Begegnungen im Scaritza-Belioara-Tal


Foto: Hans-Ulrich Schwerendt
Text: Thomas Beckmann

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Berglandschaft
Es war schon Abend ge­wor­den im Tal Sca­ri­ta-Be­lioa­ra. Die Ta­ge im Mai sind ja zum Glück schon et­was län­ger und wir hat­ten wie­der viel er­lebt an die­sem schö­nen Früh­som­mer­tag.
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Berglandschaft
Aber dieser Abend wird uns be­son­ders in Er­in­ne­rung blei­ben. Wir wa­ren un­ter­wegs nach Sa­ga­gea im Apu­seni-Ge­bir­ge, um dort ei­ne ge­eig­ne­te Wie­se für un­ser Zelt zu fin­den, von wo aus wir am nächs­ten Mor­gen, ei­nem Sonn­tag, un­se­re Ta­ges­wan­de­rung star­ten woll­ten.
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Berglandschaft
Eine enge, schlam­mi­ge Dorf­stra­ße führ­te uns hi­nauf. Ein ge­län­de­gän­gi­ges Fahr­zeug wä­re hier von Vor­teil, das dach­ten wir uns ei­ni­ge Ma­le auf der Rei­se. Aber hier gibt es nicht vie­le Autos.
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Berglandschaft mit Holzhaus
Nachdem Hans und ich über ru­di­men­tä­re Kenn­tnis­se der ru­mä­ni­schen Spra­che ver­füg­ten, be­schlos­sen wir, nach ei­ner ge­eig­ne­ten Wie­se zu fra­gen: „Scu­zati, un­de es­te po­ia­na pen­tru cord?“ (Ent­schul­di­gen Sie, wo ist ei­ne Wie­se für ein Zelt?) Das frag­ten wir zwei Män­ner, die am We­ges­rand ge­ra­de da­mit be­schäf­tigt wa­ren, ei­nen schwe­ren Baum­stamm auf ei­ne Art Hän­ger zu hie­ven, vor dem ein Pferd ge­spannt war.
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Pferdefuhrwerk
Die Männer deuteten uns, dass wir kein Zelt bräuch­ten. Sie wür­den sich un­ser gleich an­neh­men, nach­dem wir ih­nen zur Hand ge­gan­gen sind. Nach ei­nem hef­ti­gen Ruck war der Stamm ver­la­den, das Pferd ver­zog kei­ne Mie­ne und trot­te­te los. Die Män­ner gin­gen vor­aus, wir folg­ten vol­ler Span­nung. Aus Er­fah­rung wuss­ten wir, dass es ein in­te­res­san­ter Abend in Lan­des­kun­de wer­den kann. Auf al­len un­se­ren Rei­sen er­leb­ten wir die ru­mä­ni­sche Dorf­be­völ­ke­rung als un­glaub­lich gast­freund­lich, of­fen und neu­gie­rig Frem­den ge­gen­über. Aber auch als ung­laub­lich trink­fest, vor al­lem die Männer.
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Bauernhof
Schließlich kamen wir an ein Haus mit Stal­lun­gen im obe­ren Teil des Dor­fes, von wo man ei­nen schö­nen Blick auf den Ort und die um­lie­gen­de Berg­ket­te hat­te, hin­ter de­nen sich die Son­ne ge­ra­de ver­barg. Ei­ner der bei­den Män­ner, Ioan, war der Herr des Hau­ses und hat es of­fen­bar zu ei­nem ge­wis­sen Wohl­stand ge­bracht. Er be­saß ein Au­to, das Haus war erst vor kur­zem frisch re­no­viert wor­den. Au­ßer­dem konn­te er noch wei­te­re Pfer­de sein Ei­gen nen­nen. Im Kel­ler des Hau­ses be­fand sich ein klei­ner Dorf­la­den mit „Knei­pe“, die Ioan mit sei­ner Frau und sei­nem Sohn führte.
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Mann und Kind sitzen an einem Tisch
Davor saßen zwei Män­ner, die of­fen­bar schon recht viel Al­ko­hol ge­trun­ken hat­ten. Der äl­te­re von bei­den ge­noss un­se­re Ge­sell­schaft sehr und ver­wi­ckel­te uns in Ge­sprä­che. Da­bei merk­ten wir, dass un­se­re Sprach­kennt­nis­se eben doch nur Grund­kennt­nis­se sind. Viel­leicht lag es aber auch am ho­hen Al­ko­hol­pe­gel des Man­nes, dass uns sei­ne Wor­te fremd vor­ka­men...
Es dauerte nicht lange und auch wir hat­ten Glä­ser vol­ler Tui­ca, dem le­gen­dä­ren, meist selbst­ge­brann­ten Pflau­men­schnaps, vor uns ste­hen. Er schmeck­te her­vor­ra­gend, hat­te aber ei­nen ho­hen Al­ko­hol­ge­halt. Und die Trink­ge­fä­ße gli­chen eher Saft- als Schnaps­glä­ser. Aber wie hat ein gu­ter Be­kann­ter von uns mal ge­sagt: Die ru­mä­ni­sche Spra­che lernt man am bes­ten beim Tui­ca trin­ken. Nach ei­ni­gen Run­den Schnaps kam die Kon­ver­sa­tion in Gang. Hans hielt sich mit dem Al­ko­hol zu­rück und wich im­mer mehr auf Was­ser aus. Ich glau­be, er dach­te, es sol­le we­nigs­tens ei­ner halb­wegs nüch­tern blei­ben, wo­mit er zwei­fels­ohne Recht hat­te. Die Stim­mung war gut und wir spiel­ten Kar­ten mit dem Sohn des Hau­ses und ei­nem Mäd­chen aus dem Dorf. Ei­ne Art Mau Mau auf ru­mä­nisch. Ir­gend­wie ge­lang es uns, die Spiel­re­geln zu ver­ste­hen. Die bei­den Kin­der hat­ten wohl ein biss­chen Eng­lisch und so­gar Fran­zö­sisch in der Schu­le, trau­ten sich aber nicht so recht, die­se Spra­chen an­zu­wen­den. Was uns na­tür­lich zwang, dem Ru­mä­ni­schen wei­ter zu fol­gen.
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Ioan sagte uns, wir als sei­ne Gäs­te kön­nen selbst­ver­ständ­lich im Haus über­nach­ten. Au­ßer­dem gibt es dann gleich Abend­es­sen, zu dem wir ein­ge­la­den sind. Sei­ne Frau führ­te uns ins Wohn­zim­mer des Hau­ses, wo sie ein So­fa aus­klapp­te und uns das Bett be­rei­te­te. Sie sprach we­nig, wirk­te sehr ernst, ganz im Kon­trast zur aus­ge­las­senen Stim­mung in der Knei­pe, der sie gänz­lich fern blieb. Wir hat­ten das Gefühl, dass wir ei­ne zu­sätz­li­che Last be­deu­te­ten und das war uns et­was un­an­ge­nehm. Wir hät­ten auch kein Pro­blem da­mit ge­habt, ein­fach un­ser Zelt im Gar­ten auf­zu­stel­len. Von drau­ßen rief uns der Herr des Hau­ses, es gä­be jetzt Abend­es­sen. Wir gin­gen in die Som­mer­kü­che und wur­den fürst­lich um­sorgt. Jetzt war klar, wa­rum wir die Frau die gan­ze Zeit nicht zu Ge­sicht be­ka­men. Sie koch­te für uns und ver­sorg­te so­gar noch die Tie­re in der Zwi­schen­zeit. Ioan gab der­weil den gön­ne­ri­schen Gast­ge­ber. Ein­mal mehr hat­te ich das Ge­fühl, dass oh­ne die Frau­en in Ru­mä­ni­en al­les zu­sam­men­bre­chen wür­de. Sie sind oft im Hin­ter­grund, hal­ten aber al­les zu­sam­men: Fa­mi­lie, Haus­halt, Dorf und letzt­lich das gan­ze Land. Die Män­ner spie­len sich oft in den Vor­der­grund, trin­ken und plau­dern, doch Ta­ten fol­gen sel­ten. Es wur­de spät, ge­gen Mit­ter­nacht gin­gen wir schla­fen. Drau­ßen hör­ten wir die Män­ner noch bis tief in die Nacht.
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Berglandschaft
Am nächsten Morgen schlie­fen wir ziem­lich lan­ge. Mei­nem Kopf ging es er­staun­lich gut. Die Er­in­ne­run­gen des ver­gan­ge­nen Abends wa­ren prä­sent, wenn auch et­was ne­bu­lös. Die war­me Vor­mit­tags­son­ne ließ Sa­ga­gea leuch­ten, die Glo­cken der or­tho­do­xen Dorf­kir­che er­klan­gen und wir er­fuh­ren plötz­lich von ei­nem Er­eig­nis, das die Män­ner die gan­ze Nacht nicht schla­fen lies. Es gab Nach­wuchs im Pfer­de­stall! Das klei­ne Foh­len war noch et­was wa­cke­lig auf den Bei­nen, aber sehr neu­gie­rig. Vol­ler Stolz prä­sen­tier­te uns Ioan den Fa­mi­lien­zu­wachs.
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Pferde
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Pferde
Nachdem wir die Pferde und sei­nen Hal­ter von al­len Sei­ten fo­to­gra­fiert hat­ten, be­schlos­sen wir, den Got­tes­dienst zu be­su­chen. Es war ja schließ­lich Sonn­tag! Ioans Fa­mi­lie schien nicht sehr re­li­giös, zu­min­dest blie­ben sie dem Got­tes­dienst fern. Wir spa­zier­ten die Dorf­stra­ße ent­lang zur Kir­che und tra­ten ein. Al­ler­dings stell­ten wir spä­ter fest, dass wir zum „fal­schen“ Ein­gang hi­nein­gin­gen, denn wir be­tra­ten das Got­tes­haus durch die hin­te­re Türe ge­nau ge­gen­über vom Al­tar. Das ist der Ein­gang für die Frau­en, die Män­ner be­tre­ten die Kir­che durch ei­ne an der Sei­te des Ge­bäu­des ge­le­ge­ne Tür. Wie auch im­mer, wir lausch­ten den Ge­sän­gen, be­schlos­sen aber nach kur­zer Zeit, wie­der den Ein­hei­mi­schen das Feld zu über­las­sen.
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Holzkirche
Zurück auf Ioans Hof ver­ab­schie­de­ten wir uns herz­lich, be­dank­ten uns für die Gast­freund­schaft, schenk­ten dem Jun­gen ei­ne Ta­schen­lam­pe und drück­ten dem Haus­herrn ei­ni­ge Lei in die Hand. Im Nach­hi­nein grü­bel­ten wir, ob es nicht bes­ser ge­we­sen wä­re, das Geld sei­ner Frau zu geben.
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Pferdefuhrwerk
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