Der Bruch
oder
Vom Verhalten auf ungebremsten Zügen


..... eine hinter­grün­dige Gru­sel­ge­schichte aus dem Was­ser­tal von Michael Schnee­berger

Gesicht
Dampflok
Wie die Sache begann und buch­stäb­lich ins Rol­len kam, bleibt wohl, wie so vie­les in den Kar­pa­ten, im Dun­keln. Res­pek­ti­ve im Hel­len und Kla­ren, denn Tui­ca war 100% (ge­nau­er: um die 54%) da­ran be­tei­ligt - auch das nichts Neu­es. Aber hal­ten wir uns nicht mit Selbst­ver­ständ­lich­kei­ten auf…
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Jedenfalls, das ist verbür­gt, über­nahm an die­sem Tag Lok­füh­rer Va­si­le sei­ne selt­sa­me Fuh­re mit ge­misch­ten Ge­fühl­en. Ihn be­schäf­tigte we­ni­ger die be­son­ders durch­zo­ge­ne Ge­sell­schaft hin­ten im Zug als der am Abend da­vor ge­nos­se­ne, im Nach­hi­nein wohl eher frag­wür­di­ge Selbst­ge­brann­te. Un­ab­hän­gig ir­gend­wel­cher Qua­li­täts­kri­te­rien sig­na­li­sier­te sein Kör­per ein rück­wir­ken­des ZU­VIEL. Wie der Kes­sel­druck sei­ner Ma­schi­ne, de­ren Si­cher­heits­ven­ti­le be­droh­lich zisch­ten­.
Lokführer
Aber noch stand die Kom­po­si­tion am gna­den­los zu­ge­park­ten Bah­nhof von Vi­seu de Sus und war­te­te auf die letz­ten Nach­züg­ler. Mit leicht ver­ne­bel­tem Blick über­flog Va­si­le die blit­zen­den Rei­hen von Mer­ce­des, 4x4 und art­ver­wand­ten Lu­xus­ka­ros­sen, wel­che mit il­lus­tren Num­mern­schil­der und of­fi­ziö­sen Auf­schrif­ten still um die Wet­te protz­ten; ganz im Ge­gen­satz zu ih­ren Be­sit­zern, die laut­stark und wich­tig­tu­erisch den Zug ge­en­tert hatten.
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Vasile konstatierte nicht oh­ne Stolz, dass die Was­ser­tal­bahn wie­der mal durch den Be­such der neu­en Eli­te be­ehrt wur­de. Ei­ner Eli­te, die er durch­aus wert­frei als das nahm was sie war: Ei­ne bun­te Mi­schung von rich­ti­gen und ein­ge­bil­de­ten Chefs und Un­ter­neh­mern, ar­ro­gan­ten Bu­ka­res­tern, Po­li­ti­kern und hö­he­ren Be­am­ten, aus­län­di­schen In­ves­to­ren, Wen­de­ge­win­nern und -pro­fi­teu­ren, Ma­fio­si und Se­cu­ris­ten samt ih­rem un­ter­wür­fi­gen An­hang, kurz: Al­les, was in Ru­mä­nien den Ton angibt.
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Das Abfahrtsignal kam, es ging los. Pfei­fend kam der Zug in Be­we­gung, dampf­te fröh­lich Rich­tung Ber­ge, hi­nauf ins Was­ser­tal. So­weit kei­ne be­son­de­ren Vor­komm­nis­se.
Doch mehrten sich die Zei­chen, dass die­se Fahrt den Rah­men des übli­chen Wahn­sinns spren­gen könn­te. Aber grei­fen wir nicht vor, las­sen wir den Din­gen ih­ren Lauf…
Die Stimmung im Zug war un­ge­wöhn­lich auf­ge­kratzt und er­regt, von Be­ginn weg. Fragt mich nicht wa­rum - in Ru­mä­nien ent­wi­ckeln sich Ge­müts­la­gen nach ei­ge­nen Ge­setz­mä­ßig­kei­ten, de­ren so­li­de Ba­sis und Aus­gangs­la­ge aber im­mer Hoch­pro­zen­ti­ger ist.
Becher
Und der war offen­bar reich­lich an Bord, auch aus ir­gend­wel­chen pro­to­kol­la­ri­schen Grün­den. Was da ge­nau von den Herr­schaf­ten ge­feiert oder be­schlos­sen oder wel­che epo­cha­len Ideen im Tau­mel echt ru­mä­ni­scher Be­geis­te­rungs­fä­hig­keit aus­ge­heckt wur­den – spielt es ei­ne Rol­le? Es ging vo­ran! Zug und Mensch, Ge­schäfts­sinn und Schlitz­oh­rig­keit ka­men tüch­tig in Fahrt, la mult’ani, die neue Zeit war an­ge­bro­chen, hopp­la, wir sind wer! Zu kon­sta­tie­ren blie­be höchs­tens - die­se spass­brem­sen­de Be­mer­kung sei dem Er­zäh­ler nach­ge­se­hen - dass es im Wort­ge­tüm­mel im­mer häu­fi­ger um Geld, Ge­schäf­te, Pro­fit, Fort­schritt, Tou­ris­mus und aber­wit­zi­ge Pro­jek­te ging.
Dracula
Nicht weiter tragisch, weil eh kei­ner mehr dem an­de­ren zu­hör­te, aus­nahms­los al­le sich in Al­lem ei­nig wa­ren, vom Bür­ger­meis­ter bis zum Holz­ba­ron, vom Busi­ness­man bis zum Ab­ge­sand­ten der Höl­le; bald ei­ne all­um­fas­sen­de jauch­zen­de Glück­se­lig­keit herrsch­te, ein ein­zig be­sof­fe­ner Freu­den­tanz, tu­mult­ar­ti­ge Ver­brü­de­rungs­sze­nen quer über die Bän­ke, Wohl­stand und Reich­tum für al­le, ho­hoooo, die Zu­kunft ist un­ser, la mult’mult´mult´ani, da­rauf noch ei­nen und noch einen…
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Was da in den Wagen ab­ging, war trotz Ge­gen­wind bis vor­ne auf die Lok zu hö­ren, ja zu spü­ren. Va­si­le freu­te sich mit; nicht zu­letzt, weil auch et­was wirk­lich an­stän­di­ger Selbst­ge­brann­ter bis zur Lo­ko­mo­ti­ve durch­ge­reicht wor­den war, sein früh­mor­gend­li­cher Ka­ter sich im Wort­sinn auf­ge­klart hatte.
Zug
Da geschah es: Zwischen Lo­ko­mo­ti­ve und Wa­gen riss die Kupp­lungs­kette.
Vasile kriegte nichts da­von mit, ras­te mit sei­ner Lok wei­ter. Der Zug hin­ge­gen blieb erst zu­rück, roll­te noch ein paar Me­ter aus, blieb ei­nen kur­zen Mo­ment ste­hen… …um dann wie von Geis­ter­hand wie­der Fahrt auf­zu­neh­men.
Nur dies­mal in die an­de­re, fal­sche Rich­tung: Un­wei­ger­lich und New­tons Ge­set­zen fol­gend, BERGAB.
Dass sich die Gruppen­dy­na­mik auch auf die Reak­tions­be­reit­schaft ei­nes - zu­ge­ge­be­ner­ma­ssen al­ko­ho­li­sier­ten - Kol­lek­tivs aus­wirkt, hat­te fa­ta­le Fol­gen. Nie­mand merk­te et­was, nie­mand rea­gier­te auf den über­ra­schen­den Rich­tungs­wech­sel und die plötz­lich ab­han­den ge­kom­mene Lok.
Gesicht
Im Gegenteil: Das sich im Ge­fäl­le Me­ter um Me­ter stei­gern­de, le­bens­ge­fähr­li­che Tem­po des füh­rer­lo­sen Zu­ges be­feuer­te nur das über­bor­den­de Hoch­ge­fühl der ver­schwo­re­nen Rei­se­ge­sell­schaft, die wie im Rausch durch ro­sa­ro­te Wol­ken flog, aus de­nen En­gel­chö­re san­gen und Re­gen – wenn über­haupt – aus fröh­lich flat­tern­den Eu­ro­schei­nen nie­der­ging. Wer hät­te da brem­sen wol­len und kön­nen, wer wag­te ein­zu­grei­fen in die­se Ewig­kei­ten des Glücks?!
Und irgendwann war es eh zu spät, war nichts mehr auf­zu­halten.
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Nennt mich fei­ge, oder zu­min­dest ein­en lang­wei­li­gen Spiel­ver­derber:
Ich bin abgesprungen.
Fand mich zer­schun­den und schlag­ar­tig nüch­tern ir­gend­wo am Bahn­damm. Und ver­ges­se nie das ent­rück­te Brül­len und die ir­ren Ju­bel­schreie, mit de­nen der Zug, in hals­bre­che­ri­scher Ge­schwin­dig­keit um die nächs­te Kur­ve ra­send, aus mei­nem Blick­feld ent­schwand.
Mensch
Leider kann ich euch des­halb nicht be­rich­ten, wie die­ser wil­de Höl­len­ritt aus­ge­gan­gen ist. Da­zu gibt es min­des­tens so vie­le Ge­schich­ten wie Er­zäh­ler, und das sind nicht we­ni­ge im Was­ser­tal.
Am Glaubwürdigsten ist wohl, was mir viel spä­ter Lok­füh­rer Va­si­le nach ei­ni­gen und zahl­reich nach­fol­gen­den Glä­sern Tui­ca er­zähl­te: Die ent­fes­sel­te Fahrt des Geis­ter­zu­ges hät­te nie ge­endet – er brau­se des Nachts im­mer noch völ­lig los­ge­löst durch die Schluch­ten des Was­ser­ta­les, mit un­heim­lich jauch­zen­den und grö­len­den, ab­ge­ho­be­nen Ver­fluch­ten an Bord, da­zu ver­dammt, nir­gend­wo an­zu­kom­men, nie­mals und bis in al­le Ewig­keit.
Vasile bekreuzigte sich, und ich tat ihm nach.
Amen.
Schild
www.miguschneeberger.ch
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