D 374 Bukarest - Prag


Text: Hans-Ulrich Schwerendt und Gudrun Pauksch
Foto: Hans-Ulrich Schwerendt

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Heimfahrt mit Hindernissen
Es ist der 25. Septem­ber 2009, hin­ter mir lie­gen 3 Wo­chen Ru­mä­nien mit vie­len schö­nen Er­leb­nis­sen beim Wan­dern mit Freun­den und den Be­geg­nun­gen, die das Land zu et­was Be­son­de­ren ma­chen. Lei­der war der Ur­laub wie­der viel zu schnell zu En­de und ich sit­ze auf den Stu­fen des Wag­gons des Schlaf­wa­gen­zu­ges D374 Bu­ka­rest – Prag. Mit au­ßer­ge­wöhn­lich ge­rin­ger Ver­spä­tung (15 min) ha­ben wir es bis zum Grenz­über­gang Cur­tici ge­schafft. Die Herbst­son­ne scheint auf mein Ge­sicht und ich ba­de in mei­nen Er­in­ne­run­gen. Bald wer­den die For­ma­li­tä­ten er­le­digt sein, die ru­mä­ni­schen Gren­zer wer­den den Zug frei­ge­ben und in ein paar Stun­den bin ich zu Hau­se – den­ke ich!
Doch meine Besinn­lich­keit wird ge­stört. Aus dem Nach­bar­wa­gen, dem „Schlaf­wa­gen 264“ (Bu­ka­rest – Mün­chen) dröhnt ei­ne laut­star­ke Dis­kus­sion. Ein biss­chen neu­gie­rig bin ich schon, doch egal wie sehr ich mich be­mü­he, ich kann nicht ver­ste­hen um was es bei dem Streit geht. Bald ver­las­sen zwei ru­mä­ni­sche Grenz­be­amte den Zug. Wü­tend stampft der für den Zug zu­stän­di­ge Schlaf­wa­gen­schaff­ner hin­ter den bei­den her.
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Wie ich an den Gesten und dem Ton er­ken­nen kann, ver­sucht der Schaff­ner die Grenz­be­am­ten von ir­gend­et­was zu über­zeu­gen, was aber kläg­lich schei­tert. Immer mehr Grenz­be­amte kom­men hin­zu, ei­ni­ge zü­cken das Han­dy und je­der hat sei­ne Mei­nung und sei­ne An­sich­ten zu dem mir un­be­kann­ten Pro­blem. Der Zug steht ab­fahr­be­reit, ei­ni­ge Fahr­gäs­te schau­en aus den Fen­stern und die ru­mä­ni­schen Bahn­ar­bei­ter war­ten mit schmun­zeln­der Ge­las­sen­heit auf das Sig­nal zur Ab­fahrt. Nach und nach er­schei­nen ein Bahn­be­am­ter mit grü­ner Kel­le, vie­le Schau­lus­ti­ge und dann auch noch ein Be­am­ter mit wich­ti­ger Uni­form und grei­fen in das Ge­sche­hen ein. Doch die Dis­kus­sion en­det nicht.
Nach gut einer Stun­de gibt der Schaff­ner dann doch end­lich auf, ver­schwin­det im Wag­gon. Kurz da­nach ver­las­sen ei­ne Frau samt Kind den Schlaf­wa­gen. Fast au­gen­blick­lich setzt der Zug sich in Be­we­gung, rollt wei­ter über die Gren­ze. Er­leich­tert und an­ge­regt dis­ku­tie­re ich mit mei­nen Freun­den, was wohl die Ur­sa­che für die Auf­re­gung ge­we­sen sein wird.
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Nur Eberhard ist ganz ruhig und das kommt sehr sel­ten vor. Der Grund ist ein­fach und nach­voll­zieh­bar, denn er muss als ein­zi­ger in Bu­da­pest um­stei­gen, hat ein Spe­zial­ti­cket, wel­ches nur für die­sen Zug gilt. Für das Um­stei­gen hät­te er 90 Mi­nu­ten Zeit, doch schon jetzt liegt un­se­re Ver­spä­tung bei gut 70 Mi­nu­ten. Da wir aber auf der Hin­fahrt schon die vie­len Bau­stel­len zwi­schen der ru­mä­ni­schen Gren­ze und Bu­da­pest ge­se­hen ha­ben, wis­sen al­le, das es wohl noch mehr Ver­spä­tung wer­den wird.
Im Speisewagen be­geg­nen wir dem Schlaf­wa­gen­schaff­ner wie­der. Er sitzt mit ei­ner Frau und dem Koch bei ei­ner Fla­sche Wein und dis­ku­tiert wie­der laut­stark. Gro­ße Dis­kus­sio­nen sind of­fen­sicht­lich die Lieb­lings­be­schäf­ti­gung un­se­res Schaff­ners. Er zün­det sich ei­ne Zi­ga­ret­te an und ig­no­riert das Schild „ Rau­chen ver­bo­ten“, wel­ches über ihm hängt. Wir wer­fen dem "coo­len" Be­am­ten ein paar vor­wurfs­vol­le Bli­cke zu, aber er sieht uns gar nicht.
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Noch ahnt niemand von uns, wel­che Fol­gen die Dis­kus­sions­lust die­ses Man­nes für uns in Bu­da­pest ha­ben wird.
Mit 90 Minuten Ver­spä­tung er­rei­chen wir den Bahn­hof Bu­da­pest ke­le­ti pu. Eber­hard ver­ab­schie­det sich von uns, wir blei­ben im Zug sit­zen, denn wir wol­len wei­ter nach Prag. Da ke­le­ti pu ein Kopf­bahn­hof ist, geht das uns von den vie­len Rei­sen längst be­kann­te Ran­gie­ren un­se­res Schlaf­wa­gen los. So wer­den wir zu­erst an den Münch­ner Zug ge­han­gen, wo wir noch­mals Eber­hard tref­fen, der nun mit ei­nem neu­en Ti­cket für 120 € über Mün­chen fährt. Wir wün­schen ihm viel Glück und ma­chen ein paar Wit­ze, aber noch ahnt kei­ner, dass er viel eher zu Hau­se an­kom­men wird als wir.
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Nun der Ablauf der nächsten Stunden in Kurzform:
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Ein bisschen komisch ist das alles schon!
Manno!!!!!
Bahnhof Budapest
Was soll das bedeuten??!! Gewiss nix Gu­tes!
Gott sei Dank!
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Bahnhof Budapest
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Wir fühlen uns verlassen und vergessen!
Ob wir hier jemals wieder weg­kommen?
Bahnhof Budapest
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In uns eine Mischung aus Wut und Ver­zweiflung. Einer nagt nervös am Fenster­gummi.
Bahnhof Budapest
Bahnhof Budapest
Es ist 22.15 Uhr und wir fahren erneut in den Bahnhof ein
Bahnhof Budapest
Wir sind uns sicher, dass nun al­les gut wird, denn wir wer­den an ei­nen be­leuch­te­ten Zug an­ge­han­gen, in wel­chem auch Men­schen sit­zen. Ich spü­re ei­ne ge­wis­se Er­leich­te­rung, denn ei­ne in­ne­re Ru­he brei­tet sich aus. Nun hän­gen wir end­lich an un­se­rem Zug nach Prag. Jetzt brau­chen wir nur noch ei­ne neue Lok und schon kann es los ge­hen. In 10 Mi­nu­ten wer­de ich völ­lig ent­spannt im Lie­ge­wa­gen lie­gend Bu­da­pest ver­las­sen! Bis die Lok ge­wech­selt ist, will ich mir noch ein we­nig die Bei­ne auf dem Bahn­steig ver­tre­ten. Drau­ßen fällt mein Blick auf die Ne­ben­tür un­se­res neu­en Zu­ges. So­fort ist mei­ne Er­leich­te­rung wie weg­ge­bla­sen! „Bu­da­pest – Za­greb“ le­se ich auf den Zug­schil­dern!
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Bahnhof Budapest
Sofort bin ich wieder hell­wach. Bei ge­nau­er­em Hin­se­hen ent­pup­pen sich nun auch die Men­schen in dem Zug als Rei­ni­gungs­per­so­nal, wel­ches ge­lang­weilt und war­tend in dem Wag­gon sitzt. In mei­nem Ma­gen macht sich ein mul­mi­ges Ge­fühl breit. Ir­gend­et­was stimmt hier nicht! Ich se­he nur noch un­be­leuch­te­te Wag­gons auf dem Bahn­hof, kann aber auch nicht al­le Glei­se ein­se­hen. Eber­hards Zug nach Mün­chen hat Bu­da­pest schon lan­ge ver­las­sen. Doch ich ha­be kei­ne gro­ße Zeit zum Nach­den­ken, den un­ser Ran­gier­ma­ra­thon geht wei­ter.
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Es ist bereits 22:26 Uhr und ich bin mü­de und ge­nervt.
Bahnhof Budapest
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Zum wievielten Ma­le ste­hen wir ei­gent­lich hier? Ich zäh­le lie­ber nicht!
Bahnhof Budapest
Bahnhof Budapest
Wo kann man sich hier be­schweren????
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Unterdessen lässt mich das so was von kalt!!!!
Nein, es lässt mich doch nicht kalt! Ich denke, ich sollte mal ganz laut schreien!
Bahnhof Budapest
Bahnhof Budapest
Bahnhof Budapest
Bahnhof Budapest
Bahnhof Budapest
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Bahnhof Budapest
Bahnhof Budapest
Dort stehen wir dann.
Langsam wird uns klar, dass un­ser Zug nach Prag schon vor Stun­den oh­ne un­se­ren Schlaf­wa­gen los­ge­fah­ren ist.
5:28 Uhr fahren wir angehangen an den ersten Zug Richtung Prag mit über neun Stun­den Ver­spä­tung los! Und al­les nur we­gen ei­nes Schaff­ners des Schlaf­wa­gens 264 Bu­ka­rest – Mün­chen!
Ob wir uns beschwert ha­ben? Na­türl­ich. Wie er­folg­reich die Be­schwer­de war, er­fahrt Ihr dann viel­leicht im nächs­ten Advents­ka­lender.
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Bahnhof Budapest
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