Weihnachten in der alten Heimat


Ausschnitte aus dem Buch »Land. o. Land ...« Er­in­ne­run­gen an die ver­lo­re­ne Hei­mat von Ger­trud Knopp-Rüb (✝) (mit freun­dli­cher Ge­neh­mi­gung der heu­ti­gen Rech­te­in­ha­ber)

Kerzen
Draußen lag meis­tens schon Schnee und er­stick­te al­les Lau­te, Lär­men­de, wo es noch nicht zur Ru­he ge­kom­men war. Nur nachts hör­te man den Wind aus der Fer­ne über die Step­pe he­ran­stür­men und um die Haus­wän­de heu­len, dass man sich ganz tief un­ter die Bett­de­cke ver­kroch. Und mor­gens muss­ten jetzt im­mer öf­ter die Geh­wege frei­ge­schau­felt wer­den, weil sie zu­ge­schneit wa­ren.
Schneemann
In der letz­ten Wo­che vor dem Fest fuhr Va­ter in die Stadt, um ein­zu­kau­fen. So sehr wir auch acht­ga­ben, wir sa­hen und hör­ten nicht, wie die Sa­chen ins Haus ka­men. Aber von da an glaub­ten wir doch, et­was zu rie­chen, das vor­her nicht da­ge­we­sen war, und wir über­leg­ten und rä­tsel­ten he­rum, was es nur sein könn­te.
Ring
Paket
Mütze
Endlich war der 24. De­zem­ber he­ran­ge­kom­men. In­zwi­schen konn­ten wir auch nicht mehr in die gu­te Stu­be, weil sie ab­ge­schlos­sen war, und wir hat­ten manch­mal das Ge­fühl, über­all im We­ge zu sein. So knie­ten wir jetzt öf­ter auf der Bank un­ter dem Fens­ter und schau­ten auf den Hof un­se­rer tür­ki­schen Nach­barn, die uns nun so leid ta­ten, weil sie kei­ne Weih­nach­ten hat­ten. Aber ir­gend­wann wür­den sie wie­der zu uns he­rü­ber­kom­men, den Christ­baum an­schau­en und von Mut­ter eine Tü­te Back­werk be­kom­men. Das war in je­dem Jahr so. „Nix Schwein?“ frag­ten sie dann im­mer et­was zag­haft, denn sie woll­ten wis­sen, ob in dem Ge­bäck Schwei­ne­schmalz ent­hal­ten war. Mut­ter, die die­se Fra­ge stets über­hör­te, sag­te nur „gut, gut“, und so ver­lie­ßen sie uns mit ei­nem zu­frie­denen, glück­li­chen Lä­cheln.
Schwein
Weihnachten ohne Schnee, wie wir es hier oft er­le­ben, viel­leicht hat es das auch in der al­ten Hei­mat ge­ge­ben. Ich kann mich nicht da­ran er­in­nern. In mei­nem Zu­rück­den­ken se­he ich im­mer nur das im Weiß ver­sun­ke­ne Dorf vor mir.
verschneites Dorf
Lautlos senk­te sich die Däm­me­rung auf das Dorf he­rab. Der Schnee auf den Dä­chern drück­te die Häu­ser tie­fer zur Er­de und bald schien al­les mit­ein­an­der zu ver­schmel­zen‚ eins zu wer­den. Dröh­nend und durch­drin­gend und wie mit be­son­de­rer Ge­wich­tig­keit fie­len die Glo­cken­schlä­ge in die abend­li­che Stil­le. Zu Zwei­en auf­ge­reiht über­quer­ten wir Schul­kin­der die Stra­ße und gin­gen zum hell er­leuch­te­ten Got­tes­haus hin­über. In ei­nem Ne­ben­raum leg­ten wir un­se­re Män­tel ab und dann setz­te sich der fest­li­che Zug durch den Mit­tel­gang des Kir­chen­saales fort bis zur vor­de­ren lin­ken Ecke, wo wir auf Al­tar­hö­he ne­ben dem Fuß­har­mo­ni­um Platz neh­men durf­ten.
Glocken
Auf der an­de­ren Sei­te uns ge­gen­über saß der Kir­chen­chor und da­vor – rechts vom Al­tar – stand der bis zur De­cke glän­zen­de und glit­zern­de Christ­baum. Un­se­re stau­nen­den Bli­cke gin­gen zu je­der bun­ten Glas­ku­gel, zu je­dem Glöck­lein und En­gel­chen, zu den vie­len gol­de­nen und sil­ber­nen Gir­lan­den, ja zu je­dem fun­keln­den Et­was, das da von den Zwei­gen der ho­hen, mäch­ti­gen und so wun­der­bar duf­ten­den Tan­ne he­rab hing.
Engel
Ein Strom über­schäu­men­der Glück­se­lig­keit schwemm­te al­les Ir­di­sche hin­weg und schuf Raum für das Wun­der die­ser Nacht, das sich in je­dem Jahr neu vor uns aus­brei­te­te und in un­se­rer See­le voll­zog. Man moch­te die Au­gen schlie­ßen, um in­ni­ger und tie­fer Got­tes Lie­be zu er­fah­ren.
Zweig
Stern
Zweig
Die ers­ten Schü­ler stell­ten sich am Al­tar auf und ich war bei der zwei­ten Grup­pe, die nach­rü­cken muss­te. Has­tig ging ich in Ge­dan­ken mei­ne Stro­phen durch. Nach­dem wir al­le un­se­re Ge­dich­te auf­ge­sagt hat­ten, sang der Kir­chen­chor zum Ab­schluß das schö­ne Weih­nachts­lied „O du fröh­li­che, O du se­li­ge, gna­den­brin­gen­de Weih­nachts­zeit....”.
Noten
Während die Er­wa­chsen­en nun beim Glo­cken­ge­läut das Got­tes­haus ver­lie­ßen und drau­ßen auf uns war­te­ten, be­kam je­der von uns Schul­kin­dern von den Kir­chen­vor­ste­hern ei­ne Tü­te aus­ge­hän­digt. Der In­halt war in den Jah­ren mei­ner Schul­zeit im­mer gleich und be­stand aus ei­nem Re­chen- und Schreib­heft, ei­nem Fe­der­hal­ter mit zwei Fe­dern, ei­nem Ra­dier­gum­mi (Erst­kläss­ler be­ka­men nur ein Grif­fel), da­zu noch Sü­ßig­kei­ten, Nüs­se, Fei­gen, Bock­scho­ten (Jo­han­nis­brot) und Leb­ku­chen. Für man­che Kin­der war das si­cher die ein­zi­ge Weih­nachts­be­sche­rung, weil es zu Hau­se nur zum Nö­tigs­ten rei­chte.
Clip
Clip
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Clip
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Clip
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Wieder sah man drau­ßen auf der Stra­ße die Lich­ter im Dun­keln wan­dern‚ bis auch die Letz­ten am Dorf­en­de heim­ge­kehrt wa­ren.
Eis
Eis
Eis
Eis
Eine wohlige Wärme emp­fing uns zu Hau­se beim Öf­fnen der Haus­tür. Im Wohn­zim­mer war der Tisch schon fest­lich ge­deckt mit ei­nem wei­ßen Tisch­tuch und dem gu­ten Ge­schirr das zu Mut­ters Aus­steu­er ge­hör­te und das sonst nur wenn Be­such kam vor­ge­holt wur­de. In ei­nem ge­heim­nis­vol­len Al­lein­ge­las­sen­sein mach­ten mei­ne Schwes­ter und ich uns auf dem Fuß­bo­den breit und zähl­ten die Nüs­se und Bon­bons, die wir in un­se­rer Tü­te von der Kir­che vor­fan­den, bis Va­ter die Tür öff­ne­te und nach uns rief.
Nüsse
Bonbons
Nüsse
Immer war es ihm wich­tig, ei­nen schö­nen Baum zu ha­ben. Er schmück­te ihn stets selbst und gab sich viel Mü­he da­mit. Ei­gent­lich hät­te Va­ter nicht zu fra­gen brau­chen, mit wel­chem Lied wir be­gin­nen woll­ten‚ denn es war im­mer nur „Stil­le Nacht“. Und wir konn­ten es nicht ge­nug sin­gen an die­sem Abend. Denn es war uns so, als wä­re es nur für ihn al­lein be­stimmt, wie ei­ne Blu­me, die nur ein­mal im Jahr ih­re Blü­ten­blät­ter öff­nen darf. An­schlie­ßend sag­ten wir dann un­se­re Ge­dich­te auf. Es wa­ren na­tür­lich nicht die glei­chen wie in der Kir­che, das wä­re ja zu leicht und zu ein­fach ge­we­sen. Et­was Mü­he und An­stren­gung ge­hör­te schon da­zu, wenn man be­schenkt wer­den woll­te.
Tannenbaum
Zuletzt sprach Va­ter ein Ge­bet, das meis­tens sehr lang wur­de, da er so vie­le On­kel und Tan­ten und auch die Groß­el­tern mit ein­schlie­ßen muss­te. Nach ei­ner an­ge­mes­sen­en Stil­le nach dem Ge­bet teil­te Va­ter dann die Ge­schen­ke aus und Mut­ter mein­te je­des­mal, dass sie in die­sem Jahr nicht so reich aus­ge­fal­len wä­ren. Aber wir hat­ten nie das Ge­fühl, zu ge­ring be­dacht wor­den zu sein und freu­ten uns herz­lich über je­de klei­ne Ga­be, wie z.B. ein Quar­tett­spiel, ein Hand­ar­beits­scher­chen oder ähn­li­ches.
Bibel
Mutter war längst wie­der in der Kü­che und bald roch es nach Brat­wurst und Schin­ken, nach sau­rem Al­ler­lei, Ik­ra und Pfef­fer­soß’ (Ik­ra kommt aus dem sla­wi­schen, rus­si­schen und be­zeich­net den Fisch­rogen, Ka­vi­ar. Als Ka­vi­ar­er­satz wer­den je­doch auch Ei und Au­ber­gi­ne als Brei ge­mischt, als Ka­vi­ar des ar­men Man­nes. In der Do­bru­dscha und auch Bes­sa­ra­bi­en je­doch Au­ber­gi­nen­sa­lat. Quel­le: „Die Kü­che der do­bru­dscha­deut­schen Bäu­e­rin“, Irm­gard Ger­lin­de Stil­ler-Ley­er. Pfef­fer­so­ße be­steht zum größ­ten Teil aus Pa­pri­ka, ge­mischt mit To­ma­ten, Zwie­bel, Knob­lauch, Au­ber­gi­nen, ähn­lich dem ru­mä­ni­schen Za­cus­ca.), so­wie nach all den gu­ten Din­gen, die sie für die­sen Abend vor­be­rei­tet hat­te. Und wie gut es uns dann im­mer schmeck­te, wie froh und glück­lich wir wa­ren! Spä­ter spiel­ten wir noch mit den Nüs­sen: „paa­rig oder un­paa­rig“, „Do­mi­no“ oder „Schwar­zer Pe­ter“, wo­bei wir es Mut­ter im­mer an­se­hen konn­ten, wenn sie die Un­glücks­kar­te ge­zo­gen hat­te.
Clip
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Viel später als sonst am Abend deck­te sie uns dann die Bet­ten auf, be­te­te mit uns und stopf­te uns die De­cke rings­um an den Kör­per, da­mit wir es warm hat­ten. Und wäh­rend sie uns auf die Stirn küss­te, schlie­fen wir be­reits neu­en Er­leb­nis­sen ent­ge­gen. Weih­nach­ten, die­ses wun­der­ba­re Fest, hat­te ja erst be­gon­nen.
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Kreuz
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