Gegen Ende des 19. Jahrhunderts entwickelte sich in ganz Europa eine neue Kunstrichtung, die unter den Namen Jugendstil, Art Nouveau oder Secession bekannt ist. Viele Künstler protestierten gegen industrielle Massenware und gegen das langweilige Kopieren alter Baustile, das zu dieser Zeit populär war. Sie wollten etwas komplett Neues schaffen.
Just zu dieser Zeit befand sich Timișoara in einer Phase der wirtschaftlichen und kulturellen Blüte. Die Stadt war an das Eisenbahnnetz angeschlossen worden und hatte frühzeitig Gasbeleuchtung, Wasserkanalisation und die Pferde-Trambahn eingeführt. Dies zog Fabrikanten und neue Bewohner nach Timișoara. Ein regelrechter Bauboom setzte ein. Viele Gebäude wurden nach der aktuellen Mode im Jugendstil errichtet.
Timişoara verfügt heute noch über einen unglaublich hohen Bestand an Gebäuden mit Jugendstilelementen. Einige Hausfassaden und einzelne Ornamente, die mir gut gefallen haben, habe ich hier fotografisch zusammengestellt.
In Kürze noch ein paar Worte zum Jugendstil: Typisch waren geschwungene Linien und der Reichtum an Ornamenten. Pflanzen, Tiere, Gesichter oder Figuren kommen häufig als Motive vor.
Eine Grundidee der Jugendstilarchitektur war das Gesamtkunstwerk: Bau, Außenfassade und Innengestaltung sollten eine Einheit bilden, ein Bau quasi wie aus einem Guss. Rein funktionellen Bauteilen, die bisher niemand weiter beachtet hatte, kam eine ganz neue Wertschätzung zu und wurden dekorativ eingesetzt.
Wie z.B. beim Gebäude der ehemaligen Bancă de Scont, erbaut 1908, an der Piaţa Unirii:
In der letzten Phase des Jugendstils waren eher geometrische Formen beliebt:
Dass dieser Baustil die Baukosten nach oben treibt, liegt auf der Hand. Was als eine künstlerische Protestbewegung begann, wurde zur Sache ausschließlich für Reiche. Das war sicher ein Grund, weswegen der Jugendstil mehr und mehr an Bedeutung verlor. Der 1. Weltkrieg setzte dieser Kunstrichtung ein Ende.
Fotos: Anne Emmrich und Volkmar Rowinsky
Literatur und Links: Karin Sagner, Die Kunst des Jugendstil, BelserVerlag, Stuttgart 2005