In den Norden Rumäniens konnte man durch die Fenster dieses Adventskalenders schon öfter blicken: Man sah die Moldau-Klöster mit ihren bemalten Fresken, die mit Schnitzereien verzierten hölzernen Tore und Kirchen der Maramuresch. Sehenswürdigkeiten, die in winzigen Dörfern versteckt liegen wie Schätze. Wenn man die Augen offen hält, offenbaren sich wunderbare Dinge. Meist dort, wo man sie am wenigsten erwartet. Das mag nicht nur für Rumänien gelten, aber es ist hier besonders oft so. Zuletzt an Ostern.
Ich war in die Maramuresch gefahren, u.a. mit der Idee, in einer der alten Holzkirchen den Ostergottesdienst zu feiern. Jede Reise braucht einen Aufhänger, einen roten Faden, an dem man sich entlanghangelt. Ob es Berge sind, Kirchen, oder was immer. Ich hatte mich für Ostergottesdienste entschieden. Der orthodoxe Mitternachtsgottesdienst ist ein ergreifendes Ritual. Auch oder gerade für jene, die streng ungläubig sind. Ich hatte schon einige solcher Gottesdienste erlebt, aber noch nie in dieser Gegend, die als die „ursprünglichste“ Rumäniens gilt.
Deshalb reiste ich jetzt von Baia Mare gen Osten und suchte ein Dorf mit Holzkirche, das mir gefiel. Ich fuhr durch die Dörfer im Iza-Tal, Bârsana, Bogdan Vodă, Ieud, sie hatten Holzkirchen und Hügel, die im Licht der Sonne aussahen wie mit Moos bewachsen. Es waren schöne Dörfer. Aber getrieben von dem Drang, das schönste Dorf mit der ältesten Holzkirche und den freundlichsten Menschen zu finden, fuhr ich weiter. Und weiter. Dieser unselige Drang. Im Glauben, das Beste könne nur vor und nicht neben einem liegen, verpasst man es mitunter.
Ich fuhr bis in die Moldau, wo es gar keine Holzkirchen mehr gibt, dafür aber bemalte Klöster. Fand hier der schönste Mitternachtsgottesdienst statt?
Die Klöster platzten schon am Nachmittag aus allen Nähten, und nach einem Massenerlebnis war mir nicht zumute. Ich ließ Sucevița, Moldovița und Gura Humorului hinter mir. Und fuhr. Es wurde dunkler und später, die Gegend industrieller, Fabrikruinen ragten jetzt hier und da aus den Feldern
Kurz nach neun fahre ich in Pașcani ein. An der Hauptstraße photorealistisch anmutende Reihen von Häusern, die wie Türme einer nachlässig gespielten Tetris-Partie auf Lücke stehen und dann wieder eng ineinander gestapelt. 30.000 Menschen wohnen hier, die Ausmaße der Trostlosigkeit sind im Dunkeln nur zu erahnen. Eine Kirche ist nicht zu sehen. Immerhin ein Hotel. Ich bin der einzige Gast, Zimmer 301. Die Rezeptionistin, die schon geschlafen hat, guckt mich mitleidig an. Ostern ist Familienfest. Wer Ostersamstag in ein Hotel eincheckt, hat irgendetwas nicht richtig gemacht.
Die Straßen von Pașcani sind so leer wie das Hotel, die Leute zu Haus, wo sie zu Abend essen, im Kreise der Familie. Statt Menschen sind Hunde unterwegs, viele Hunde, ihr Gebell hallt von überall her. Ein paar schließen sich mir an und hoffen auf Nahrung. Wie ich. Die letzte warme Mahlzeit ist Tage her, aber das einzige Restaurant, das ich sehe, geschlossen. Ich mache mich auf, eine Kirche zu suchen, die Hunde folgen.
Ich laufe an der Hauptstraße entlang, die Hunde auch. An einer Mauer von Häusern, die über Hunderte von Metern so gleich aussehen, dass ich mich frage, ob ich mich überhaupt bewege. Ich denke an die Fotos, die ich hatte machen wollen: Alte Babas mit Kopftüchern, auf dem Weg zur Kirche, auf einer staubigen Straße im Nirgendwo. In diesem Moment leuchtet in der Ferne ein grünes Licht auf. Ein helles neongrünes Kreuz. Mir scheint es wie der Stern von Bethlehem.
Fünf Minuten später stehe ich am Eingang der Notaufnahme des Krankenhauses von Pașcani. Der Mann am Schalter guckt müde hoch. Ich wollte in die Kirche, sage ich. Er nickt und zeigt um die Ecke. Dort steht, am Rande des Parkplatzes, eine Kapelle. Etwas größer als ein Wohnzimmer. Mit bemalten Wänden und einer geschnitzten Holzdecke. Außer mir ist nur eine alte Frau da. Sie sitzt auf einem Stuhl und trägt ein rotes Kopftuch und eine Art Kittel über ihrem Pyjama. Ihre Füße, die den Boden nicht berühren, weil sie so klein ist, stecken in Pantoffeln. Sie lächelt mir zu. Es wird ein schöner Gottesdienst, sagt sie.
Nach und nach kommen die Patienten und Schwestern in die Kapelle. Die meisten in Nachthemden und Kitteln. Die Stimmung ist feierlich. Jeder hat eine Kerze und entzündet sie am Licht, das der Pope vorne in der Hand hält. Wie es der Brauch ist, laufen wir mit der Kerze gemeinsam dreimal um die Kirche. Die Pantoffeln der Alten scharren über den Boden. Sonst ist es still. Dann wird gesungen. Hristos a inviat din morți/ Cu moartea pre moarte călcând/ Și celor din morminte/ Viață dăruindu-le// Christus ist von den Toten auferstanden/ hat den Tod durch den Tod zermalmt/ und denen in den Gräbern das Leben geschenkt. Erst als die Glocken anfangen zu läuten, bellen auch die Hunde wieder.