Text: Anne Wiebelitz Fotos: Anne Wiebelitz, Antonia Schwarzmeier Film: Friederike Kunze
Was ist Siebenbürgen im Jahre 2013? Wer lebt in den Dörfern? Welche Geschichten erzählt man sich? Wovon leben die Menschen, und wie? Was sind ihre Sorgen, ihre Träume, ihre Erinnerungen? Was hält sie hier, was hat sie weggehen lassen, was hat sie hierher zurückgebracht?
Solche Fragen gehen Antonia und mir durch den Kopf. Uns hat es im September 2012 für ein Jahr nach Fogarasch und Seligstadt, einem kleinen Dorf im Oberen Harbachtal, verschlagen. (Fast niemand weiß, wo das liegt. Es klingt aber einfach so schön, wie es tatsächlich ist.)
Es gibt hier kein Internet, kein Handyempfang. Aber Leute. Geschichten. Erinnerungen. Berge am Horizont. Wasserbüffel auf der Straße. Staub. Alte Häuser, die verfallen. Hoffnungen. Wälder, in denen Bären leben. Wiedehopfe. Kargheit und Fülle. Eine Weite in der Landschaft, die alle Alltagsgedanken verstummen lässt...
Wir beschließen, unserer Neugier, diese Gegend und die Menschen besser kennenzulernen, in einem Projekt nachzugehen: Die Idee des Audiowanderwegs ist geboren. Der Plan: ein Weg, auf dem man von einem Dorf in das nächste wandern kann und dabei an verschiedenen Stationen Reportagen über das Leben an genau diesen Orten früher und heute anhören kann. Es soll lustig werden, auch ein bisschen traurig, die Geschichten sollen zum nachdenken anregen, Fragen aufwerfen, und beim wandern soll man einen Einblick in das Leben und die Menschen bekommen.
Gemeinsam mit einigen StudentInnen, SchülerInnen und Radioprofis führen wir Interviews, schreiben Skripte, schneiden Beiträge zusammen, spielen Musik ein, sammeln Aufnahmen von Ziegengeläut, schreienden Kindern, vom Brotbacken, Kirchenglocken, Motorsägen, Kuckucksrufen. Siebenbürgen, so scheint es uns, ist das Paradies der Geschichten und Geräusche.
Mit einem Mann, der heute mehr schlecht als recht von den Erzeugnissen aus seiner kleinen Selbstversorgerlandwirtschaft lebt, sprechen wir über seine Arbeit als Telefonist in den 1990er Jahren in der Gegend. Am Ende des Interviews steigt er mit in unseren VW Bus, im Gepäck einen alten Sack mit seiner Kletterausrüstung: wir fahren durch den Wald in das nächste Dorf, auf der Suche nach einem alten Telefonmasten.. und finden ihn endlich. Mit seinen Steigeisen, rostig, aber haltbar, klettert er Schritt für Schritt, nach oben. Das Bild von ihm, schwankend zwischen Wehmut und Stolz auf der Spitze des Masts, werde ich nie vergessen.
Insgesamt produzieren wir mit der Hilfe von vielen Menschen 12 Reportagen, die man heute mithilfe von Smartphone und App (eigenes oder zum Ausleihen in Seligstadt) auf dem Wanderweg anhören kann. Siebenbürger Sachsen, Rumänen, Schäfer, Wölfe, Waldgeister, Förster, Hausfrauen, Pfarrer, Kleinbauern, Ausgewanderte, Hiergebliebene, junge und alte – sie alle kommen in den Reportagen des Audiowanderwegs zu Wort.
Beim Wandern trifft man auf den Verwalter einer zum Jugendzentrum umgebauten Kirchenburg, der sich an seine sächsischen Nachbarn erinnert. Die Kirchenburg Seligstadt ist auch der Ausgangspunkt der Wanderung. Als der Ausblick atemberaubender kaum werden kann, die Hügellandschaft mit ihren verstreuten Schafherden und die Karpaten am Horizont vor einem liegen, begegnet man Schäfern, die vom Leben mit ihren Schafen und den Wölfen erzählen. Mitten im Wald, wo es am dunkelsten ist, wird man beim Lauschen eines Märchens von den Waldgeistern mit in ihr Reich entführt. Und an einer abgeholzten Fläche mitten im Wald wieder auf den Boden der Realität geholt: dort erfährt man mehr über die legale und illegale Holzfällung in Siebenbürgen.
Ein Kioskstandbesitzer auf dem zweitgrößten Militärgebiet Rumäniens, das an den Wanderweg grenzt, nimmt uns mit auf das Gelände. Man wird auf dem Weg aber auch einem ausgewanderten Sachsen begegnen, den es im Alter zurück zu seinen Wurzeln verschlagen hat, und der mit über 80 Jahren in Seligstadt ein Dorfmuseum gegründet hat. Oder kann sich von der Lebensgeschichte der mit 93 Jahren ältesten Sächsin im Dorf berühren lassen. Und nicht zuletzt mit den Jungs von der Straße, einem Pfarrer und einer Bäckersfrau in die Zukunft der Dörfer schauen.
Aber am besten, ihr fahrt bei eurem nächsten Rumänienbesuch einfach nach Seligstadt – und wandert und lauscht, was sich auf dem Audiowanderweg sonst noch zuträgt!
Wer darüber hinaus Interesse am Projekt oder an der Umsetzung von Audiowanderwegen hat, kann gern unter anne PUNKT wiebelitz AT gmx PUNKT de Kontakt aufnehmen.