"Schick ihn zur Hölle, vernichte ihn." Als der fünfzehnjährige Pavel das Foto des neuen Parteisekretärs an die Wand des Klassenzimmers nageln will, flüstert ihm seine Lehrerin Angela Barbulescu diesen Satz zu. Es ist der Morgen des 6. November 1957, der Sputnik piept im All, und mit diesem ungeheuerlichen Auftrag steht die Welt im Karpatendorf Baia Luna plötzlich kopf. Des Nachts verschwindet die Lehrerin spurlos, dann findet man den greisen Dorfpfarrer mit durchgeschnittener Kehle im Pfarrhaus, das Ewige Licht in der Kirche erlischt, und aus der Kapelle auf dem Mondberg wird die Madonna geraubt. Die Ereignisse überschlagen sich in dem einst so verschlafenen Dorf – rasant und mit großer Lust am Fabulieren erzählt Rolf Bauerdick in seinem Debüt "Wie die Madonna auf den Mond kam" von Pavels Anstrengungen, das Geheimnis der Lehrerin zu lüften. Was hat der gut aussehende Parteisekretär der traurigen Trinkerin Barbulescu angetan? Und wie hängen all diese mysteriösen Geschehnisse zusammen?
Ungemein fesselnd ist dieser Roman, der zugleich das Tor in eine bunte, fremde Welt aufstößt: Im fiktiven Baia Luna im Staate Transmontanien lebt ein konfliktfreudiges Völkergemisch aus Rumänen, Ungarn, deutschstämmigen Sachsen und Zigeunern, und der Autor haucht jedem der eigenwilligen Charaktere Leben ein. Da ist beispielsweise der alte Ilja Botev, Pavels Großvater, Kaufmann und Schankwirt, der fürchtet, die Sowjets könnten vor den gläubigen Amerikanern den Weltraum erobern. Denn sollten sie da oben tatsächlich einen Beweis für die Existenz Gottes finden, nicht auszudenken, zu welch drastischen Mitteln der kommunistische Machtapparat greifen würde, um weiterhin verkünden zu können: Gott existiert nicht. Diese Furcht treibt auch den weisen Zigan Dimitru um, Iljas besten Freund und Kopf der dörflichen Roma-Sippe. Stund um Stund sitzt er in der Pfarrbücherei, bedient sich reichlich aus den Töpfen des menschlichen Wissens, probiert hier und nascht dort und mixt schließlich alles nach eigenem Belieben zu einer Weltdeutung von ganz eigener Dialektik.
Gut zehn Jahre hat der 1957 im Sauerland geborene Rolf Bauerdick an diesem Roman gearbeitet – und jede Szene, jede Figur, jeder Dialog zeugt von seiner großen Liebe zum Detail, seiner bildkräftigen Fantasie, der überbordenden Lust am Erzählen. Pavels Auftrag, die Schandtaten an seiner Lehrerin zu rächen, beherrscht jahrzehntelang sein Denken – erst als der Sozialismus im schwarzen Loch der Geschichte verschwindet, gelingt es ihm, Gerechtigkeit zu erwirken. Wie die Madonna auf den Mond kam spiegelt ein halbes Jahrhundert osteuropäischer Geschichte bis zur Wende; ein furioser Roman über die Chiffren der Macht, die Last der Schuld, die Kraft der Freiheit und die Sehnsucht nach Erlösung – ebenso tragisch wie aberwitzig komisch. (Quelle Text HIER)