Nach Hause - Teil 2


von Alexandra

Clip

Noch ein paar Ein­drü­cke will ich er­zäh­len aus dem Lande Ro­ma­nia. Viel war ich un­ter­wegs in den letz­ten Wo­chen, ha­be viel ge­se­hen und ge­hört. Wenn ich zu Men­schen in ein Haus kom­me, dann kommt gleich je­mand mit ei­ner gro­ßen Plas­tik-Was­ser­fla­sche an­ge­lau­fen und ich den­ke mir: na­ja, ein biss­chen ko­misch, mit Was­ser be­grüsst zu wer­den. Doch mir fällt schnell wie­der ein: na­tür­lich ist es kein Was­ser, na­tür­lich ist es haus­ei­ge­ner Schnaps, und das ist ganz selbst­ver­ständ­lich hier, über­all. Und es wird gleich viel ge­lacht.

Doch auch die trauri­gen Sei­ten ha­be ich mit­be­kom­men. Vor al­lem die trau­ri­gen Sei­ten, wel­che durch Ar­mut und Al­ko­hol ent­ste­hen. So gibt es im­mer noch vie­le Fa­mi­lien, die ih­re Kin­der nicht er­näh­ren kön­nen und die die­se dann in Hei­men oder gleich nach der Ge­burt im Kran­ken­haus aus­set­zen. Die­se Kin­der wach­sen dann völ­lig ein­sam in ei­nem Git­ter­bett auf, lie­gen jah­re­lang, wer­den durch Me­di­ka­men­te ru­hig ge­hal­ten, kön­nen kei­ne Per­sön­lich­keit, kei­nen Cha­rak­ter ent­wi­ckeln. Be­kom­men kei­ne Lie­be, kei­ne Zu­nei­gung. Die Hei­me sind voll, die Kran­ken­häu­ser auch. Und viel zu we­nig Zeit, Per­so­nal, Geld...

Ei­ne Fa­mi­lie ha­be ich ken­nen­ge­lernt, wel­che ein sol­ches klei­nes Mäd­chen adop­tiert hat. Doch die­se ers­ten drei Jah­re, die das Kind im Bett lag, die kann es nie wie­der nach­ho­len. Es wird im­mer ein we­nig geis­tig be­nach­tei­ligt sein. Auch Frau­en ha­be ich ken­nen ge­lernt, die von ih­rem Mann ge­schla­gen wer­den, wo der Mann, der sei­nen gan­zen Lohn ver­trinkt, dann ag­gres­siv nach Hau­se kommt. Ei­ne Frau auf ei­nem der Hö­fe, auf dem ich war, die nach dem Wo­chen­en­de oft mit blau­en Fle­cken und ro­ten Wun­den im Ge­sicht zur Ar­beit kommt. Sie hat vier Kin­der, für mehr reicht das Geld nicht. Und so hat sie schon acht Ab­trei­bun­gen hin­ter sich, und es wa­ren wohl nicht die letz­ten. Das macht mich so wü­tend! Sie al­ler­dings, sie lä­chelt ge­dul­dig und sagt: es ist eben so. Sie kann den Mann nicht ver­las­sen. Was soll sie sonst tun und was wür­den die Nach­barn sa­gen? Was für ei­ne Frage!

Clip

Aber auch sehr viel Schönes ha­be ich er­lebt. So kam ein Freund aus Deutsch­land und wir wa­ren ei­ni­ge Ta­ge zu­sam­men un­ter­wegs. Wir wa­ren wun­der­bar wan­dern in die­sen Sie­ben­bür­gi­schen Hü­geln und Wäl­dern, von ei­nem Dorf zum nächs­ten. Früh mor­gens zie­hen noch die Ne­bel durchs Dorf, der Hir­te taucht aus dem Ne­bel auf mit ei­ner Her­de Kü­he, es kom­men Pfer­de­wa­gen, ein paar Ro­ma­kin­der auf der Stra­ße. Die Son­ne kommt raus, es wird wie­der ein war­mer Tag!

In einem Dorf blei­ben wir über Nacht. Un­ser Weg führt uns an ei­nem klei­nen La­den in ei­nem Hin­ter­hof vor­bei. Von dem La­den ist von der Stra­ße aus nichts zu se­hen. Erst als wir im Kel­ler ste­hen, se­hen wir, dass es hier al­les Mög­li­che zu kau­fen gibt: Brot, Zwie­beln, Sü­ßig­kei­ten, Chips, Ge­trän­ke, Na­gel­lack, al­les. Ein paar Män­ner ste­hen im La­den, Ge­mur­mel, kau­fen Bier. Bier gibt's hier in 2,5 l Fla­schen. Die Ge­stal­ten, die Ge­sich­ter, sie er­in­nern an Cow­boys: mar­kan­te, vom Wet­ter ge­gerb­te Ge­sich­ter, Bart­stop­peln, Hut. Sie ge­hen raus und set­zen sich im Hof um ei­nen Tisch. Ei­ne ver­welk­te Blu­me und vie­le Bier­fla­schen ste­hen drauf. Sie rau­chen, trin­ken und re­den. Wir ge­hen raus aus dem Hof, auf die Stra­ße, und was steht da vor dem Hof­tor? Pfer­de und Wä­gen!! Hier ha­ben sie ih­re Pfer­de­fuhr­wer­ke ab­ge­stellt, die Pfer­de schnau­ben und war­ten ge­dul­dig in der dunk­len und kal­ten Nacht, bis die Fahrt wei­ter geht. Wie im Wild-West-Film!

Clip

Ich stehe an der Stra­ße und war­te, dass mich ein Au­to mit­nimmt, denn es gibt kei­nen Bus in die­sem Dorf. Es klap­pert und schep­pert, ein al­tes Au­to hält an, ich ma­che dir Tür auf, will ein­stei­gen, der Mo­tor würgt ab. Der Fah­rer grinst, sagt, oh­ne Ben­zin fährt kein Au­to, steigt aus, holt ei­nen Ka­nis­ter aus dem Kof­fer­raum und will ein­fül­len, doch er hat kei­nen Trich­ter. Zum Glück liegt über­all Müll rum in Ru­mä­nien. Vom Feld ne­ben der Stra­ße nimmt er ei­ne lee­re Plas­tik­fla­sche, schnei­det sie mit ei­nem Mes­ser in der Mit­te durch und schon hat er ei­nen Trich­ter. Er füllt Ben­zin nach und schon fliegt der neue "Trich­ter" wie­der aufs Feld - wei­ter geht die Fahrt.

Vieles erinnert mich an Süd­ame­ri­ka hier, doch man­ches ist auch ganz an­ders. In Süd­ame­ri­ka wird an je­der Ecke was ge­brut­zelt und ge­bra­ten. Über­all gibt es was zu Es­sen. Hier muss man das Es­sen manch­mal fast schon su­chen, muss ent­we­der in ei­nem Res­tau­rant Es­sen ge­hen oder aber man kauft sich in die­sen klei­nen Al­les-Lä­den Weiß­brot, Chips oder Scho­ko­la­de. Und so kau­fe ich mir ei­ne Co­ca-Co­la und setze mich in die Son­ne, um auch wirk­lich zu wis­sen, dass ich auf Rei­sen bin.

Ich fahre viel mit dem Zug und se­he das Land an mir vor­bei­zie­hen, se­he auf dem Weg nach Nor­den wie sich Land und Kul­tur ver­än­dern. Es wird al­les ein biss­chen ein­fa­cher. Vor die Wä­gen sind nun statt Pfer­den im­mer wie­der Och­sen oder auch Kü­he ge­spannt. Die Näch­te sind nun schon sehr kalt, auf den Wie­sen und Bäu­men glänzt der Rau­reif weiss in der Son­ne. Die Zug­tü­ren sind wäh­rend der Fahrt of­fen. Ich ste­he in der Tür, las­se mir den kal­ten Wind ins Ge­sicht we­hen, se­he Häu­ser, Hö­fe und Flüs­se an mir vor­bei­zie­hen. Die Fluss­ufer sind ge­schmückt mit Müll, den der Fluss bei Hoch­was­ser mit sich bringt und in die Bäu­me hängt.

Clip
In den Höfen leuchten die far­ben­präch­ti­gen Kür­bis­se, die zu­sam­men mit Mais und Boh­nen auf dem Acker ge­wach­sen sind und nun ge­ern­tet wur­den. Die Zü­ge fah­ren un­end­lich lang­sam und manch­mal reicht es mir, hal­be oder gan­ze Ta­ge im Zug zu sit­zen. Es kommt mir fast vor, als wä­re ich zu Fuß schnel­ler. Oft hält der Zug end­los lan­ge in den Bahn­hö­fen. In den kleins­ten Dör­fern hält er manch­mal 15 Mi­nu­ten. Man muss eben Zeit ha­ben, wenn man hier un­ter­wegs ist. Am Bahn­hofs­schal­ter kann man lei­der oft kei­ne gu­te Aus­kunft krie­gen. Die Leu­te kön­nen kein Eng­lisch und sind oft über­for­dert, ei­ne län­ge­re Zug­ver­bin­dung raus­zu­fin­den. Da bin ich mit der deut­schen-Bahn-In­ter­net­sei­te viel schnel­ler und ha­be in­ner­halb von zwei Mi­nu­ten ei­ne Ver­bin­dung ir­gend­wo mit­ten in Ru­mä­nien raus­ge­fun­den, die mir die Frau am Schal­ter erst nach 20 Mi­nu­ten har­ter Ar­beit prä­sen­tiert.
Clip

Das Reisen mit den Öf­fent­li­chen Ver­kehrs­mit­teln ist manch­mal ganz schön kom­pli­ziert und an­stren­gend, Tram­pen oft ei­ne viel schnel­le­re und ein­fa­che­re Lö­sung. Ei­nes aber ist an die­sen al­ten Bahn­hö­fen doch ganz Be­son­ders: so­gar im kleins­ten Dorf sitzt noch ein Bahn­be­am­ter, im­mer gibt es noch ein Bahn­hofs­ge­bäu­de mit ei­nem ho­hen Raum mit ho­hen Fens­tern, ge­heizt von ei­nem Ka­chel­ofen. Im Raum vie­le al­te, wich­ti­ge Ge­rä­te, Te­le­fo­ne, Knöp­fe und He­bel. Ein Hut­stän­der, da hän­gen ver­schie­de­ne Bahn­wär­ter­müt­zen und drei bis vier Be­am­te ste­hen, sit­zen und qual­men Zi­ga­ret­ten. Al­les ist ir­gend­wie so wun­der­bar ge­heim­nis­voll und lässt mich ein biss­chen er­ah­nen, wie es bei uns in Deutsch­land wohl noch vor 50 Jah­ren in den Bahn­hö­fen aus­ge­se­hen hat.

In einem Dorf an der Ukrai­ni­schen Gren­ze kam ich an ei­ner Müh­le vor­bei. Die­se hat mich ganz be­son­ders fas­zi­niert! Es war ei­ne Was­ser­müh­le mit vie­ler­lei Funk­tio­nen: Es wird hier Mehl ge­mah­len, es wird auch un­ter den vom Was­ser­rad an­ge­trie­be­nen Kol­ben die ro­he Schaf­wol­le ge­kne­tet und ge­spült und so­mit auf die Wei­ter­ver­ar­bei­tung vor­be­rei­tet. Das Was­ser aus dem Mühl­rad wird wei­ter­ge­lei­tet in ei­ne Out­door-Wasch­ma­schi­ne. Dort wird in ei­nen Holz­ring, wie ein Trog das Was­ser ge­stru­delt und die Wä­sche liegt in die­sem Ring und wird so ge­wa­schen. Al­les ganz per­fekt. Und gleich ne­ben­an sit­zen ein Mann und ei­ne Frau an ei­nem Schnaps­des­til­lie­rer und sit­zen und sit­zen und dre­hen und dre­hen und le­gen Holz nach, da­mit das Feu­er auch im­mer brennt. Das geht den gan­zen Tag und vie­le Ta­ge jetzt im Herbst, wo die Zwetsch­gen fer­tig ver­go­ren sind. So ent­steht hier der Schnaps, das wich­tigs­te Ge­tränk im Land. Die Frau kommt schon an­ge­lau­fen und ruft, wir müss­ten un­be­dingt ih­ren Schnaps pro­bie­ren. Na klar!

Clip

In meiner Erin­ne­rung blei­ben auch die­se ge­heim­nis­vol­len Ro­ma­ba­ro­ne, die mit sehr gro­ßem Hut und schwar­zem Schnurr­bart im­mer wie­der in klei­nen Grup­pen bei­sam­men­ste­hen und ein ganz un­glaub­lich wich­ti­ges und res­pekt­ein­flö­ßen­des Auf­tre­ten ha­ben und aus­se­hen wie ge­ra­de­wegs aus dem Film "Schwar­ze Kat­ze, wei­ßer Ka­ter" ent­sprun­gen.

Die letzten Ta­ge ver­brach­te ich in Si­biu zu­sam­men mit zwei lie­ben Freun­den aus Deutsch­land beim ge­müt­li­chen Ca­fé-Trin­ken und Schlen­dern durch die Stadt, so­wie beim lan­gen Früh­stück an mei­nem letz­ten Tag in Ru­mä­nien, be­vor ich zur letz­ten Etap­pe auf­bre­che: Bu­da­pest, um ei­nen Freund in Un­garn zu tref­fen und mit ihm dann durch ver­schnei­tes Un­garn Ös­ter­reich und Deutsch­land nach Hau­se zu fah­ren, denn nun hat der Win­ter be­gon­nen.

Und mit dem Winter lan­de ich in der deut­schen Vor­weih­nachts­zeit!

Zurück-Button