Cindrel – Wanderung
mit rustikaler Übernachtung und beschwingtem Ende


von Peter Cersovsky

gemaltes Füllhorn
Ein Sabbatical von achteinhalb Monaten boten meiner Frau und mir 2019 die großartige Gelegenheit, sehr frei über unsere Zeit zu verfügen – neben einer langen Reise durch Südamerika nutzte ich einen Teil „geschenkter“ Zeit, um sie meinem Lieblings-Reiseland Rumänien zu widmen: ich besann mich auf meine Wurzeln als Steinmetz und Denkmalpfleger – auch wenn seitdem weit über dreißig Jahre vergangen sind. Drei Monate der kostbaren Zeit an die Stiftung Kirchenburgen in Hermannstadt (Sibiu) zu „verschenken“, erwies sich als gute Entscheidung und ich blicke voll Dankbarkeit zurück – aber welche Anekdote aus dem Füllhorn großartiger Erinnerungen findet nun den Weg in diesen Kalender? Vielleicht etwas, das sich so eigentlich nur in Rumänien zutragen kann:
gemalter Kronenstamm
Ich denke da an eine eher kurze Wanderung ins Zibinsgebirge (Munții Cindrel) – vorher wollten wir noch „kurz“(!) beim Kronenfest in Kerz (Cârţa) vorbeischauen, das jährlich um „Peter und Paul“ herum stattfindet. Irgendwie ahnten wir aber schon, dass „kurz“ vielleicht nicht zu „Fest“ passen würde: wir trafen natürlich auf Freunde, wurden mit siebenbürgischen Köstlichkeiten verwöhnt, lauschten der vielfältigen Musik und hätten uns schwerlich vor dem großen Umzug mit anschließender Besteigung des Kronenstamms trollen können.
Foto vom Kronenfest
Als wir unser Auto schließlich beim Hospital von Heltau (Cisnădie) parken, ist bereits später Nachmittag und damit klar, dass wir den geplanten Weg über den Magura-Gipfel zum tiefer liegenden „Rosengarten“, wo wir eigentlich zelten wollten, heute nicht mehr schaffen würden. Aber in der Nähe des Gipfels gibt’s ja zur Not eine Schutzhütte…
gemalter Berg
Der direkte Aufstieg zum Măgura-Gipfel (1304 m) ist teilweise steil, doch bietet er zwischendurch wunderschöne Ausblicke, bei denen man verschnaufen und den Blick ins Tal genießen kann.
Gipfelfoto mit Blick ins Tal
gemaltes Picknick auf Bergkamm im Sonnenuntergang
In knapp drei Stunden erreichen wir den Gipfel. Allein der Rundumblick auf die umliegenden Gipfel, auf Dörfer und Städte bis hin zu Negoi und Moldoveanu in den stattlichen Fogarascher Bergen, die zum Greifen nah erscheinen, ist jede Mühe wert. Auch die artenreiche Bergblumenwiese im Abendlicht fesselt unseren Blick. Dazu schmeckt das Abendbrot mit Cașcaval, Brânză de burduf und Telemea, der mit den köstlichen Tomaten vom Wochenmarkt am besten mundet. Man möchte eigentlich nicht ans Aufbrechen denken.
Foto vom Sonnenuntergang in den Bergen
gemaltes Holzhaus mit Bärenspuren
Etwas unsicher, ob unsere eher spärliche Ausrüstung zum Übernachten in dieser Höhe wirklich geeignet ist, entscheiden wir uns für die nahe Schutzhütte. Bären haben ganz in der Nähe deutliche Spuren hinterlassen, was uns in diesem Entschluss bestärkt. Schnell stellt sich allerdings heraus, dass ich die Hütte in meiner Erinnerung mit einer anderen - weit moderner ausgestatteten - verwechselt haben muss. Was wir hier vorfinden, erinnert eher an ein Partisanen-Versteck: ein in den Hang gegrabener Unterschlupf, fensterlos und somit stockfinster, sehr niedrig und „etwas“ feucht. Die Ausstattung besteht im Wesentlichen aus einem Kanonenofen und einem Etagenbett aus unbearbeiteten Fichtenstämmen, das im Notfall (für den es eigentlich gedacht ist) vielleicht sechs Personen Quartier bieten mag.
gemalte Holzliege neben Kanonenofen
Foto von Unterschlupf
Direkt vor der sehr eindrucksvollen und offenbar bärensicheren Tür gibt es eine Quelle, etwas weiter ab eine Freiluftlatrine mit grandiosem Blick in den Wald.
gemalte Quelle neben Holzhütte und Berg
Foto der Schutzhütte mit Quelle im Hintergrund Freilufttoilette
gemalte Blumenwiese
Anderntags sind wir schnell einig, schon deutlich bequemere Nächte verbracht zu haben - aber geschenkt: so gelingt am Morgen ein zeitiger Aufbruch. Zunächst durch vom Tau verzauberte Bergwiesen geht es - mit einem Umweg, um der kläffenden und zähnefletschenden Hundeschar einer Schafherde den mit Nachdruck eingeforderten Respekt zu erweisen – zurück zum Magura-Gipfel. Unser Frühstück dort stärkt uns für den Tag; weiter geht’s auf und ab über den Rosengarten und diverse kleinere Gipfel, Bergwiesen und breite Kämme.
Foto Schmetterling
gemalte Schafe und Hirtenhund
Der Pfad führt uns mehrfach an Schafherden vorbei – allerdings mit durchweg erstaunlich friedfertigen Hunden, die in einem Fall sogar auf ein kurzes Zeichen des Hirten vom Verteidigungsmodus auf freundliche Begrüßung umschalten – das gibt’s also auch. Wir lassen die vorher sicherheitshalber gesammelten Steine unauffällig ins Gras gleiten und gehen auf einen Gruß zum Schäfer. Der hat auch tatsächlich ein Anliegen, bittet darum, unser Handy für einen wichtigen Anruf nutzen zu dürfen, weil sein Guthaben aufgebraucht sei.
gemalter Hirte mit Handy
Foto von Schafherde
Vom Cumpănită-Sattel wählen wir den Weg durchs Stramba-Tal nach Rășinari. Der lange Abstieg in der Mittagshitze macht durstig – als wir schließlich das Dorf erreichen, sehen wir mit großer Freude einen Getränkeladen. Wir holen uns alkoholfreies Bier aus dem Kühlschrank und gehen zum Tresen – die Chefin warnt jedoch mehrfach und mit Nachdruck, dass da eine wesentliche Komponente des Biers fehle und versichert, dass sie auch richtiges Bier im Angebot hätte. Wir insistieren und fragen stattdessen nach einem Taxi, das uns zurück nach Heltau bringen könnte, wo unser Auto „wartet“ – das sei viel zu teuer, weil es in Rășinari kein Taxi gäbe und man stattdessen eines aus Hermannstadt (Sibiu) ordern müsse, aber man würde jemanden mit Auto „organisieren“, der uns die paar Kilometer bringen könne. Für die Wartezeit bietet uns die freundliche Chefin schließlich Sitzplätze im Hinterzimmer an, das sich als eine Art Bar erweist.
gemalt Frau mit alkoholfreien Bierkrug und Daumen nach unten
Auf ihren Wink steht kurze Zeit später ihr Mann mit zwei (heftigen) Gläsern Țuică vor uns. Wir zieren uns. Wir zieren uns heftig! Wir zieren uns immer noch: Țuică auf die sonnenverdorrte Birne – das kann nicht gut gehen. Schnell sehen wir allerdings ein, dass Gegenwehr nur den Nachdruck verstärkt und ergeben uns der unbändigen Gastfreundschaft. Wir erzählen -soweit mein äußerst gebrochenes Rumänisch dies zulässt- wer wir sind, woher wir heute und auch grundsätzlich kommen und lassen uns offenbar anmerken, wie sehr wir dieses Land mögen. Das alkoholfreie Bier ist verziehen und die Unterhaltung nimmt ihren Lauf. Die Schnapsgläser vollends zu leeren, erweist sich als Anfänger-Fehler: angefeuert von zwei weiteren anwesenden Männern, die inzwischen mit dem Organisieren eines „Taxis“ beschäftigt waren, wird nachgeschenkt.
gemalte Gläser voll Tuica neben Flaschen und dahinter ein Auto mit gemalter Uhr
Schließlich entdeckt meine Frau (die bedeutend mehr von Fußball versteht als ich) an der Wand ein Foto des Hausherren, der Arm in Arm mit Cristiano Ronaldo in einem fast leeren Stadion steht. Sie zollt ihm den dafür gebührenden Respekt und er duldet keinen Widerspruch, als er unsere Schnapsgläser erneut befüllt. Als schließlich unser „Taxi“ vorfährt, bringt er noch eine Flasche Wein aus der Kammer und besteht darauf, dass wir sie bei Gelegenheit in Erinnerung an unsere kurze, aber herzliche Begegnung leeren.
gemaltes Auto mit zwei winlenden blauen Personen daneben
Foto von zwei Gläsern
Die Fahrt nach Heltau ist dann doch viel zu kurz: ehe wir das Auto halbwegs sicher zurück in die Stadt lenken können, ist ein längerer Ausnüchterungsspaziergang angesagt.
gemalter Ausnüchterungsspaziergang
Wer sich für meine Erfahrungen mit der Auszeit in Siebenbürgen interessiert, kann Weiteres in der ADZ vom 2. September 2019 nachlesen oder ein Interview mit Radio Bukarest in der Mediathek nachhören.
gemaltes Radio mit Ohren
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