Sommer 1939 in Rumaenien mit Lichtbildern des Verfassers

Ein Auszug aus dem oben genannten Reisebericht - erschienen 1940 im Wiking Verlag Berlin

von Korbinian Lecher

Bucureşti - Magnet in der Walachei

Bucureşti auf den ersten Blick, gesehen durch das Fenster eines fahrenden Autos:

Alles ist so merkwürdig neu hier, um nicht gleich zu sagen, so übertrieben modern, einige Straßenzüge scheint man sogar frisch aus Amerika bezogen zu haben - rumänisch wie ich es mir vorgestellt habe, ist es nicht.

Großstadtverkehr in nahezu beängstigenden Ausmaßen, allerdings ohne Radfahrer und nur mit ganz wenigen Motorrädern, aber Auto, Autos - du lieber Himmel, gibt es denn nur Generaldirektoren in Bukarest?

Gemach Ihr Leute - Bluff ist Trumpf. Denn die meisten der fabelhaften Generaldirektorenkisten amerikanischer Herkunft und ausgerüstet mit allen Schikanen von übermorgen haben ja neben der Nummer zwei Buchstaben nebeneinander stehen, ein großes T und ein kleines x - das behördliche Kennzeichen für Autodroschken.

Die ekelhafte Zähluhr, das peinvolle Sorgenkind wohl der meisten Fahrgäste, ist nicht außen, sondern innen im Wagen angebracht. Jedenfalls darf ich selbst auf meiner ersten Fahrt durch Bukarest die liebenswürdig - eindeutige Einrichtung zur Vorspiegelung falscher Tatsachen in Anspruch nehmen - wie ein echter Bukarester!

Zunächst habe ich freilich zu lernen, denn in Bukarest ist es ja im Allgemeinen so üblich, dass nicht der Herr Taxischofför, sondern der Fahrgast selbst den Weg kennen und an jeder Straßenkreuzung dem Mann am Steuer zurufen muß: links oder rechts oder gerade aus.

Ein Stadtplan gehört nämlich schon nicht mehr zum Dienst am Kunden - zum Glück ist das Benzin nicht teuer.

Übrigens ist auch die Straßenbahn, die sich zwischen all dem übermodernen Amerikanismus so merkwürdig altertümlich ausnimmt, sehr billig: Im ersten Wagen kostet eine beliebig lange Fahrt 5 Lei (12,4 Pfennig), im Anhänger nur 4. Aber noch altertümlicher wirken die Pferdedroschken, die unter der Konkurrenz der Autos wohl eines Tages ganz von der Bildfläche verschwinden werden. Immerhin setzt sich die elegante Bukaresterin ganz gerne mal bei schönem Wetter in eine offene Pferdekutsche - denn gesehen werden gehört ja auch zum Leben.

Im Hotel geht es dann wieder ganz und gar amerikanisch zu. Allerdings scheint der Telephonapparat amerikanischer Herkunft bereits balkanischer Manieren angenommen zu haben - das heißt, Rumänien gehört ja gar nicht mehr zum Balkan, pardon, jedenfalls nicht im geografischen Sinn.

Ich habe es also, sagen wir mal, nur mit der Tücke des Objektes zu tun, doch mein Partner am anderen Ende der Leitung, dem ich einige Dutzend Male zubrülle, dass ich ihn beim besten Willen nicht hören, geschweige erst verstehen könnte, weiß einen ausgezeichneten Rat, wie man das Biest zum Gehorsam zwingt. Schlagen Sie doch den Kasten ein paar Mal gegen die Tischkante! - Sagt er - und bekommt tatsächlich recht.

Auf der Polizeipräfektur scheint dann endlich Rumänien selbst zu beginnen.

Braun uniformierte Schutzleute mit dicken weißen Fangschnurbündeln auf der Brust und beinahe gewaltigen Tellermützen auf den Kopf, der Gummiknüppel scheint Ihnen ans Handgelenk gewachsen zu sein. Vor dem Eingang ein Doppelposten mit aufgepflanzen Bajonett, Uniformen und Helme haben wohl im Münchner Museum nahe Verwandte, wenn ich mich nicht ganz täusche. In einem Durchgang sehe ich dann an der Mauer ein Schild hängen: Aufgang zur Fremdenpolizei im 3. Stock. Natürlich ist ein Aufzug vorhanden. Aber die Menge der um die Aufenthaltsbewilligung nachsuchenden muß dennoch auf schmalen Treppen, die zwei aneinander vorbeikommenden kaum das Ausweichen gestatten hinaufgehen. Der Aufzug ist außer Betrieb. Oben wird man dann, eingekeilt in den Haufen der Wartenden und langsam Vorwärtsdrängenden, vor den ersten der acht oder neun Schalter, an denen man nacheinander vorzusprechen hat, geschleust. Am Ende des langen Korridors, wo die ganze Bukarester Fremdenpolizei wohl zu Ende ist, stehen zwei Bänke mit Rückenlehnen, darüber hängt ein Inventarverzeichnis: Zwei Bänke mit Rückenlehnen.

Nicht weit von den Bänken sitzt auf einem Schemel ein Mann, der Stempelmarken an die sich meldenden Ausländer verkauft. Die Marken hat er in einer kleinen Blechschachtel, die er jedes Mal unter dem Teppich hervorholt und am Ende dorthin wieder zurückschiebt.

Wenn man erst einmal so weit ist, dass man die erste Marke holen kann, dann wäre es allmählich Zeit für einen kleinen Imbiß, und wenn man die letzte Marke in die Aufenthaltsbewilligung klebt, dann ist es bestimmt nicht mehr weit zum Abendessen - das Dokument schaut aber aus wie ein richtiger Staatsvertrag, eine Stange Geld hat es außerdem gekostet. Immerhin kann man die Aufenthaltsbewilligung, wenn man es erst einmal weiß - wie, das sagt ihnen jeder Hotelportier...

© by Korbinian Lecher
Wiking Verlag Berlin, 2. Auflage 1940

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