Der weite Weg zum Ostergottes­dienst


Die Kapelle von Pașcani


von Julia Jürgens

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In den Norden Rumäniens konnte man durch die Fenster dieses Advents­kalenders schon öfter blicken: Man sah die Moldau-Klöster mit ihren bemalten Fresken, die mit Schnitzereien verzierten hölzernen Tore und Kirchen der Maramuresch. Sehens­würdigkeiten, die in winzigen Dörfern versteckt liegen wie Schätze. Wenn man die Augen offen hält, offenbaren sich wunderbare Dinge. Meist dort, wo man sie am wenigsten erwartet. Das mag nicht nur für Rumänien gelten, aber es ist hier besonders oft so. Zuletzt an Ostern.
Kirche
Ich war in die Maramu­resch gefahren, u.a. mit der Idee, in einer der alten Holz­kirchen den Oster­gottesdienst zu feiern. Jede Reise braucht einen Aufhänger, einen roten Faden, an dem man sich entlang­hangelt. Ob es Berge sind, Kirchen, oder was immer. Ich hatte mich für Oster­gottesdienste entschieden. Der orthodoxe Mitternachts­gottesdienst ist ein ergreifendes Ritual. Auch oder gerade für jene, die streng ungläubig sind. Ich hatte schon einige solcher Gottes­dienste erlebt, aber noch nie in dieser Gegend, die als die „ursprüng­lichste“ Rumäniens gilt.
bemalte Kirche
Kloster Gura Humorului
Deshalb reiste ich jetzt von Baia Mare gen Osten und suchte ein Dorf mit Holz­kirche, das mir gefiel. Ich fuhr durch die Dörfer im Iza-Tal, Bârsana, Bogdan Vodă, Ieud, sie hatten Holz­kirchen und Hügel, die im Licht der Sonne aussahen wie mit Moos bewachsen. Es waren schöne Dörfer. Aber getrieben von dem Drang, das schönste Dorf mit der ältesten Holz­kirche und den freund­lichsten Menschen zu finden, fuhr ich weiter. Und weiter. Dieser unselige Drang. Im Glauben, das Beste könne nur vor und nicht neben einem liegen, verpasst man es mitunter.
Wanderschuhe
Dorfstraße
Cârlibaba
Holztor
Cârlibaba
Straße mit Kirche
Bogdan Vodă
Kirche
Bogdan Vodă
Ich fuhr bis in die Moldau, wo es gar keine Holz­kirchen mehr gibt, dafür aber bemalte Klöster. Fand hier der schönste Mitternachts­gottesdienst statt?
Kreuz
Kirche
Kreuz
Die Klöster platzten schon am Nachmittag aus allen Nähten, und nach einem Massen­erlebnis war mir nicht zumute. Ich ließ Sucevița, Moldovița und Gura Humorului hinter mir. Und fuhr. Es wurde dunkler und später, die Gegend industrieller, Fabrik­ruinen ragten jetzt hier und da aus den Feldern
Kurz nach neun fahre ich in Pașcani ein. An der Hauptstraße photo­realistisch anmutende Reihen von Häusern, die wie Türme einer nachlässig gespielten Tetris-Partie auf Lücke stehen und dann wieder eng ineinander gestapelt. 30.000 Menschen wohnen hier, die Ausmaße der Trost­losigkeit sind im Dunkeln nur zu erahnen. Eine Kirche ist nicht zu sehen. Immerhin ein Hotel. Ich bin der einzige Gast, Zimmer 301. Die Rezep­tionistin, die schon geschlafen hat, guckt mich mitleidig an. Ostern ist Familien­fest. Wer Oster­samstag in ein Hotel eincheckt, hat irgend­etwas nicht richtig gemacht.
Neubaublock
Pașcani
Springbrunnen
Hotel Central Pașcani
Die Straßen von Pașcani sind so leer wie das Hotel, die Leute zu Haus, wo sie zu Abend essen, im Kreise der Familie. Statt Menschen sind Hunde unterwegs, viele Hunde, ihr Gebell hallt von überall her. Ein paar schließen sich mir an und hoffen auf Nahrung. Wie ich. Die letzte warme Mahlzeit ist Tage her, aber das einzige Restaurant, das ich sehe, geschlossen. Ich mache mich auf, eine Kirche zu suchen, die Hunde folgen.
Relief
Ich laufe an der Haupt­straße entlang, die Hunde auch. An einer Mauer von Häusern, die über Hunderte von Metern so gleich aussehen, dass ich mich frage, ob ich mich überhaupt bewege. Ich denke an die Fotos, die ich hatte machen wollen: Alte Babas mit Kopf­tüchern, auf dem Weg zur Kirche, auf einer staubigen Straße im Nirgendwo. In diesem Moment leuchtet in der Ferne ein grünes Licht auf. Ein helles neon­grünes Kreuz. Mir scheint es wie der Stern von Bethlehem.
Häuser
Fünf Minuten später stehe ich am Eingang der Notaufnahme des Kranken­hauses von Pașcani. Der Mann am Schalter guckt müde hoch. Ich wollte in die Kirche, sage ich. Er nickt und zeigt um die Ecke. Dort steht, am Rande des Parkplatzes, eine Kapelle. Etwas größer als ein Wohn­zimmer. Mit bemalten Wänden und einer geschnitzten Holz­decke. Außer mir ist nur eine alte Frau da. Sie sitzt auf einem Stuhl und trägt ein rotes Kopftuch und eine Art Kittel über ihrem Pyjama. Ihre Füße, die den Boden nicht berühren, weil sie so klein ist, stecken in Pantoffeln. Sie lächelt mir zu. Es wird ein schöner Gottesdienst, sagt sie.
Nach und nach kommen die Patienten und Schwestern in die Kapelle. Die meisten in Nacht­hemden und Kitteln. Die Stimmung ist feierlich. Jeder hat eine Kerze und entzündet sie am Licht, das der Pope vorne in der Hand hält. Wie es der Brauch ist, laufen wir mit der Kerze gemeinsam dreimal um die Kirche. Die Pantoffeln der Alten scharren über den Boden. Sonst ist es still. Dann wird gesungen. Hristos a inviat din morți/ Cu moartea pre moarte călcând/ Și celor din morminte/ Viață dăruindu-le// Christus ist von den Toten auferstanden/ hat den Tod durch den Tod zermalmt/ und denen in den Gräbern das Leben geschenkt. Erst als die Glocken anfangen zu läuten, bellen auch die Hunde wieder.
Kapelle
Kapelle des Spitalul Municipal de Urgență Pașcani
Kerze
Kirche
Kerze
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