Ich war fremd und ihr habt mir zu essen gegeben
Gastfreundschaft in der Maramures
von Biggi Kempter / Perchtoldsdorf bei Wien
Die „Mariuta“, „meine“ gebrechliche, schon so anfällige Dampflock der „Mocanita“, der Waldkarpatenbahn in Viseu de Sus, war schon frühmorgens pfeifend und dampfend hinauf in den Wald gefaucht; ein Pferdewagen voll mit Holz beladen steckte in der Furt der Vaser. Die Peitschenhiebe, die auf die Rücken der Pferde einprasselten, durchschnitten die Luft. Erst die dritte Pferdestärke, entliehen einem anderen Fuhrwerk, machte das Übersetzen möglich. Ja, es hatte sich schon allerhand getan, als wir ins Tal der Mara aufbrachen um dort eine langjährige Bekannte zu besuchen. Der nachmittägliche Rückweg, gewürzt durch die Begegnung mit einem wilden Typ aus Frankreich auf Fahrrad, im Gespann einen Esel am Strick (seit 15 Jahren auf diese Weise unterwegs, um Kinderherzen zu erfreuen und sie zum Reiten zu animieren) führte über Ocna Sugatag.
Hier lebt Leichtner Simeon, vulgo Sanyi bácsi, einer der letzten überlebenden Juden dieser Region, jetzt ein alter kranker, müder Mann. Ich hatte in Sigeth von ihm gehört und wollte ihn unbedingt noch kennen lernen, war er doch der einzig Bemächtigte für ein jüdisches Begräbnis. Das nur alles am Rande. Ich freute mich auf unser Quartier in Viseu, um abends das Erlebte im Tagebuch fest zu halten.
Tuck, tuck tuck…, das rote Signallämpchen am Armaturenbrett blinkte, der Motor stotterte. Das Auto stand. Neustart. Ein, zwei Kilometer… Stillstand. Bis zum endgültigen Zusammenbruch der „machina“ wiederholte sich das Spielchen viermal. Der Schauplatz des Geschehens war idyllisch. Landstraße zwischen Rozavlia und Bogdan Voda, unter einer „Troita“, einem großen überdachten Holzkreuz, gleichsam beschützt. Auf der anderen Seite ein bewohntes Haus, pinkfarben. Was tun? Vorerst einmal waren wir ratlos. Es kamen Vater und Sohn des Wegs, mit Angelruten. Sie konnten etwas Deutsch und unterstützten mit diesem und einem Schulterzucken unsere Ratlosigkeit. Dann brauste ein vollberuflicher Aussteiger aus Chemnitz heran, blieb elegant und abrupt stehen und meinte nach kurzer Begutachtung und vergeblichem Anschluss an seine Batterie: es könnte die Lichtmaschine sein.
Damit war er wieder weg. Inzwischen bitte ich die Frau des Bauernhäuschens Vis-à-vis um ein Glas Wasser. Pappeln rauschen, Vogelgezwitscher und das Bellen von Hunden aus der Ferne. Unterm Kreuz ein Stoßgebet! Wieder bremst ein Auto - das des Schreiners Deac Vasile. Schleppt uns ab bis vor sein Haus in Bogdan Vodan, bittet uns in seine behagliche Behausung und mobilisiert einen befreundeten Automechaniker. Der Aussteiger hatte recht: die Lichtmaschine war im Eimer.
Da bleibt nur eines, meint Vasile: hier bei ihm für die Nacht Quartier zu nehmen. Er, sein Sohn und der Mechaniker würden das Auto noch nachts in die Werkstatt nach Viseu abschleppen, damit es morgens gleich repariert werden kann. Gesagt, getan. Ganz glücklich war ich nicht, ich wäre lieber in mein Bett der Pension des Heizers der Mocanita in Viseu gestiegen. So saß ich im Haus der Familie Deac vor dem laufenden Fernsehapparat und einem Glas Tuica. Flora, die Hausfrau bügelte bereits lächelnd die Bettwäsche für die Nacht; inzwischen war auch ihre Schwester Joana zu Besuch gekommen, rein zufällig. Ich war ein bisschen nervös, ob auch alles klappen würde. An ein Ausschalten des Fernsehers dachte außer mir niemand. Ich bekomme zu essen: mit Brimsen gefüllte Teigtaschen, in heißem Fett herausgebacken. Köstlich!
Das Zuschlagen einer Autotür! Nein, die Männer sind noch immer nicht zurück. Nopte, dunkle Nacht. Joana, Flora, die beiden halbwüchsigen Kinder mit Freunden, beruhigen mich, indem sie aus ihrem Leben erzählen, wie glücklich sie mit dem Geschaffenen sind, ihrem Haus, das sie sich als Fremdarbeiter in der Schweiz und in Deutschland erwirtschaftet haben. Fleißige Menschen, sich des Preises bewusst, den sie zahlen mussten für den Mehrverdienst im Ausland – mit den Kindern entzogener Zeit. Doch sie würden eine gute Ausbildung bekommen! Ich erfahre viel - von der Zeit unter Ceausescu, von der um 400 Meter höher gelegenen Quelle, die die Häuser von vier Familien im Dorf speist, vom Reservebrunnen im Garten, davon, dass früher jede Familie selbst ihr Brot gebacken hätte, dass es heute nur mehr zwei Bäckereien im Iza-Tal gibt, die Brot auf Holzfeuer backen. Beim Zuhören vergaß ich jegliche Sorge. Irgendwann in der Nacht kamen die Männer zurück, Nachtruhe breitete sich aus.
Ich schlief herrlich in den neuen Tag hinein. Voll beladene Heuwagen belebten bereits die Dorfstraße, ein kräftiges Frühstück stand am Tisch! Zeit der Heuernte. Da die Reparatur des Autos noch bis Mittag dauern würde zeigt mir Joana vom Munte Hultina, einem kleinen Berglein, auf dem ihr Feld liegt, die Sicht über Bogdan Voda bis hin nach Ieud, Rozavia und Dragomiresti, die Liebe zu diesem Land sprach aus ihren Augen, ihrer Stimme, ihrer Gestik; Freude mir das alles zeigen zu können.
So danke ich noch heute für diese Autopanne, schenkte sie mir doch die Begegnung mit wunderbaren Menschen, die uns als Fremde aufnahmen, ohne etwas dafür zu fordern. Biblische Gastfreundschaft.