Böhmische Dörfer im Banat


von Gerd Ballas

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Selbst viele Rumänienkenner wis­sen nichts von den Böh­men, wel­che sich vor 180 Jah­ren im Ba­na­ter Berg­land an­ge­sie­delt ha­ben. Da sind die Sie­ben­bür­ger Sach­sen, die Ba­na­ter Schwa­ben, aber Böh­men? Nein, von de­nen ha­ben wir noch nie et­was ge­hört, so die Ant­wort vie­ler. Nun, es wa­ren auch nur we­ni­ge Fa­mi­lien wel­che da­mals den be­schwer­li­chen Weg aus der Ge­gend um Pil­sen in das un­be­kann­te und wil­de Ba­na­ter Berg­land um den Se­me­nik (1447 müM) auf sich nah­men. Nach­dem die gro­ßen Schwa­ben­zü­ge ab­ge­schlos­sen wa­ren, blie­ben die an­gren­zen­den Re­gio­nen, die sich süd­lich der be­sie­del­ten Ge­bie­te bis hin zur Do­nau er­streck­ten, un­ter der Kon­trol­le des Wie­ner Hof­kriegs­ra­tes. Be­son­ders das Berg­land um den Se­me­nik wur­de bis da­hin kaum er­fasst und so wuchs ein na­tür­li­ches In­te­res­se der Mi­li­tär­ver­wal­tung, wei­te­re Sied­ler als Bau­ern und Holz­ar­bei­ter ins Land zu ho­len.
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So fiel die Wahl auf die fleis­si­gen Böh­men aus dem böh­misch-baye­ri­schen Grenz­ge­biet. Au­ßer den Kreis­äm­tern wur­de selbst auf den Kan­zeln der Auf­ruf zur Aus­wan­de­rung ver­kün­det. Die Be­völ­ke­rungs­ex­plo­sion, die Miss­ern­ten und ei­ne sehr schwie­ri­ge Wirt­schafts­la­ge führ­ten da­zu, dass dort vie­le Bau­ern na­he dem Hun­ger­tod leb­ten. Nun wur­den die­sen Men­schen ein Land im Ba­nat, ...wo Milch und Ho­nig flie­ße... ver­spro­chen, des Wei­te­ren ... zehn­jäh­ri­ge Steu­er- und Mi­li­tär­frei­heit, kos­ten­lo­se An­rei­se, ei­ge­ne Hof­stel­len, kos­ten­lo­se Ge­wäh­rung des Erst­saat­gu­tes. Kein Wun­der, dass vie­le Knech­te und Mäg­de sich mel­de­ten, blie­ben ih­nen doch hier nur Ar­mut und ein schwe­res Le­ben.
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Aber welche Katastrophe, als sie end­lich nach Wo­chen mit Schif­fen über die Do­nau in ih­rem Pa­ra­dies an­ka­men, fan­den sie ei­nen Ur­wald in die­ser Re­gion vor. So hat­ten sie sich das Land wo Milch und Ho­nig fließt wirk­lich nicht vor­ge­stellt. Im Lau­fe des Jah­res 1828 nah­men die Sied­ler ih­re neu­en Wohn­plät­ze ei­ni­ge Ki­lo­me­ter nord­öst­lich des Se­me­nik­ge­bir­ges ein. Es ent­stan­den vier Dör­fer, Wei­den­thal mit 597 Be­woh­nern Wolfs­berg mit 444, Wolfs­wie­se mit 256 und Lin­den­feld mit 166 Be­woh­nern. Ins­ge­samt fan­den hier rund 1800 Men­schen ei­ne neue Hei­mat.
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Zu Beginn hieß es, erst den Ur­wald un­ter größ­ten An­stren­gun­gen und mit ein­fachs­ten Hilfs­mit­teln und Werk­zeu­gen zu kul­ti­vie­ren. Die für die Land­wirt­schaft un­güns­ti­gen kli­ma­ti­schen Ver­hält­nis­se auf ei­ner Mee­res­hö­he von 900 Me­ter lie­ßen in der Fol­ge nur ma­ge­re Ern­ten zu, die san­di­gen Bö­den er­wie­sen sich als äu­ßerst ero­sions­ge­fähr­det, und im übri­gen ge­die­hen aus ih­nen kaum Ge­trei­de­sor­ten au­ßer Rog­gen, da­rü­ber hi­naus ge­ra­de ein­mal Kar­tof­fel, Flachs und Fut­ter­rü­ben. Eben­so hart aber wie die be­schwer­li­chen ma­te­riel­len Be­din­gun­gen traf die Men­schen das har­te Re­gi­ment der Mi­li­tär­be­hör­de. Nach we­ni­gen Jah­ren wa­ren sie zu­tiefst de­mo­ra­li­siert. Die For­de­run­gen der Ab­wan­de­rung wur­den lau­ter und lau­ter, aber da­von woll­te das Mi­li­tär zu­nächst nichts hö­ren. Ob­wohl durch­ge­führ­te Ins­pek­tio­nen in Wei­den­thal und Wolfs­berg ein ver­hee­ren­des Bild er­ga­ben: "An Fleiß und An­stren­gung ha­ben es die Leu­te nicht feh­len las­sen, das zeig­ten die Wirt­schafts­ge­bäu­de und die Fel­der", ver­wei­ger­te man ih­nen die Ab­sied­lungs­er­laub­nis.
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Im Juli 1833 gab das Militär­kom­man­do nach und bis auf we­ni­ge Böh­men wa­ren al­le ins frucht­ba­re Ba­na­ter Tief­land ab­ge­zo­gen. Dort wur­den sie kei­nes­wegs mit of­fe­nen Ar­men emp­fan­gen, denn die meis­ten von ih­nen hat­ten es schwe­rer als vor­her. Sie muss­ten für we­nig Geld als Knech­te und Mäg­de ar­bei­ten und vie­le ver­lo­ren ihr biss­chen mit­ge­brach­tes Hab und Gut. Noch im sel­ben Jahr ba­ten vie­le von ih­nen die Be­hör­den, in ih­re al­ten Sied­lun­gen zu­rück­keh­ren zu dür­fen, was ih­nen auch ge­stat­tet wird. Le­dig­lich Wolfs­wie­se wur­de nicht mehr be­sie­delt. Die da­rauf fol­gen­den Jahr­zehn­te wa­ren ge­prägt von schwe­rer Feld­ar­beit, kal­ten Win­tern in de­nen Re­pa­ra­tu­ren am Haus, Hand­ar­bei­ten und Her­stel­lung von Werk­zeu­gen er­le­digt wur­den. Die Böh­men leb­ten au­tark und ab­ge­schnit­ten dort oben in ih­rer ei­ge­nen Welt. Die Wei­den­tha­ler Fa­mi­lien ver­kauf­ten ih­re Kar­tof­fel meist in Ca­ran­se­bes (Ka­ran­se­besch), wo­bei die Frau­en so­gar zwei­mal die Wo­che die­sen be­schwer­li­chen Weg mit "Rahm und Top­fen" auf sich nah­men. Die Wolfs­ber­ger be­lie­fer­ten meist Re­si­ta (Re­schitz) mit ih­ren Er­trä­gen. Dies än­der­te sich als die Stra­ße ge­baut wur­de und ein Li­nien­bus bis nach Re­si­ta fuhr. Da­nach fuh­ren auch die Wei­den­tha­ler dort­hin. Die Welt­krie­ge und ih­re Fol­gen (Ver­schlep­pung) gin­gen hier selbst an den Böh­men nicht schad­los vo­rü­ber. Eben­so das da­rauf fol­gen­de grau­sa­me Ceau­ses­cu Re­gi­me, un­ter dem auch die Be­woh­ner der Böh­men­dör­fer lit­ten.
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Wie rückständig die Men­schen dort le­ben muss­ten, zeigt sich da­ran, dass erst im Jah­re 1969 die Strom­ver­sor­gung in­stal­liert wur­de und dass erst ca. 1970 die Stra­ße (18 km) nach Franz­dorf (Va­liug) as­phal­tiert wur­de. Da­nach setz­te man auch ei­nen Pen­del­bus bis Re­si­ta ein. 1975 er­hielt man nach dem Bau ei­nes ent­spre­chen­den Sen­ders auf dem Se­me­nik tat­säch­lich Fern­seh­emp­fang. Un­ge­fähr zur sel­ben Zeit schaff­te sich der ers­te Wei­den­tha­ler ein Au­to an. In Lin­den­feld voll­zog sich schon im Jah­re 1977 ei­ne für die spä­te­ren Er­eig­nis­se in Wei­den­thal und Wolfs­berg pro­to­ty­pi­sche Ent­wick­lung: Weil es im­mer noch kei­ne aus­ge­bau­te Stra­ße hi­nun­ter ins Tal gibt, und weil man auf­grund de­ren Feh­lens mit dem Pfer­de­wa­gen vier Stun­den bis ins 20 km ent­fern­te Ka­ran­se­besch be­nö­tigt, folg­lich die Pen­de­lei da­mals wie heu­te schwer ist, wan­der­ten in kür­zes­ter Zeit so gut wie al­le Lin­den­fel­der ab. Das Dorf Lin­den­feld be­gann zu ver­fal­len. Die Be­woh­ner ver­teil­ten sich nach Wei­den­thal, Wolfs­berg, Ka­ran­se­bes oder Sla­ti­na Ti­mis.
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In den späten 70er bis in die 80er Jah­ren konn­ten die Böh­men gut von dem Ver­kauf in der Stadt le­ben, da durch die Plan­wirt­schaft kei­ne Milch­er­zeug­nis­se oder Ähn­li­ches zu fin­den war. So­mit füll­ten sie ei­ne Markt­lü­cke. Vie­le der Böh­men ar­bei­te­ten im Stra­ßen­bau oder pen­del­ten zu Fir­men nach Ka­ran­se­besch und nach Re­si­ta und ka­men meis­tens nur am Wo­chen­en­de nach Hau­se. Ein gro­ßer Vor­teil der Böh­mi­schen Ge­birgs­dör­fer ge­gen­über den Bau­ern in der Ebe­ne war, dass in den 50er Jah­ren von der kom­mu­nis­ti­schen Re­gie­rung kei­ne Zwangs­kol­lek­ti­vie­rung für die­se Re­gio­nen ver­ord­net wur­de. Des­halb konn­te je­der sein Feld und sei­ne Tie­re be­hal­ten und wur­de nicht ge­zwun­gen sich ei­ner Kol­lek­tiv­ge­nos­sen­schaft un­ter­zu­ord­nen. Das Le­ben der deut­schen Min­der­hei­ten in Ru­mä­nien wur­de ab Mit­te der 70er Jah­re im­mer schwie­ri­ger. Ver­schie­de­ne Ge­set­zes­maß­nah­men soll­ten ih­re As­si­mi­la­tion be­för­dern. Ei­ne Rei­he von Deutsch­böh­men rea­gier­te früh­zei­tig, ins­be­son­de­re die­je­ni­gen, die in der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land seit den Nach­kriegs­er­eig­nis­sen Ver­wand­te hat­ten. Vie­le stell­ten Aus­rei­se­an­trä­ge, die in der Re­gel erst nach jah­re­lan­gem War­ten be­für­wor­tet wur­den. Ei­ni­ge, die nicht war­ten woll­ten, flüch­te­ten über die Do­nau oder Ju­gos­la­wien nach Deutsch­land, oder gin­gen - wie es im Jar­gon hieß, "auf Ur­laub". Als nach der ru­mä­ni­schen Re­vo­lu­tion 1989 die Gren­zen ge­öff­net wur­den, gab es für die Böh­men kein Hal­ten mehr. Nie­mand woll­te mehr zu­rück­blei­ben. Die Ab­wan­de­rungs­wel­le be­gann im Früh­jahr 1990 und riss in­ner­halb ei­nes Jah­res fast al­le mit sich. In Wei­den­thal leb­ten im Au­gust 1985 noch 568 Per­so­nen. Os­tern 1990 um­fass­te es noch 117 Haus­hal­te mit 518 Per­so­nen, am 1. Ju­li wa­ren es 277 Per­so­nen, wäh­rend am 30. Ju­ni 1999 nur noch 22 Per­so­nen üb­rig blie­ben. Heu­te le­ben hier nur noch drei Wei­den­tha­ler. In Wolfs­berg hat sich ei­ne ähn­li­che Ent­wick­lung voll­zo­gen, wenn auch dort der­zeit im­mer­hin 30 Deutsch­böh­men an­ge­sie­delt sind. Die­ser Exo­dus der Jah­re 1990/1991 war in ers­ter Li­nie ein Be­frei­ungs­schlag an­ge­sichts der viel­fäl­ti­gen Be­schwer­nis­se und Be­las­tun­gen im ru­mä­ni­schen Staat. Er trägt aber, so wie er sich dar­stellt, auch die Zü­ge ei­ner Pa­nik­reak­tion in ei­ner his­to­ri­schen Si­tua­tion, in der die Angst, vor dem al­lei­ni­gen Aus­ge­lie­fert­sein sein an ein wo­mög­lich zu­künf­ti­ges rein ru­mä­ni­sches Um­feld und ei­nen skep­tisch be­äug­ten ru­mä­ni­schen Staat, die­se Men­schen zu­tiefst ver­un­si­cherte.
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Die Banater Bergland Böhmen le­ben heu­te in gro­ßer Zahl in der Ge­gend um Traun­stein. Wen ich auch im­mer von den ehe­ma­li­gen Wei­den­tha­ler und Wolfs­ber­ger be­fra­ge; die An­sied­lung in Deutsch­land ist für al­le zu ei­ner Er­folgs­ge­schich­te ge­wor­den. Der Start ins neue Le­ben als Deut­scher Bür­ger ge­lang, weil die Deutsch­böh­men we­sent­li­che Vo­raus­set­zun­gen mit­brach­ten, wie den er­erb­ten Pio­nier­geist ih­rer Vor­fah­ren und zu­gleich Grund­tu­gen­den, oh­ne die ein Über­le­ben in den ab­ge­le­ge­nen Berg­dör­fern und im real exis­tie­ren­den So­zia­lis­mus nicht mög­lich ge­we­sen wä­re. Hin­zu kom­men noch: Ar­beits­wil­le, Be­schei­den­heit und Im­pro­vi­sa­tions­ta­lent. Jo­sef Irl­weg, der kul­tu­rel­le Men­tor Wei­den­thals, sag­te in ei­nem In­ter­view, ... "Ich bin jetzt hier da­heim. Ich fühl mich wohl". Und doch füg­te er sei­ner Fest­stel­lung ein gro­ßes "Aber" hin­zu: "Da­heim, so wie in Wei­den­thal - das gibt es nicht mehr. Es fehlt ir­gend­et­was...".
Wenn ich heu­te durch Wei­den­thal oder Wolfs­berg lau­fe, be­son­ders an Pfings­ten oder im Au­gust, wenn in Bay­ern Fe­rien sind, se­he ich vie­le Au­tos mit dem Traun­stei­ner Kenn­zei­chen. Folg­lich kom­men doch noch vie­le Böh­men in ih­re al­te Hei­mat zu­rück, wenn auch nur um ih­ren Ur­laub dort zu ver­brin­gen. Wei­den­thal oder Wolfs­berg gibt es als al­tes Böh­men­dorf nicht mehr, es wird als Ur­laubs­dorf Bre­bu Nou, bzw. Ga­ra­na wei­ter­le­ben. Nur wenn die Böh­men ih­ren Ur­laub hier ver­brin­gen, be­kommt man als Frem­der ei­nen klei­nen Ein­blick in die Zei­ten vor der Aus­wan­de­rung.
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Gerd Ballas, Mörfelden-Wall­dorf den 26.11.2006 - Li­te­ra­tur­an­ga­be: Das Le­ben zwi­schen Ges­tern und Heu­te von Tho­mas Hö­hen­leit­ner
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