Paganel - der lange Weg unter die Erde


Ein Erlebnisbericht von Bernhard Lugner

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Vor ein 2 oder 3 Monaten bin ich in ein Haus gekommen und dabei etwas erschrocken. Ich wusste zwar, dass dort Paganel wohnt mit seinen beiden Söhnen (11 und 13 Jahre alt), ich wusste auch, dass es in diesem Männerhaushalt anders zugeht, als in einer deutschen Familie mit Putzfrau, aber dass das Chaos so groß ist, an das habe ich nicht gedacht. Paganel hat mein kurzes Innehalten bemerkt und entschuldigte sich irgendwie für dieses Chaos, indem er auf seine Bettlägerigkeit hinwies.Früher hat er, der ein begnadeter Erfinder und Tüftler ist, davon gelebt, Elektrogeräte, die den Geist aufgegeben haben, wieder zu beleben. Die Leute, die ihm ihre Geräte gebracht haben, sind bettelarm, er hat extrem niedrige Preise gehabt und auch die oft nicht erhalten. Das ging soweit, dass er so viele Außenstände hatte, sodass er nicht einmal die Stromrechnung in der Höhe von 7 oder 8 Euro bezahlen konnte und ihm der Strom abgeklemmt wurde. Ohne Strom war´s natürlich auch ein Problem bei der Reparatur der Elektrogeräte, der Lötkolben wird dann nicht mehr elektrisch heiß gemacht, sondern am offenen Feuer. Seitdem er aber nun bettlägrig ist – und das immerhin seit 3 oder 4 Monaten – seitdem hat er absolut kein Einkommen mehr, außer der Kinderbeihilfe für seine beiden Söhne.Die Kinderbeihilfe, das sind, glaube ich, so an die 13 € insgesamt. Also für alle beiden Kinder. Als ich den Paganel so daliegen sah, hatte ich eine riesige Wut, warum denn niemand was gesagt hat, in welchem Zustand die da leben. Ich habe dann erfahren, dass sie mir zwar öfters gesagt hätten, dass Paganel krank sei.Ja, hatten sie. Ich dachte aber eher an eine Grippe oder sonst irgendeine Kleinigkeit, denn sie haben das sicher nicht mit der nötigen Intensität gesagt, denn sonst hätte ich das irgendwie registriert in mir.Ich war erschrocken, als mir Paganel seine Beine zeigt. Die waren komplett abgemagert, also der Knochen mit der Haut drüber, ohne Muskeln. Dort wo das Knie war, war eine Kugel. Paganel konnte nicht mehr aufstehen aus eigener Kraft und litt an fürchterlichen Schmerzen, da er keine Durchblutung mehr hatte. Ich habe ihm dann Öl von uns gegeben und Laktose von unseren Sonnenheilmitteln, habe ihm erklärt, wie er es anwenden soll und bin dann gegangen, mit dem festen Vorsatz, mit Lebensmittel wieder zu kommen. Nach 3 Tagen bin ich wieder zu ihm, er konnte nun im Zimmer herumgehen, Wunderbar, wie diese Mittelchen gewirkt haben. Ich ließ noch die Lebensmittel dort und der Fall war für mich erledigt, denn sobald die Kantine in Betrieb geht, soll er auch von dort versorgt werden. Zwei Tage vor Weihnachten schaute ich wieder bei ihm vorbei – wieder ein Schock. Dasselbe Chaos, er war wieder bettlägrig und hatte fürchterliche Schmerzen. Er wollte ins Spital gebracht werden und bat darum, dass ihm alle beiden Beine amputiert werden.Bloß, Paganel ist ein kompletter Outlaw. Er hat kein Einkommen, keine Versicherung und nicht einmal ein Personalausweisnummer. Am 24. Dezember war ich wieder draußen im Dorf und schaute wieder bei ihm vorbei, er war in einem fürchterlichen Zustand und ich schlug ihm vor, mit mir zu uns nach Hause zu kommen, da wir doch immerhin Feuer machen können und Strom und Lebensmittel sind auch vorhanden. Er war damit einverstanden, es war mühsam, bis er angezogen und im Auto war, es war eine reine Tortur für ihn.Zuhause angekommen, hat es sicher eine halbe Stunde gedauert, bis er aus dem Auto gekommen ist, er war, wegen seiner schlechten Durchblutung, bewegungsunfähig. Aurelia hat ihm ein Bett gemacht, ich bin dann am 24. los, eine elektrische Heizdecke aufzutreiben, was mir dann eh nicht gelungen ist – die Geschäfte waren zwar bis zum Abend offen, es hatte aber kein einziges Geschäft eine Heizdecke. Wie ich da so herumgesucht habe, ist mir dann der Föhn eingefallen, mit welchem wir ja auch die Beine Paganels aufheizen könnten. Das haben wir auch gemacht, Aurelia hat ihm die Beine mit Mohnblütenöl eingerieben und die Schmerzen ließen nach. Er ist dann auch eingeschlafen. Der nächste Tag war wieder sehr turbulent, Paganel wollte unbedingt nach Hause, er war zeitweise auch verwirrt im Kopf und wusste nicht, wo er denn eigentlich ist. Nach einigem Drängen gab ich dann nach und brachte ihn wieder unter fürchterlichen Schmerzen raus in sein Dorf, welches so an die 35 km von uns entfernt ist. Paganel hat einen sehr starken Willen, es ist sicher nicht leicht, mit ihm unter einem Dach zu wohnen, Das muss auch gesagt werden. Einige Leute im Dorf versicherten mir, sich um ihn zu kümmern und so übergab ich ihn in ihre Obhut. Eine Woche später rief mich Mimi an und sagte, dass Paganel ins Spital gebracht wurde. Das war am Vormittag.

Am Nachmittag rief mich Lenutza an und sagte mir, dass Paganel im Spital verstorben sei. Gut für ihn. Am 2.1.2007 wurde Paganel von seinem Leiden erlöst. Ich war echt dankbar dafür.

Der Tote. Ein Toter ist immer ein Problem von den Kosten her. Es muß die Sterbeglocke geläutet werden, so was kostet so an die 10 €. Dann braucht man einen Sarg. Man nimmt eh den billigsten. Der kostet an die 70 Euro. Aber, mit dem ist es nicht getan, man braucht im Sarg Kissen, Decken, Matratze, man braucht ein Kreuz und es muß der Sargdeckel und das Kreuz auch beschriftet werden, damit man sieht, wer denn da überhaupt drinnen liegt und so kommt man schon auf rund 130 € mit allem Drum und Dran. Dann braucht man noch einen Anzug und ein Paar Schuhe für den Toten. Weiters braucht man etwas Geld für die im Spital in der Leichenhalle und – den Pfarrer hätte ich fast vergessen, der macht das Begräbnis ja auch nicht umsonst. 2.000.000 Lei verlangt der, das wären so etwas mehr als 60 €. Solange die nicht bezahlt sind, gibt´s gar nichts, Auch kein Glockenleuten. Jetzt ist es aber so, daß der Paganel außer seinen beiden Kinder, keine Angehörigen hat. Er war absolut mittellos, also wer soll das nun alles bezahlen? Wer läuft überhaupt rum, um alle Zetteln zu besorgen und vor allem wie? Die haben alle kein Auto, mit den Pferdefuhrwerken dürfen sie nicht mehr rumfahren – Rumänien ist nun in der EU und ein moderner Staat und in modernen Staaten fährt jeder mit dem Auto rum. In Arad hat die Polizei innerhalb einer Woche 40 Pferdefuhrwerke konfisziert und saftige Strafen verhängt, wenn sie jemanden mit einem Pferdefuhrwerk erwischt haben. Den Leuten wird jegliche Möglichkeit der Fortbewegung, des Transportes und somit des Überlebens genommen. Die Leute da draußen in den Dörfern leben entweder von gar nichts oder von einer Pension oder von einer Sozialhilfe, welche vor ca 2 Jahren eingeführt wurde. Die Pensionen bewegen sich so um 30 Euro, die Sozialhilfe ebenso. Eventuell geht´s rauf bis zu 40 € pro Monat. Pro Familie. Nicht pro Person, eh klar. Diese Habenichtse rund um Paganel haben eine Liste angefertigt. Ich könnte sie umarmen und abbusseln dafür. Einer, der lesen und schreiben kann, ging mit einer ganzen Truppe von Haus zu Haus und fragte, wie viel jeder für das Begräbnis aufbringen will und kann. Der eine sagte „100.000 Lei“, der andere „200.000“ und wieder ein anderer „300.000 Lei“. Das sind Beträge zwischen 3 und 9 €, also sehr, sehr viel bei solchen Monatseinkommen. Diese Zahlen wurden aufgeschrieben in der Liste, bezahlt wurde aber nichts, denn es hatte ja kein einziger Geld. Mit dieser Liste habe ich sie, 8 Leute, zur Gemeinde nach Sag gebracht, wo sie dann, nach schweren Verhandlungen mit den Gemeindevertretern, insgesamt 4.000.000 Lei, also 130 €, Vorschuß erhielten von der Sozialhilfe, welcher ihnen dann bei der nächsten Auszahlung abgezogen wird. (Anmerkung: Für die Sozialhilfe müssen sie 72 Stunden im Monat Gemeindearbeit leisten. Sie müssen dafür 10 km von ihrem Dorf zum Gemeindeamt gehen in ein anderes Dorf – und nach der Arbeit auch wieder zurück, macht also pro Tag 20 km, meistens zu Fuß). Von der Gemeinde sind wir dann noch einmal 10 km zurück ins Dorf und von dort dann mit 7 Leuten nach Arad. Während der Fahrt wurden die Wege und Erledigungen aufgeteilt. Die einen kümmern sich ums Waschen und Bekleiden des Toten im Totenhaus des Spitals. Die anderen mussten einen Anzug und ein paar Schuhe für den Toten besorgen, denn der soll ja mit schönen Kleidern in den Himmel und wieder eine andere Truppe war mir zugeteilt, Sarg und Kreuz etc zu besorgen. Die erste Station war einmal das Totenhaus des Spitals. Rumfragen, warten …… so vergeht einmal eine Stunde. Von dort wurde die 3-köpfige Spitalsmannschaft weiter geschickt um einen bestimmten Zettel in ein anderes Spital, die Onkologie. Nachdem aber die Onkologie sicher mehr als einen Kilometer vom ersten Spital, dem Landesspital entfernt ist, brachten wir die Spitalstruppe mit dem Auto dorthin. Damit ich sichergehen kann, daß dort auch alles richtig ist, warte ich noch – und es war gut so, denn die Leute wurden von dort weitergeschickt zur Polizei, die auch einen Zettel hergeben musste, da der Tote, wie sich herausgestellt hat, nicht im Spital gestorben ist, sondern im Rettungswagen auf dem Weg dorthin. Also ist die Polizei zuständig. Ich habe die Spitalstruppe auch noch zur Polizei gebracht, denn die liegt am anderen Ende, bin aber dann von dort mit dem Rest der Truppe weiter zum Sargverkäufer. Dort haben wir uns getrennt in Sargkäufer und Anzugkäufer. 2 Leute haben nun Geschäfte gesucht, wo man billige gebrauchte Anzüge aus dem Westen kaufen kann, sowie die dazupassenden Schuhe, auch gebraucht. So um die 25 € werden die brauchen – und 2 Leute waren mir noch zugeteilt für den Sarg. Sargverkäufer – die haben einen sicheren Job und das lassen die einem auch spüren. Es wird nun aufgezählt, was denn nun alles beim Sarg mitgeliefert wird, also eben Matratze, Decke, Kissenüberzug – der Preis ist inklusive Beschriftung des Sargdeckels und des Grabkreuzes aus Holz. 5 x frage ich meine Begleiter, wie der Paganel mit dem Familiennamen geheißen hat. Paganel ist ja nur sein Spitzname gewesen. 5 x bekomme ich die Antwort: „Marinescu“ und die Frau, die uns den Sarg verkauft und ihn auch händisch mit dem Filzstift beschriftet, macht sich auch noch eine Photokopie von der Geburtsurkunde des Toten, damit sie daraus den Namen ersieht und die Anzahl der gelebten Jahre errechnen kann. Das dauert natürlich, bis der Sarg fix und fertig ausgelegt ist mit den Tüchern, bis die Holzplättchen unten drangenagelt und auch der Deckel und das Grabkreuz beschriftet sind. Zum Glück gibt es dort ein Sofa, wo man es sich bequem machen kann, auch läuft dort ein Fernseher Tag und Nacht mit allen wichtigen Fernsehserien, damit einem nicht fad wird, obwohl mir eh nicht fad wird, weil ich ja alle meine Sinne beisammenhaben muß, denn so richtiges Vertrauen habe ich in niemanden. Weder in die Sargverkäuferin, die kennt ihr Geschäft – noch in die mich begleitenden, denn manchmal frage ich mich echt, wie bei dieser Desorganisation überhaupt Ergebnisse zusammenkommen. Das Erstaunliche daran ist aber dies: Gerade w e g e n dieser Desorganisation kommen überhaupt Ergebnisse zustande. Ein Tag ist hier wie eine Gleichung mit lauter Unbekannten. Meine beiden Begleiterinnen sind inzwischen aufgebrochen, um die traditionellen Handtücher und Kerzen zu besorgen, die man bei einem Begräbnis braucht. Es werden den Freunden und Bekannten des Toten, dem Pfarrer, dem Vorsänger, den Trägern des Sarges Handtücher geschenkt. Orthodoxe Pfarrer haben Unmengen von Handtüchern im Haus liegen von solchen Begräbnissen. Und selbst den Pferden, welche den Leichenwagen ziehen, werden Handtücher angeheftet. Die darf sich dann der Kutscher behalten. Erst trudelt die Anzug- und Schuhekäuferbrigade ein. Die sind glücklich, weil sie einen schönen karierten Anzug und wirklich gute Schuhe für den Toten zu einem guten Preis erstanden haben. Dann dauert es nicht lange und es kommt die Kerzen- und Handtücherkaufbrigade zurück. Auch glücklich, weil sie gleich ein Geschäft gefunden haben, wo es alles auf einmal zu kaufen gab und es auch nicht teuer war. Mir wird inzwischen von den Sargtischlern bedeutet, daß ich nun meinen Bus holen kann und vor dem Geschäft parken soll. So nach meinem Augenmaß wird das einen kleinen Stau ergeben, denn die Straße ist vielbefahren, aber halt leider nur einspurig und – aber irgendwie führt man in so einem Sarggeschäft die Befehle der Verkäufer und der Sargtischler schon irgendwie anders aus. Ist ganz eigenartig. Ein Sarg, 4 Leute und ich als Chauffeur begeben sich wieder zum ausgemachten Treffpunkt, um die Leichnambrigade abzuholen, ich weiß aber jetzt schon, daß die sicher nicht dort sind, wo ausgemacht war. Sowas ist so sicher wie das Amen im Gebet und so war es dann auch. Wir sind dann den Weg zwischen Onkologie und Polizei ein paar Mal abgefahren, sie waren dann immer noch bei der Polizei, weil einer einen Polizisten dort gekannt hat und alle waren überglücklich, weil sie auf der Polizeistation von einem Polizisten eine Orange bekommen haben. Eine ganze Kiste Orangen von mir wäre nie so wertvoll, wie eine einzige Orange von einem Polizisten und diese Orange und wie die übergeben wurde und was der Polizist gesagt hat und was sie gesagt haben, das war dann das Thema auf den Weg zur Onkologie, wo sie nun den Zettel von der Polizei abgeben mussten Sie sprühten förmlich vor Selbstbewusstsein, als sie zu dritt (drei Männer) in das Spital reingingen, sie, die eine Orange von einem Polizisten bekommen und dann auch noch diese gewünschte Bestätigung. Sowas ist eine einzige Herz-As–Situation, so eine Situation haben die nicht jeden Tag. Nach einer Viertelstunde kamen sie wieder raus – zielstrebig zum Bus, machten die Tür auf und bedeuteten den 2 Frauen im Bus mit einer Geste mit dem Kopf, nun mit in das Büro ins Spital zu kommen und mit denen dort zu verhandeln. Die Situation war klar: Die im Büro wollten 1.150.000 Lei Bearbeitungsgebühr und die brauchten Druck, um von dieser fixen Idee befreit zu werden. Zu fünft gingen sie nun rein, 3 Männer, 2 Frauen – nach 10 Minuten kamen sie mit gesenktem Kopf wiederraus. Wie das nun weitergeht, wusste ich schon, ich blieb aber trotzdem ruhig im Auto sitzen und wartete auf ihren Bericht. Tegu, der Anführer, meinte zerknirscht: Bernhard, jetzt mußt du rein, da geht nichts, bei denen. Es war klar, daß wir ohne zu bezahlen kein Papier mehr bekommen und so ging ich, mit der nötigen Wut im Bauch, die mir aber auch nichts half, rein ins Spital und rein ins Büro, wo mich eine Fuchtel wieder rauskomplimentierte, weil ich auf dem Gang warten sollte. Ich habe kein Problem damit, im Gang zu warten, ich habe meine Seminare im Fach „Demut“ alle schon erfolgreich und die meisten mit Auszeichnung abgelegt, bloß, ich wußte das nicht, daß ich mich anstellen muß. Nach weiteren 10 Minuten kam die dann raus mit einer Menge von Zetteln, verlangte von mir 1.010.000 statt 1.150.000 Lei, das heißt, daß die Geschichte um gut 4 € billiger geworden ist und 4 € entspricht in diesem Land einen halben Tageslohn für arme Schlucker. Das Preissystem ist wirklich oft sehr schwer zu durchschauen, meistens wollen sie nämlich von mir immer mehr als von Einheimischen. Von der Onkologie sind wir dann rüber zum Leichenhaus ins Spital, wo der Tote obduziert wurde, von Shiva dann gewaschen und angezogen und von Tegu und Dorel dann in den Sarg gelegt, auf die Rampe getragen und von dort wird der Sarg dann mit dem Toten in den Bus geschoben und wir fuhren, glücklich, alles so problemlos erledigt zu haben, raus nach Sag zur Gemeinde, um von dort dann die Sterbeurkunde zu bekommen, die der Pfarrer braucht, um am nächsten Tag dann den Toten auch wirklich begraben zu können.

Doch halt: Getränke.

Für das Begräbnis brauchen sie ein paar Packungen Limonade und ein paar Kisten Bier. Also, nicht nur für das Begräbnis, sondern auch für die Totenwache, die ja die ganze Nacht dauert. Tegu hat da von irgendwo ein ganzes Lager bei sich daheim, also fahren wir erst zu ihm – und dann von dort weiter zur Gemeinde. Ist ja eh fast derselbe Weg, mit einem kleinen Umweg zwar, der aber nicht wirklich ins Gewicht fällt. Nachdem alles eingeladen ist geht´s dann wirklich los zur Gemeinde – so um die 20 km. Die Beladung im Bus: 7 Lebendige, 1 Toter, 1 Sarg, ein paar Kisten Bier und ein paar Packungen Limonade. Und das Grabkreuz. In Sag dann auf die Gemeinde, dauert ja nicht lange – und von dort dann weiter zum Pfarrer. Wenn alles gut geht, bin ich in 2 Stunden daheim. Denkste. Fluchend kommt Shiva, der bei dieser Geschichte echt eine feste Stütze war, aus dem Gemeindeamt – ……………… Paganel hat zwar in einem Dorf dieser Gemeinde gewohnt, aber er ist im Rettungswagen gestorben, als der gerade zwischen seinem Dorf und dem Nachbardorf war. Der Rettungswagen ist allerdings in Arad angemeldet und deshalb steht in den Papieren „Sterbeort: Arad“ und nicht „Sterbeort: Sag“. Verdammte Scheiße. In diesem Moment war ich das erste Mal so weit, den Toten auszuladen und ihn vor das Gemeindeamt zu legen. Es war echt ein Liebesdienst der Leute, von denen kein einziger mit ihm verwandt war, den sie Paganel erwiesen haben und sie wurden von einer Stelle zur anderen geschickt. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt 240 km auf dem Tacho, die ich nur für diese Aktion gefahren bin. Das meiste davon in der Stadt Arad! Wenn mir in diesem Moment nicht die beiden Kinder Paganels eingefallen wären, ich hätte den Sarg echt ausgeladen und den Gemeindevertretern die Arbeit überlassen. Sollen sie sich eine Lösung für ihren nun toten Staatsbürger ausdenken. Es war inzwischen 17 Uhr geworden (seit 7 Uhr früh bin ich unterwegs wegen dieser Geschichte), also in Arad haben wir heute kein Glück mehr. Also bringen wir den Toten nach Hause ……. Stopp, beim Pfarrer müssen wir noch stehenbleiben, der kriegt ja noch die 2.000.000, der …….nein, das schreib ich jetzt nicht ….. Sterbeglocke ist immer noch keine geläutet worden, wie uns die Dorfbewohner versichern. Ich bin beeindruckt, wie sauber die Leute Paganels Haus gemacht haben, sie haben es sogar innen gekalkt, damit es schön ist, wenn Paganel im Sarg nach Hause kommt. Ich war sehr, sehr stolz auf die Leute. Sarg ausgeladen, ins Haus tragen l a s s e n – sind ja eine Menge Leute da und man muß sich nicht immer vordrängen. Innen haben sie einen kleinen Altar errichtet, mit einer Nikolausfigur oder sowas, einem Kreuz und einer richtigen Kerze. Also alles, was sie irgendwie gefunden haben und wovon sie glauben, daß es dem Ereignis würdig ist. Alles wunderbar, ich bin schon am Aufbrechen Richtung nach Hause, da höre ich, wie der ältere Sohn sagt „aber mein Vater heißt ja gar nicht so“ und deutet dabei auf den Sargdeckel. Paganel heißt nicht „Marinescu“, sondern „Malinescu“. Das sind eindeutig 2 verschiedene Namen, ich verwünsche die Mimi, die ich extra 5 x gefragt habe, wie Paganel mit dem Familiennamen heißt, und auch die Sargverkäuferin, die ja eine Kopie der Geburtsurkunde hatte (wenngleich das Original schon ziemlich unleserlich ist) . Einer, der´s auch nicht so recht hat mit den Buchstaben, meint, daß es doch egal ist, was da drauf steht. Ja und nein, erwidere ich. Auf dem Sargdeckel wär´s nicht so schlimm, der kommt eh unter die Erde, aber auf dem Grabkreuz hingegen, da geht´s nicht, dass ein anderer Name drauf steht. Der Sohn Paganels mit seinen 13 Jahren, erklärt, dass der Tote nicht begraben wird, solange das nicht bereinigt ist und ich verstehe ihn. Ich verspreche ihm, mich um die Angelegenheit zu kümmern, bis morgen ist das ausgebessert. Ich suche mir den Shiva, den ich ja morgen wieder auf der Gemeinde in Arad brauche – das sind so an die 30 km von diesem Dorf. Shiva ist hart im Nehmen, er läuft ohne Jacke rum. Es ist Nacht und frostig. Er hat den Toten nach der Obduktion übernommen, als der vom Hals bis zum Becken aufgeschnitten und wieder zugenäht und deshalb voller Blut war. Shiva hat ihn gewaschen und eingekleidet ….. die Jacke war dann voller Blut und er hat sie im Spital weggeworfen. Sie war seine einzige. Shiva ist zur Zeit ohne Dach über´m Kopf und nicht einmal, wenn er wollte, hätte er einen Platz, wo er die Jacke hätte waschen können. Nachdem er den ganzen Tag nichts gegessen hat und nur für seinen Freund Paganel unterwegs war, haben wir noch richtig was zu essen eingekauft und ich habe ihn in einer Siedlung in Árad gelassen, wo ich wusste, daß er irgendwo unterkommt, nämlich in der Straße, wo wir heute die Limonade und das Bier geholt haben „Richtig“ eingekauft haben wir deshalb, weil ich wusste, daß dort, wo er die Nacht unterkommen wird, die Leute auch schon lange keinen Käse und keine Wurst mehr gegessen haben.

Haus

Um 23 Uhr bin ich beim Sarghändler angekommen. Die haben ja – eh klar – non stop offen, denn gestorben wird ja heutzutage praktisch rund um die Uhr. Dem Nachtdienstsargverkäufer habe ich das Unglück mit der falschen Sargbeschriftung erzählt und wollte von ihm einen Tipp, wie man die Schrift wieder weglöschen kann – und, wo ich so einen goldenen Filzstift herbekomme. Also, für den Fall, dass jemand von euch einmal das gleiche Problem hat: Die Schrift geht weg mit jeder Farbverdünnung. Und einen Filzstift, der golden schreibt, gibt´s in jeder Buchhandlung. Super, danke, Gute Nacht. Den nächsten Sarg kaufe ich sicher wieder bei denen. Das ist eine Auskunft, mit der ich was anfangen kann, So etwas hat Hand und Fuß. Noch 6 Km bis nach Hause und dann könnt ihr mich für heute vergessen. Am nächsten Tag habe ich es mir mit Shiva um 9:30Uhr bei der Gemeinde in Arad ausgemacht. Um 9 Uhr machen die dort auf und länger als eine halbe Stunde dauert so was nicht, bis die Sterbepapiere fertig sind. Ich muss – aus erzieherischen Gründen – immer sehr pünktlich sein. Bin ich es nicht, dann kann ich es auch nicht von anderen verlangen und ich verlange es aber von ihnen, weil sie in der Regel immer eine halbe Stunde bis einen Tag zu spät kommen, wenn überhaupt. Manchmal kommen sie gar nicht, weil sie entweder vergessen haben oder sonst irgendwie verhindert waren. Um 9:30 Uhr bin ich dort, Aurelia ist auch mit, weil wir ja auch noch für die Kantine einkaufen wollen. Shiva steht schon vor der Gemeinde und wartet aufgeregt auf uns, denn, bevor die Dame vom Amt die Sterbeurkunde ausstellen kann, müssen wir noch rüber auf´s Gericht zum diensthabenden Staatsanwalt. Vor uns ist einer, der wird auch zum diensthabenden Staatsanwalt geschickt – auch er hat einen Todesfall. Wir sind ziemlich flott – der andere, der sich in Arad nicht so gut auskennt, kommt kaum mit uns mit. Wir sind zu Fuß unterwegs. Rein ins Gericht, da steht ein gut gepflegter Uniformierter, der sich von jedem Eintretenden die Papiere zeigen lässt, um dann die Leute zu den richtigen Abteilungen zu schicken. Er hat eine Engelsgeduld. Es ist kurz vor 10 und er hat noch einen langen Tag vor sich, Shiva zeigt ihm die Zetteln und sagt, „zum diensthabenden Richter“ und wir werden in den 1 Stock geschickt, Zimmer 154. Schönes Gebäude, warm und groß. Wir suchen im ersten Stock das Zimmer 154 und treffen wieder auf einen Uniformierten, der unsere Zetteln sehen möchte, die er auch bekommt, worauf er uns sagt, dass wir hier komplett falsch seien Runter, raus und um das ganze große Gebäude herum und dort dann zum „diensthabenden Staatsanwalt“ gehen, sagt er uns. Wir gehen also die Stiege wieder runter, drehen dort den uns verfolgenden Kollegen, der auch mit denselben Zetteln wie wir unterwegs ist, um, damit der uns gleich zum nächsten Punkt folgen kann …….. ich bleibe kurz beim ersten Uniformierten stehen und sage, dass seine Auskunft wohl falsch gewesen sei. Er meinte, nein, Shiva hätte nach dem “diensthabenden Richter“ gefragt und nicht nach dem „diensthabenden Staatsanwalt“. Irgendwie geht mir der Typ auf die Nerven, versuche aber trotzdem noch, ihn zu gewinnen und sage, dass es irr ist, wie viel Kilometer die Leute hier machen müssen, um die Zetteln zusammenzubekommen, die man braucht, um einen Toten zu begraben. Er sagt zu mir: „Die Leute haben eine Freude damit“ und deutet dabei auf ein paar einfache Leute, die in der Nähe stehen. Ich lasse diesen Deppen stehen und will mich beeilen, den Anschluß zu den anderen nicht zu verlieren, da höre ich hinter mir ein „Eeeh“. Ich bleibe auf der Stufe stehen, dreh mich um und gehe langsam wieder zu ihm die 3 oder 4 Stufen hinauf. Da sagt dieser Typ zu mir. „Weißt du, was die Mutter der Freude ist?“ Keine Ahnung, ich habe mich mit solchen philosophischen Fragen auch noch nie auseinandergesetzt. „Die Dummheit“, sagt er. Blöde Sau, denke ich mir und wieder kommt der Gedanke in mir hoch, den Sarg mit dem Toten hierher zu bringen. Schön langsam reicht mir nämlich die Geschichte und ich glaube eigentlich nicht so recht wirklich, dass der diensthabende Staatsanwalt die letzte Station sein soll. Ich laufe den beiden, nein den dreien, der Kollege ist ja, wenngleich schon wieder ins Hintertreffen geraten, auch noch dabei, nach und erreiche sie gerade noch, wie sie im Eingang verschwinden. Zum Glück ist dann dort eine Sperre, wo sie aufgehalten werden und wo Gendarmen stehen, welche Ausweise kassieren und Nummern ausgeben, mit denen man dann in den langen Fluren verschwinden kann. Ich darf nicht hinein, ist mir eh wurscht, ich bleibe bei der Sperre zu und schaue dem Treiben zu. Ich habe eine gewisse Aversion gegen die Typen dort in den Uniformen, sie sind sehr arrogant und wichtig und lassen es den Besuchern auch spüren. Ich schaffe es aber trotzdem, den mit den 3 Streifen in ein Gespräch zu verwickeln und er wird etwas milder. Er sagt mir dann auch noch, dass er ein gläubiger Mensch sei. Er ist in der Kirche der Pfingstgemeinde. Es dauert lange und mir wird ehrlich gesagt fad, was aber eh nichts hilft, ich muß warten, bis meine Leute wieder raus kommen, was sie dann irgendwann auch tun und wir gehen wieder zurück zum Rathaus, der andere wieder hinter uns mit und so sind wir dann die ersten in dem Raum, wo Sterbeurkunden ausgestellt werden. Ich gehe noch mit hinein, kriege aber vor solchen Aktenschränken immer Wallungen und ganz blöde Gedanken im Kopf, also gehe ich wieder raus auf den Flur, wo inzwischen auch unser Kollege eingetroffen ist, der mit dem selbem Problem. Es sind ein paar Stühle dort, wo er sich zum Verschnaufen hingesetzt hat, ein paar Stühle weiter sitzt eine Dame. Keine Frau, nein, eine Dame. Um unseren Mitbruder etwas „anzuzünden“, damit meine ich, ihm klarzumachen, dass der Aufwand für die Besorgung einer Sterbeurkunde vielleicht doch etwas übertrieben ist, fange ich an, ihm meine Wege von gestern früh bis jetzt in diesem Augenblick zu beschreiben. Ich komme aber gar nicht weit, denn der pflichtet mir überall widerstandslos zu und irgendwie merke ich, dass der auch kein Frischling ist. Also lasse ich ihn erzählen und werde sprachlos: Er ist aus einem Ort, 60 km von Arad, Seine Frau ist in der Nacht vom letzten Donnerstag auf Freitag des letzten Jahres (2006) verstorben und er hat es bis heute nicht geschafft, die Papiere für die Beerdigung zu beschaffen. Heute, das war der erste Donnerstag des Jahres 2007. Also eine Woche ist der brave Mann schon unterwegs von einem Amt zum anderen, um die Papiere zu erhalten. Später erfuhr ich dann, daß sie ihm, gestern Mittwoch, beim Leichenhaus des Spitals 8 Millionen (ca 230 €) abgenommen haben über einen Leichenbestatter, die er gerne bezahlt hat, weil er dachte, dass dieser Wahnsinn dann doch einmal ein Ende habe. War aber umsonst. Es hat auch dort wieder lange gedauert, auch wenn ich interessante Geschichten erfuhr, so ging ich dann doch in die innere Isolation – da merkt man nämlich nicht, wieviel Zeit man im Leben so für´s Warten vertrödelt und bleibt beim Warten ruhig. Diese Methode hat mich schon oft vor Anfällen beschützt und so habe ich sie auch hier wieder angewendet. Shiva und Aurelia sind dann auch hier wieder einmal herausgekommen – eh klar – man wird ja, trotz allem, doch nicht gefressen von den Leuten hinter den Schaltern und die beiden hatte auch schon wieder eine Geschichte erlebt. Die Beamtin, welche die Sterbeurkunde ausstellen sollte, verlangte den Personalausweis des Toten, um die Daten in eine Liste einzutragen. War alles kein Problem, Name, Vorname, Geburtsdatum, Wohnadresse, Personalausweisnummer ……..äh. Personalausweisnummer. Hat der nicht. Wieso hat der Tote einen Personalausweis ohne Personalausweisnummer. Diese ganze Eintragung in die Liste ist somit hinfällig, weil nicht vollständig und die beiden wurden zur Polizei geschickt, um eine Personalausweisnummer für den Personalausweis eines Toten zu beantragen. Jetzt war es aber so, dass Shiva eh schon seit Anfang an mit mir unterwegs war und somit schon einen gewissen Widerwillen gegen all diese Verrückten entwickelt hat. Und Aurelia hat unsere Erlebnisse der letzten 30 Stunden schon von mir erzählt bekommen und sie wusste als brave Staatsbürgerin dieses Landes, daß man nicht einfach so zur Polizei geht, um eine Personalausweisnummer für einen Toten zu beantragen. Aus so einer Geschichte kann eine Lebensaufgabe draus werden und – wenn man jetzt klein beigibt und wirklich macht, was diese brave Frau da hinter dem Schalter meint, zu brauchen, dann müsste man Paganel vorher erst einbalsamieren, damit er nicht schon vor seiner Beerdingung verwest, denn so schnell wird der dann nicht begraben werden können. Ich weiß nicht, wie es Aurelia dann wirklich geschafft hat, die gute Frau davon zu überzeugen, daß wir das mit der „Personalausweisnummer für einen Toten bei der Polizei beantragen“ doch lieber lassen, auf alle Fälle hat die dann die Sterbeurkunde rausgerückt. Den Reaktionen und den heftigen Debatten nach auf dem Weg vom Gemeindeamt zum Auto und nach den Verwünschungen, die Shiva immer wieder von sich gab, war´s nicht leicht. Ich habe mich bei unserem Kollegen, dem mit der 7-Tages-Tour für eine Sterbeurkunde, verabschiedet und ihm viel Kraft, Glück und Erfolg gewünscht. Shiva ebenfalls. Er kannte ihn ja schon von gestern vom Leichenhaus her und er bestätigte mir noch einmal die Geschichte. Der Mann war gestern von 8 Uhr in der Früh bis 16 Uhr nachmittags in der Kälte und bei Wind vor der Rampe des Leichenhauses gestanden, wo er immer wieder vertröstet oder zu neuen Amtsgängen verdonnert wurde. Ich frage Shiva ungläubig, was denn nun mit der Leiche ist, wenn die seit 7 Tagen rumliegt ohne Papiere und keine Aussicht, wann dieser Wahnsinn zu Ende sein wird. Verwesung Gestank etc. Die Antwort von Shiva: Jetzt ist eh Winter. Womit er Recht hat. Auf dem Weg zum Auto stellte ich noch den Plan in meinem Kopf zusammen, wie wir weiter vorgehen. Es war nun nach 11 Uhr – um 14 Uhr sollte das Begräbnis draußen im Dorf sein. Geht sich alles leicht aus. Vorher bringe ich Aurelia noch zu uns nach Hause zurück, auch wenn das in die entgegengesetzte Richtung ist. Äh ….. Milchteiggebäck brauchen wir noch. Die haben vom Dorf draußen angerufen, daß sie noch die traditionellen Totenstriezeln brauchen. Eh nicht viel. 5 Stück oder so, reichen. Aber die großen. Das bekommt dann der Pfarrer, der Kutscher vom Leichenwagen, der Vorsänger und sonst noch irgendwie wichtige. Normalerweise braucht man dann noch 100 – 200 kleine, für die Teilnehmer am Begräbnis, aber da Paganel ein armer Hund Zeit seines Lebens war, werden schon nicht so viele kommen – außerdem wissen die, die kommen, daß das Geld für den Sarg und für den Pfarrer draufgegangen ist. Wenn wir schon bis jetzt durchgehalten haben, dann schaffen wir auch das noch, obwohl ich zu bedenken gab, daß man solche Striezeln nur auf Vorbestellung bekommt. Welcher Bäcker legt sich schon Totenstriezel jeden Tag neu auf´s Lager. Nach der 5. Bäckerei, die natürlich nicht alle in derselben Straße lagen, sondern eher in verschiedenen Stadtvierteln, haben es dann alle eingesehen, daß man Totenstriezeln vorbestellen muß, weil man sonst keine bekommt, denn: Welcher Bäcker ist so blöd und legt sich ……….eh schon wissen. Ich hasse Streß, also ich mag es absolut nicht, immer in letzter Minute anzukommen. Man verliert dabei so viele mögliche Situationen oder Erlebnisse und so wär´s mir jetzt schon recht gewesen, nicht erst nach Hause zu fahren, sondern gleich raus ins Dorf, aber versprochen ist versprochen und ich bringe Aurelia erst heim. Bei der Ausfahrt von Arad …..verdammte Scheiße …… der falsch beschriftete Sargdeckel und das Grabkreuz. Ich hab ja versprochen, mich darum zu kümmern. In solchen Momenten danke ich dann den Technikern von VW, die den 2,5 TDI-Motor entwickelt haben. Der hat echt einen Biß und man kann damit manchmal wieder etwas Zeit einholen. Zeit einholen schon – Zeit überholen, leider nein, sowas geht auch mit einem TDI nicht. Aurelia abgeliefert, zurück nach Arad ……. die erste Buchhandlung hat keine goldenen Filzstifte, Marke Edding, (und andere goldene gibt´s auch nicht),die zweite auch nicht, die dritte auch nicht, meine Wut auf diesen Deppen von einem Sargverkäufer wächst – der hat überhaupt keine Ahnung, wo´s Filzstift gibt und schickt mich nur in die Buchhandlungen, damit er seine Ruhe hat. Es ist zu mühsam, mit dem Auto überall hinzufahren, da es auch keine Parkplätze gibt, der Sarghändler ist in einer Einbahnstraße und bis ich die von der richtigen Seite befahren kann ……. Nein, ich stell den Bus halb auf dem Gehsteig ab, Shiva bleibt drinnen sitzen und ich laufe die 300 Meter bis zum Sarggeschäft. Dort sitzt wieder die Frau drinnen, die gestern Dienst hatte und lächelt mich an und sagt mir, daß sie die Geschichte vom falsch beschriebenem Sargdeckel und dem falsch beschriebenem Grabkreuz schon von ihrem Kollegen erzählt bekommen hat. Gut, so erspare ich mir wichtige Erklärungen, also spuck´s schon aus, liebe Frau: Wo bekomme ich so einen Filzstift, wie ihr ihn habt, denn es ist klar, daß ich den vom Sarggeschäft nicht nehmen kann, denn was tun die, wenn ausgerechnet in d e r Zeit ein Sargkäufer kommt, dessen Sarg natürlich auch beschriftet werden muss. Ehrlich gesagt, hatte ich diesen edlen Gedanken eh nur mehr bis heute Früh – eigentlich war mein Plan der, diesen Filzstift vom Geschäft zu stehlen - tja, so schnell kann man so tief sinken. Ihr Glück war, daß sie kooperativ war und mir den Russenmarkt empfahl, aber auch ein paar Farbengeschäfte, wo man so was ganz bestimmt bekommt. Filzstifte, die golden schreiben. Ich denke auch schon an Nagellack, weiß aber nicht, wo´s so was gibt, denn ehrlich gesagt, habe ich noch nie in meinem Leben einen Nagellack gekauft und das rächt sich halt irgendwann einmal. Ihr weiteres Glück war aber auch, daß ich immer an das Gute glaube und so machte ich mich auf zum Russenmarkt und zu einem Farbengeschäft, Zeitaufwand ca. eine halbe Stunde … ….. Ergebnis Null. Hab´s aber eigentlich eh schon vorher geahnt. (Daß ich trotzdem gegangen bin, dient eigentlich nur meinem Alibi: Ich habe alles versucht, also ist es kein Unrecht, wenn ich ihr nun den Filzstift stehle.) Aus, ab jetzt gehört dieser verdammte Filzstift von diesem Sarghändler mir – ich geh zurück zu ihr, sag ihr freundlich, wo ich überall war und lenke meine Hand langsam zu der Dose hin, wo eine Menge Filzstifte sind, unter anderem auch der, der in Gold schreibt. Ich zieh ihn heraus, sie ahnt, was ich vorhabe, will hin greifen, aber da gehört er schon mir. Ich sag ihr, dass ich ihr nun diesen Filzstift für 2 Stunden stehle, lege ihr 100.000 Lei hin als Kaution …… sie jammert, dass sie der Chef rauswirft, wenn nun einer um einen Sarg käme und sie den nicht beschriften kann, weil der Filzstift fehlt, aber mir ist das echt wurscht in diesem Moment und ich laufe zurück zum Auto. Shiva hat inzwischen draußen im Dorf angerufen, damit die Leute dort wissen, daß wir die Sterbeurkunde für Paganel IN DER HAND HAAAABEN – die können das inzwischen dem Pfarrer sagen und so müsste eigentlich heute um 14 Uhr das Begräbnis über die Bühne gehen können. Die Stoßdämpfer sind von den Straßen hier etwas müde, sonst wären wir noch schneller draußen gewesen, aber es hat auch so gereicht. Auf der Fahrt haben wir noch einmal im Dorf angerufen, daß sie inzwischen von irgendwo etwas Nitro oder Benzin auftreiben sollen, damit wir die Schrift ausbessern können. Im Dorf habe ich dann Shiva beim Pfarrer rausgeschmissen, damit der die Papiere hat, die er braucht und ich bin weiter zu Paganels Haus, wo schon eine Menge Leute versammelt waren.

Mann hält Sarg

Ich geb dem älteren Sohn den Filzstift, damit der die Schrift nach seinem Geschmack ausbessert und mache noch ein paar Bilder von dem Toten, vielleicht sind sie den Söhnen später einmal wichtig, denn es gibt von Paganel kein einziges Bild , außer jenes, welches ich von ihm machte, als er zu Weihnachten bei uns war. Hätte ich damals geahnt, daß er in einer Woche nicht mehr unter uns sein wird, dann hätte ich ein schöneres von ihm als Andenken für seine Söhne gemacht. Aber – hellsehen kann ich noch nicht. Manchmal habe wir so richtige Schreiduelle, die Leute dort im Dorf und ich, (obwohl es auch schon ruhiger wird), nämlich dann, wenn ich den Eindruck habe, daß sie zu frech werden. Zu schreien fangen aber immer sie an. Das will ich schon auch gesagt haben….:-) Aber in solchen Momenten liebe ich sie und ich bin echt zu Tränen gerührt: Da haben sie dem toten Paganel eine uralte Musikanlage neben den Sarg gestellt, und zwar was für eine.

Stereoanlage auf einem Stuhl

Mit Plattenspieler samt Schallplatte drauf. Und ihm die Musik vorgespielt, von der sie meinen, daß es Paganels Lieblingsmusik war: Manele. So heißt diese Musikrichtung. Die Leute im Dorf stehen drauf – (der Sohn Paganels sagt aber, daß sein Vater Manele nicht ausstehen konnte.) Gut, aber die Geste …… diese Idee, die ist doch herzig und zeigt von ganz, ganz viel Liebe. Cristi ist absolut nicht zufrieden mit der Beschriftung des Sarges und er macht überhaupt alles neu, wozu er ganz fest draufdrückt. Wenn der nun die Spitze abbricht, dann brauch ich den Filzstift nicht mehr zurückbringen, die 100.000 Kaution (3 €) verfallen und die Sargverkäuferin hat dann ein wirkliches Problem mit ihrem Chef und mit ihrem Arbeitsplatz. Sanft weise ich Cristi darauf hin, nicht so fest niederzudrücken, aber der meint, daß sonst der Filzstift nicht schreibt. Also drückt er weiterhin drauf. Lieber Jesus, laß den Filzstift nicht abbrechen …….. Was soll ich denn sonst tun in dieser Situation? Komisch ist, daß die Schrift, die gestern mit einem golden schreibenden Filzstift geschrieben wurde, heute silbrig ist. Silbrige Filzstifte hätte ich aber eh schon in der ersten Buchhandlung bekommen. Ganz versteh ich das nicht, ich habe ein Gefühl für Farben und kann Silber von Gold unterscheiden. Ein Rätsel ist mir das bis heute geblieben.

Kreuz

Es dauert lange, bis Cristi mit dem Schreiben fertig wird, ich denke immer mehr an die Sargverkäuferin, lasse es mir aber nicht anmerken, Cristi hat eindeutig Vorrang. So erfahre ich noch ein paar Geschichten mehr, zum Beispiel, dass die Frau des Pfarrers gestern vorgeschlagen hat, daß die beiden Söhne des Toten – ich wiederhole es hier noch einmal: 11 und 13 Jahre alt – von Haus zu Haus gehen sollen und, Mitleid erheischend, weil ja nun der Vater gestorben ist, die Summe für das Begräbnis, die der Pfarrer erhält, erbetteln sollen. Die Frau des Pfarrers ist nicht kaltblütig. Das Leben ist so und die denkt sich da wirklich nichts Schlimmes dabei. In meinem Kopf taucht nun immer öfters das Wort „Schweine“ auf. Ich sag´s aber nicht. Wozu auch, sie können alle nichts dafür, es tut nur jeder seine Pflicht. Der eine für die orthodoxe Kirche, die Beamten für die Richtigkeit der Papiere, da bleibt nichts mehr übrig für den Lieben Gott oder etwas Menschlichkeit. Eine Hilfe wäre schon gewesen, wenn irgendeiner dieser ganzen Schreibtischtäter ein Wort, eine Geste des Verstehens für die Leute gehabt hätte, die da auf Pump die letzte Hilfe für Paganel geleistet haben. Aufgeschnittene blutige Tote waschen und diese Tour durch die Ämter ist ja nicht so ohne. Aber nichts, keine Regung. Jeder tut seine Pflicht. Hatten wir schon mal so etwas. Später dann, als man Zeit hatte, die Toten zu zählen, waren´s ein paar zig Millionen. Daheim angekommen, schau ich auf den Kilometerzähler: Exakt 347 Kilometer seit gestern in der Früh bis jetzt und nur für diese eine Geschichte. Die zu Fuß zurückgelegten Kilometer aller 7 Beteiligten sind da noch nicht mit eingerechnet, ich denke aber, wir würden insgesamt auf gut über 400 kommen. Mir kommt seitdem das Wort „Idioten“ immer öfters in den Sinn – aber auch das sag´ich nicht laut. Zu wem denn auch. Es ist jeder unschuldig – jeder macht nur seine Pflicht.

Paganel

Eugen + 2.1.2007

Du bist einer der ganz Großen!

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