Wir sind erfüllt von unaussprechlicher Freude, dass wir in Frieden und Gesundheit, und jeder in seiner Tradition, wieder die zweithöchste Feier der Christenheit begehen dürfen: das Geburtsfest Jesu Christi. Dies ist ein glaubwürdiges Zeugnis gegenüber der Welt, dass wir alle den gleichen Herrn und Erlöser haben. Für uns Menschen und zu unserer Erlösung ist er herabgekommen vom Himmel und Mensch geworden. Für uns ist er freiwillig in den Tod am Kreuz gegangen. Er ist auferstanden und aufgefahren zum Vater im Himmel, von Dem aus uns der Heilige Geist zukam.
Meine geliebten geistlichen Kinder,
ich habe zu Beginn dieser Andacht aus dem Evangelium des Lukas zitiert. Vor dem angeführten Hymnus der himmlichen Heerscharen heisst es dort: "Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids." Durch die geistliche Verbundenheit im Glauben und in der Liebe, die uns aneinander und an Christus bindet, sind wir zu Brüdern und Schwestern geworden. Diese geistliche Verbundenheit lässt sich mit nichts vergleichen; sie ist stärker als Blutsverwandtschaft und stärker als der Tod. Erinnern wir uns daran, dass die ersten Christen ihr Hab und Gut verkauften, um einem jeden zu geben, was er nötig hatte. (vgl. Apostelgeschichte 4, 34).
Die frühen Christen lebten in so starker Einheit und Harmonie, dass "die Gemeinde der Gläubigen ein Herz und eine Seele war; und nicht einer nannte etwas von dem, was er hatte, sein Eigentum, sondern sie hatten alles gemeinsam" (Apostelgeschichte 4, 32). Dies ist das Ideal des christlichen Lebens: dass jede christliche Gemeinschaft und jede Gemeinde eine Familie von Gläubigen bildet, die sich so sehr lieben, dass jeder bereit ist, alles für seinen Nächsten zu opfern. Doch wie weit sind wir von diesem Ideal entfernt. Viele sind sich dessen nicht einmal mehr bewusst. Andere halten das schlicht und ergreifend für utopisch. Und wie können wir Frieden und Harmonie in unseren Pfarreien, Familien und der Welt erwarten, wenn die meisten Christen sich nicht darum bemühen, Christus wirklich nachzufolgen, sondern nur Namenschristen sind? Nur in Christus können wir wirklich lieben. Denn zu lieben bedeutet Selbstverzicht, freilich nicht aus der Freude daraus, uns selbst zu quälen, sondern um die für uns zu gewinnen, die uns nicht verstehen oder sogar hassen.
Oft beklagen wir uns, dass unsere Nächsten uns nicht verstehen oder hassen. Doch fragen wir uns einmal: Lieben wir sie denn wirklich? Sind wir imstande, jene, die uns hassen, "Bruder" oder "Schwester" zu nennen? Verzeihen wir alles um Christi willen? Wenn wir ehrlich gegenüber uns selbst sind, dann werden wir feststellen, dass in vielen Auseinandersetzungen, die wir mit unseren Nächsten erleben, die Schuld oder wenigstens ein Teil davon bei uns liegen, dass also auch wir daran schuld sind. Und auch wenn wir einmal absolut unschuldig sind, was sehr selten vorkommt, dann erlaubt uns doch unser Glaube und die Liebe zu unserem Erlöser Christus nicht zu hassen. Warum? Weil wir von Gott dem Herrn die Kraft empfangen haben, sogar unseren Feinden zu vergeben, wie auch unser Herr Jesus Christus seinen Feinden vergeben hat und auch jetzt uns allen vergibt, die wir so viel sündigen. Und wenn Er uns vergibt, dann haben auch wir zu vergeben.
Wir dürfen nie vergessen, dass wir die besondere Kraft zur Vergebung in uns tragen, an die wir immer appellieren müssen, wenn ein Streit in der Familie, in der Gemeinde oder in der Gesellschaft ausbricht. Doch wie aktivieren wir diese Kraft zur Vergebung in uns? Gewiss durch fleißiges Beten, das unsere Seele anrührt, weil wir immer wieder vom Bösen angezogen und verführt werden; auch dadurch, dass wir für jene persönlich und im Gottesdienst beten, die uns ärgern und uns hassen, und zwar mit dem innigen Wunsch, dass Gott ihnen vergebe und sie vom verkehrten Weg abbringe; besonders auch durch das Fasten für einige Tage oder Wochen, um Frieden mit uns selbst zu finden und darüber hinaus auch innerlich darauf zu hoffen, dass Gott wirkt und die Herzen aller Menschen zum Guten verwandelt. Ein großer Geistlicher verkündigt uns mit den Worten: "Wenn du willst, dass Gott dir einen Wunsch erfüllt, dann bete zuerst für deine Feinde. Bete so: 'Herr Jesus Christus, Sohn Gottes, erbarme dich Deines Knechtes ... und erbarme dich auch über mich armen Sünder.' Sag dies mehrere hundert Mal am Tag mit demütigem Herzen." Wir sollten nicht vergessen, dass Gott nicht in Eile handelt wie wir. Er vergilt jedem nach seinen Taten. Doch auch dies mit Geduld. Vor allem dann, wenn wir nicht daran denken und es nicht erwarten! Besonders wichtig ist im Blick auf die Auseinandersetzungen zwischen Menschen, dass der Gläubige oder die Gläubigen auf alle Fälle Streit vermeiden, indem sie sich bei Konflikten selbst zurücknehmen. Unser Erlöser hat sich nicht dem Bösen entgegengestellt und nicht mit seinen Gegnern polemisiert, sondern aus freien Stücken Seinen Tod akzeptiert, um gerade durch Seinen Tod das Böse wie auch den Tod zu überwinden und am dritten Tage aufzuerstehen. Wenn wir Christus wirklich auf unserer Seite haben, weil wir uns darum bemühen, uns mit Ihm zu identifizieren, dann können wir nur Sieger sein, auch wenn unser Sieg in den Augen der Anderen als Schwäche erscheint.