Nachdenklicher Überlebensbericht einer Vegetarierin in Rumänien

von Nina May

"Das Schwein ist das liebste Gemüse der Rumänen" - wie oft muss ich mir diesen scherzhaft gemeinten Satz anhören, wenn ich bekenne, Vegetarierin zu sein! Nein, es ist keine religiöse Sekte, keine heimtückische Krankheit und kein Diätwahn, die mich dazu bewegen, meine "Mittiere" überall, nur bloß nicht auf dem Teller zu akzeptieren. Ich weiß nicht recht, wie ich es am besten erklären soll? Ein flauschiges Lämmchen löst bei mir halt keinen Speichelfluss aus, sondern Streichel- und Kuscheltrieb. Außerdem esse ich nichts, was mich aus rosa umrahmten Augen anguckt (ein Sellerie tut sowas Gott sei Dank nicht)! Vielleicht erklär ich's lieber so: Könntest du eine tote Maus essen? Oder einen Geier? Nein? Auch nicht gekocht, gewürzt und mit lecker Soße? Wie wär's mit Schäferhund im Backteig? Auch nicht? - Na siehst du! Genauso geht es mir mit Schwein, Rind und Co. Ich wusste es. Wir verstehen uns doch!

Und lächle amüsiert in mich hinein, wenn ich bedauernd gefragt werde: "Wie kannst du als Vegetarierin in Rumänien überleben?" Amüsiert, und geheimnisvoll wissend. Denn Rumänien ist mein Eldorado! Aber pssst, nicht weitersagen!

Vorspeisenplatte mit Gemüse und hausgemachtem Käse
in ländlichem Lokal in den Karpaten

Denn hier schmecken Gurken noch nach Gurke und nicht nach grünem Wassersack. Reinbeißen und runter damit, sogar ohne Salz! Beim Genuss von Weintrauben muss man zwar Kerne spucken und resche Haut kauen, aber das Aroma ist dafür einfach unbeschreiblich. Haut und Kerne kann man sich sparen, wenn man im Spätsommer dem köstlichen unvergorenen "Most" oder hausgemachtem Landwein zuspricht. Gar nicht zu sprechen von roten Zwiebeln, so zart, dass man sie als Salat essen kann. Von Kartoffeln, die ausnahmsweise mal nicht irgendwie süßlich oder nach Apotheke schmecken. Und die Tomaten! Nicht selten kommt es vor, dass sich einer meiner Besucher eine Tüte sonnengereifter rumänischer Tomaten mit in den Flieger nimmt. Uneingeweihte mögen jetzt süffisant grinsen. Denn sie wissen nicht, was sie verpassen. Tomaten gibt's hier zudem in allen Formen - meine Lieblingssorte hat lustige Zipfelchen und heißt ihrem Aussehen entsprechend "Kuh-Euterchen" ("ţâţa vacii"). Eine längliche Eiertomate wird auf dem Land "Bauernpimmelchen" ("puţulica ţăranului") genannt. Sie ist besonders gut zum Trocknen und für Salate geeignet. Und sie duftet meterweit. Ich merk das schon an der Tür, wenn eine frische Tomate in meiner Küche liegt, ehrlich!

Auf meinen ersten Streifzügen über die "Piata" begegnete ich anfangs einer Fülle von Blattsorten, die ich noch nie im Leben gesehen hatte, geschweige denn deren Namen kannte - weder auf Rumänisch, noch auf Deutsch. Hier isst man junge Brennnesseln wie Spinat zubereitet, Bärlauch ("leurda") frisch aus dem Wald, würzige rot-grüne Salatblättchen namens "Lappen" ("loboda") und herzförmige, wachsartig glänzende mit dem suggestiven Namen "Butterchen" ("untişor"). Auch junge Meerrettichblätter kann man im Salat verwenden - auf diese Weise lässt sich der meist unerwünschte Wildwuchs dieser Pflanze im Garten eindämmen. Nur zögernd verrate ich euch, dass man in Transilvanien am Straßenrand eimerweise echte Steinpilze kaufen kann. Ich geb's ja zu: eigentlich will ich die alle selber essen! Und natürlich auch die Heidelbeeren ("afine"), Himbeeren ("zmeure"), Walderdbeeren ("fragi"), sowie deren alkoholische Derivate "Afinată", "Zmeurată" usw. Und wer kennt heutzutage noch den Geschmack schwarzer Johannisbeeren ("coacăze"), frisch vom Strauch? Die Karpatenbären hingegen dürft ihr ruhig selber essen...

Gemüsegarten auf Weinbauhügel (Tonciu) Tonciu, mein idyllisches Dorf in Bistriţa-Năsăud

Selbst in der Stadt halten sich ländliche Gemüse-Traditionen. Pflicht ist das winterliche Kohlfass auf dem Balkon. Dort dümpeln die Kohlvorräte für einen ganzen Winter in Salzlake, zusammen mit Dillstängeln und einem Röhrchen zum Ableiten der Gärgase. Die Weißkohlblätter braucht man nicht nur für das obligate Weihnachtsessen, die Sărmăluţe - kleine, mit Reis und Hackfleisch gefüllte und im Ofen gegarte Rouladen (geht auch vegetarisch, mit Walnüssen oder Pilzen statt dem Fleisch), sondern man kann die stark Vitamin-C-haltigen Blätter auch als Salat oder gekochte Gemüsebeilage zubereiten. Verbreitet sind die in Essig eingelegten gewürzten Gemüse, die ebenfalls einen Winter lang und länger halten. In einem meist eimergroßen Einmachglas tummeln sich bunt durcheinandergewürfelt Selleriestücke, grüne Tomaten, Blumenkohlröschen, Gurken, Karotten, krautgefüllte rote Paprika - manchmal sogar Birnen und kleine Wassermelonenhälften. In ländlichen Gaststätten findet man diese oft mit in Blumenform zugeschnittenen Gemüsescheiben oder kunstvollen Sellerieschnitzereien verziert. In den rumänischen Kellern lagern kleine rotbackige Äpfel, die - in Sand eingegraben - einen ganzen Winter lang ihr zartsäuerliches unvergleichliches Aroma behalten. Selbst der Maisgrieß schmeckt hier anders. Einheimische behaupten, es läge am natürlichen Anbau ohne all das Gedünge und Gespritze. Ja, es gibt auch ein paar Rumänen, die stolz darauf sind.

Leider wird deren Stimme überhört. Sie sprechen leise zu ihren eigenen Tomaten im Hinterhof, während die Masse auf der Straße ein Freudengeheul über den EU-Beitritt anstimmt. Im Schlepptau des EU-Fortschritts infiltrieren nun grasgrüne glänzende Äpfel, Gen-Soja und holländische Tomaten das Land. Makellose Billiggemüse überschwemmen den Markt, so dass die einheimischen Bauern frustriert ihre Landwirtschaften aufgeben. Ganze Dörfer verkaufen hunderthektarweise Bio-Ackerland zu Spottpreisen an ausländische Global Player, die sich die gut vorbereiteten Lefzen lecken. Dafür bekommen die Rumänen Gurken mit politisch korrektem Krümmungsgrad. Zu letzterem gab's mal eine lustige Umfrage im Fernsehen: worauf achten Sie beim Kauf einer Gurke? Wer hätte wohl geahnt, dass keiner der sonst so EU-begeisterten Rumänen politisch korrekt geantwortet hat...

Schafsmelker in Tonciu

Mir kommen die Tränen, wenn ich an Feldern mit gelben Schildern vorbeifahre, die gentechnische Versuchskulturen markieren. Und weine mit der Bäuerin, die ich 2 km Hoppel-Stein-Schlammstrecke mit ihren schweren Tüten bis ins nächste Dorf mitgenommen habe, weil sie ihre sechs Kühe jetzt an eine Melkmaschine verkabeln muss, wenn sie ihre Milch verkaufen will. Und dies in einem Land, wo Bauernhäuser nur 1-2 Steckdosen haben. Und einen Ziehbrunnen. Und ein Plumpsklo. Wo die Hausfrau noch Seife aus Schweinefett siedet, weil das billiger ist als moderne Detergenzien. Wo Kühe von einem Hüterbuben getrieben um acht Uhr morgens durchs Dorf traben, auf dem Weg zur Weide. Zu Licht, Sonne und fettem grünem Gras! Ihr Getrappel klingt auf dem Erdboden der Dorfstraße wie ein friedlich plätschernder Wasserfall. Wie lange noch?

Rumänien ist in Umbruch. Im Aufbruch in die EU. Hoffentlich wird es kein Zusammenbruch all dessen, was dieses Land so liebenswert macht. Das wunderbare Gemüse ist nur ein symbolischer kleiner Teil davon. Ein Symbol für noch fast unberührte Natur. Ein Symbol für ein Land mit soviel Potential, wenn man einen gekonnten Blick hinter die Kulissen wirft. Europa, schau doch mal hin! Rumänien ist dein Reformhaus, deine Naturapotheke, dein Bio-Bauernhof. Hier können sich deine gestressten Manager und Politiker aus anderen Ländern ausruhen und Kraft schöpfen. Und Ideen. Vor allem Ideen. Verwöhnte Göttin, steig herab aus deinem Olymp und erkenne, dass auch du noch etwas lernen kannst. Jawohl ... auch von Rumänien.

Grün bis zum Horizont (bei Bistriţa) Kartoffelfeld in Sarmizegetusa
Hoch auf dem Pferdewagen (Tonciu)
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