Auf dem armenischen Friedhof in Bukarest


von Charlotte Russell

gemalte Gräber
gemalte Gräber
gemalte Gräber
Einganstor des armenischen Friedhofes
Eine kleine stille Oase an der Șoseaua Pante­limon, heute mitten im Viertel Baicului, einem Gebiet von Wohn­blöcken weit im Nord­osten der Stadt, wobei der Friedhof viel älter ist als die ‘blocuri’, viel­stöckige Wohn­gebäude aus der kommu­nistischen Zeit der sieb­ziger Jahre, die ihn heute, allesamt renoviert, traurig grau-sand­farben ange­strichen und wärme­gedämmt, allseits umgeben. Wenn man so wie ich ganz allein dort ist, kommt es einem fast so vor, als würde das Viertel das Geviert der vielen Gräber dort be­schützen und die Ruhe all derer, die dort liegen, be­wahren.
gemalter Friedhof vor Wohnblöcken
Friedhof mit Hochhäusern im Hintergrund Weg mit Bäumen Gräber vor Hochhäusern
Stein gewordene Geschichte findet man hier, anders als auf anderen Fried­höfen mit mehr oder weniger liebe­voll be­pflanzten Gräbern sind es hier die Grab­steine mit ihren In­schriften, die einen in ihren Bann ziehen. Und anders als anders­wo sind hier, in dieser Stadt Menschen aus einer Diaspora be­graben, sei es, weil sie hier in Bukarest zu vielen nach langem Suchen ihren Mittel­punkt gefunden haben oder auch nur in einem Moment ihres Lebens hier ange­kommen sind. Viele sind auf dem Gebiet der heutigen Türkei geboren, aber es finden sich auch Orte wie Caracas oder Cetatea Albă, damals rumä­nisches Bessa­rabien, heute Ukraine. Gestorben wurde selbst in Los Angeles, aber die Leichen wurden hierher über­führt.
gemalte Erde
Gräber
Wohl­klingende fremde Namen haben die Menschen, ich habe sie laut vor mich hinge­sprochen, sicher, dass mir niemand dabei zuhört. Auf vielen Steinen ist die Schrift unlesbar für mich, aber mich fas­zinieren diese arme­nischen Schrift­zeichen mit ihren Bögen und Schleifen. Porzel­lanene Fotos steigern meine Neugier. Elegante dunkel­haarige Menschen, Ehe­paare, honorige Leute haben hier ihren Platz ge­funden. Ich möchte wissen, wie sie in diese Stadt ge­kommen sind und hier gelebt haben. Der Stein einer jungen Frau, wunder­schön und jung verewigt, mit feinen Blumen­zeichnungen und arme­nischer Schrift. Schicksale.
gemalte Frau
familiengräber Grabstein Grabstein Grabstein
Es gibt einen Stein für die Opfer des Genozids am arme­nischen Volk durch die Türken 1915. Zur leben­digen arme­nischen Diaspora, die es in Rumänien als Transitort nach Europa schon lange gab, haben gerade in dieser Zeit viele Armenier hier Zuflucht gesucht und gefunden. Dafür, in der Vertei­digung ihrer neuen Heimat kamen viele im ersten Welt­krieg zu Tode. Zum Ende des zweiten Krieges wiederum gingen weiter viele von ihnen einen grau­samen Weg, unter Stalin nach Sibirien depor­tiert, von hier aus. Aus welchem Grund, frage ich mich.
gemalter Zug
Hurmuz Azna­vorian, ein Ver­wandter von Charles Azna­vour, kam als Kind mit seiner Familie Anfang des letzten Jahr­hunderts auf der Flucht vor den Osma­nen nach Bukarest, wuchs hier auf und machte sich einen Namen als Jurist und später als Poli­tiker der Libe­ralen Partei in Rumänien, lebte zwischen Paris und Bukarest. Nach dem Krieg von den Kommu­nisten auf die schwarze Liste gesetzt, verbrachte er die meiste Zeit im Gefängnis und verstarb dort auch 1961 im Gefängnis Botoșani.
gemalter Grabstein und Gefängniszelle
Familiengrab
Ein ganz anderes Schicksal erlitt Tigran Nazarian, der 2016 fünfund­zwanzig­jährig an einer schweren Krank­heit verstarb und dem damals in Rumänien nicht gehol­fen wurde, nicht gehol­fen werden konnte, warum auch immer. Sein Grabstein ist sehr opulent und ragt aus allen anderen stark hervor. Künst­licher Rasen bedeckt die Grab­platte und Sitz­bänke, die offenbar viel benutzt werden, stehen auf dem schmalen Weg vor der Grab­stelle. Fragen.
gemaltes Krankenbett
Gräber
Einem einzigen Mann bin ich begegnet, als ich auf dem Friedhof war. Er lief rasch an mir vorbei ohne mich anzu­sehen, wobei auch ich mich möglichst klein und un­scheinbar gab, eben, weil sonst einfach niemand dort war und ich sichtbar eine Fremde. Er ging zu einem frischen Grab.
gemalter Mann geht über den Friedhof
Und doch, noch eine Begeg­nung gab es, mit dem Friedhofs­wärter. Zuerst in der kleinen Kapelle. Die war anfangs ge­schlossen, doch dann stand plötzlich die Tür offen und ich ging hinein. Er steckte Kerzen an, wir begrüßten uns ‘Bună ziua!’ - ‘Sărut mâna!’ Ich schaute nur kurz ins Innere der dunklen Kapelle, mehr traute ich mich nicht und ging gleich wieder.
Ganz zum Schluss, es wurde schon langsam dunkel, trafen wir uns wieder. Ich machte gerade ein Foto von einem Gedenk­stein in schönem roten Sandstein für die Opfer des Genozids.
Grabstein Grabstein
‘Sie dürfen hier nicht foto­gra­fieren!’ Noch ehe ich mich ent­schuldigen konnte, weil ich das ja nicht wusste, erklärte er mir das lang und wort­reich, endete aber dann, ‘aber foto­grafieren Sie nur weiter.’ So empa­thisch in unserer gemein­samen Ein­samkeit vereint wünschten wir uns beste Gesund­heit und verab­schiedeten uns. Ich foto­grafierte dann nicht mehr.
gemalter Fotoapparat und erhobener Zeigefinger
Und, das hätte ich beinahe ver­gessen, obwohl es eigent­lich das für mich Schönste war, was ich dort ge­sehen habe, ein kleiner un­schein­barer Stein versteckt unter einem Busch mit einem Gedicht einer Frau an ihren ver­storbenen Ehe­mann.
“La umbra unui pom
ai ațipit, dar nu te ai mai trezit.
Moartea cea neagră în somnul rece te-a învăluit
și de lânga mine te-a răpit.
Până când ne vom revedea
vei fi vesnic în gândurile și inima mea.
Silvia, soția ta”
Im Schatten eines Baumes bist Du einge­schlummert,
aber nicht mehr auf­gewacht.
Dieser schwarze Tod hat Dich im kalten Schlaf ein­gehüllt und von mir genommen.
Bis wir uns wieder­sehen
behalte ich Dich glücklich in meinen Gedanken und meinem Herzen.
Silvia, Deine Frau
gemalter Mann schläft unter einem Baum
Grabstein unter einem Baum
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