun­din mit ih­rem Jun­gen für ein paar Ta­ge ein­ge­la­den.
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Mann vor Holzhaus
Kugel
Berglandschaft
Kugel
Frau schaut in ein Haus
Wir hatten keine Ahnung, was uns er­war­te­te. Das Ein­zi­ge, was wir wuss­ten: Da oben gibt es nichts zu kau­fen. Al­so vor­her ab in den Su­per­markt, und da man den an­de­ren schlecht et­was vor­es­sen kann, kauf­ten wir gleich für fünf Per­so­nen ein. Doch herr­je! Als wir oben an­ka­men, stell­te sich he­raus, dass je­der der drei ge­trennt an­ge­reis­ten Par­tei­en so ge­dacht hat­te, und so ver­füg­ten wir über ei­nen be­acht­li­chen Le­bens­mit­tel­vor­rat, der fürs Über­win­tern in die­ser Ein­öde ge­reicht hät­te. Es war schon spä­ter Ok­to­ber und wir häng­ten die Plas­tik­beu­tel mit den Köst­lich­kei­ten an ei­nen Ha­ken au­ßen un­ter das Dach.
Kugel
Haus
Dann wurde die Un­ter­kunft be­schnup­pert: Das Häus­chen be­stand aus ei­nem ein­zi­gen Raum mit ei­nem pri­mi­ti­ven Lehm­öf­chen, ei­nem Tisch, zwei Holz­bän­ken und zwei Bet­ten mit krumm­buck­li­gen Stroh­ma­trat­zen drin. Ab­ge­se­hen von der Glüh­bir­ne al­so nicht mehr Kom­fort als die Da­ker hat­ten. Nach dem et­was mü­he­vol­len An­feu­ern wur­de es schnell be­hag­lich warm, und auch die Bet­ten­fra­ge klär­te sich: Mein Mann und ich be­ka­men das schma­le Bett, die an­de­ren drei woll­ten sich das brei­te­re tei­len. Nach reich­lich Glüh­wein, di­ver­sen Köst­lich­kei­ten aus dem im­pro­vi­sier­ten „Au­ßen­kühl­schrank“ und mehr­ma­li­gem Was­ser-Hoch­zieh-Sport mit dem Ei­mer aus dem Kur­bel­brun­nen fie­len wir weit nach Mit­ter­nacht in ei­nen tie­fen, traum­lo­sen Schlaf, den nicht ein­mal die Tat­sa­che stör­te, dass man die Fü­ße in dem zu kur­zen Bett ge­le­gent­lich senk­recht die Wand hoch­stel­len muss­te, denn ein­rol­len ging nicht we­gen der En­ge, oder höchs­tens bei­de in der glei­chen Rich­tung.
Kugel
Am nächsten Tag mach­ten wir uns nach ei­nem not­dürf­ti­gen Früh­stück auf, um das ver­las­se­ne Dorf zu er­kun­den.
verfallenes Haus
Kugel
Holzhaus
Kugel
Holzhausa
Kugel
Mann vor Holzkirche
Kugel
Wäsche vor Berglandschaft
Stundenlang stöberten wir in den Hö­fen der pit­to­res­ken, ver­fal­len­den Holz­häus­chen auf Stein­fun­da­ment, be­tra­ten die win­zi­ge, ge­müt­li­che Holz­kir­che, da und dort ein ein­ge­stürz­tes Scheu­nen­dach aus Schilf... nein, Ske­let­te ha­ben wir kei­ne ge­fun­den. Da­für tra­fen wir am spä­ten Nach­mit­tag in ei­nem der Hö­fe auf ei­ne Run­de al­ter Män­ner, die längst im Dorf am Fuß des Ber­ges wohn­ten.
Menschen vor Holzhaus
Sie kamen nur noch zum sonn­täg­li­chen Gril­len ge­le­gent­lich hier hi­nauf. Die Al­ten hat­ten ge­ra­de ih­re Mahl­zeit be­en­det und lu­den uns zu ei­nem Um­trunk ein. Be­vor sie sich auf den Heim­weg ma­chen woll­ten, be­glei­te­ten sie uns noch, mit der Fla­sche in der Hand und im­mer wie­der Schnaps­pau­sen ein­le­gend, schwan­kend zu un­se­rer Un­ter­kunft.
Kugel
Mond
Kugel
Holzhaus
Es dämmerte bereits und in un­se­ren Bäu­chen grum­mel­te der vie­le Al­ko­hol und – ein Bä­ren­hun­ger! So trot­te­ten wir schwei­gend den Berg hi­nan, die Ge­dan­ken kreis­ten um wür­zi­gen Räu­cher­fisch, fet­te Brat­würs­te, def­ti­ge Vier­korn­bröt­chen, Kä­se­ran­ken und schwar­ze Oli­ven...
Kugel
Das Unheil kündigte sich schüch­tern in Form von klei­nen Plas­tik­fet­zen an. Zu­erst zier­ten sie spar­sam den Weg zum „Da­ker­häus­chen“. Dort la­gen sie dann über­all im Gras ver­streut. Ein Blick un­ters Dach ver­riet so­fort, was hier ge­sche­hen war: Hir­ten­hun­de kön­nen viel, viel hö­her sprin­gen, als wir je­mals ge­dacht hät­ten! Im Gras vor der Haus­tür kul­ler­ten noch ein paar ver­irr­te Oli­ven he­rum, da­ne­ben ei­ne an­ge­bis­se­ne Sei­fe. An­sons­ten war al­les ratz­fatz auf­ge­fres­sen, so­gar das Pa­nier­mehl mit­samt der Pa­ckung. Nun war gu­ter Rat teu­er!
Mann sammelt Müll ein
Im Haus fand sich nur ei­ne Fla­sche Oli­ven­öl, ei­ne Knob­lauch­knol­le, Ge­wür­ze und et­was sau­er ein­ge­leg­tes Kraut. Sonst nichts. Der Bub fing an zu wei­nen. Schnaps­be­du­delt ins Dorf zu fah­ren, kam na­tür­lich auch nicht in­fra­ge. Da er­in­ner­te sich ei­ner der al­ten Män­ner, dass er noch ein Brot vom Gril­len für die Hun­de bei­sei­te ge­legt hat­te und ging es ho­len. Die Kö­ter wa­ren ja nun papp­satt! Zur Si­cher­heit lie­ßen sie sich erst gar nicht bli­cken. Wäh­rend die an­de­ren noch be­läm­mert auf die Res­te der Bil­la-Sä­cke starr­ten, be­gann mein Mann, das Feu­er zu schü­ren, goss Öl in die Pfan­ne und ver­sprach voll­mun­dig das bes­te Abend­es­sen der Welt! Der Jun­ge be­gann beim An­blick des ver­trock­ne­ten Brot­laibs hem­mungs­los zu schluch­zen. Wie soll­te da­raus ein Abend­es­sen wer­den?
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Doch es wurde! Und zwar eins zum Schlem­men, so­dass sich noch heu­te al­le in freu­di­ger Er­in­ne­rung die Fin­ger ab­schle­cken: Das al­te Brot wan­der­te mit Knob­lauch ge­spickt und reich­lich Öl über­gos­sen in den Back­ofen, das Sauer­kraut, zu­sam­men­ge­schnip­pelt mit viel Pfef­fer und Thy­mi­an in die Brat­pfan­ne, wo es laut­stark zi­schend an­rös­te­te. Zu dem kros­sen Knob­lauch­brot und dem wür­zi­gen Kraut gab es kräf­ti­gen Rot­wein – ei­nen Be­ruhi­gungs­schluck auch für den nun glück­lich schmat­zen­den Bu­ben –, den die Hun­de net­ter­wei­se ver­schont hat­ten. Oder hat­ten sie bloß die Fla­sche nicht auf­ge­bracht?
Kugel
Heute erin­nern wir uns ger­ne an das Un­glück zu­rück, das dem Aus­flug erst so rich­tig Er­lebnis­wert be­scher­te! In ei­nem Fäss­chen pro­du­zie­ren wir seit­her je­den Win­ter Sau­er­kraut, da­mit wir un­ser auf so tra­gi­sche Wei­se ge­bo­re­nes Lieb­lings­ge­richt je­der­zeit wie­der­ho­len kön­nen. Und die Hun­de? Die sind seit­her über­zeugt, dass es auch Hun­de­weih­nach­ten gibt – und das mit­ten im Ok­to­ber!
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