Mit einem frischen Rosmareinstrauch von Renz Helmut aus Ingolstadt in unserem Auto, fahren wir am Donnerstag, den 28. Juli von Ingolstadt nach Sanktanna. Frisch gegossen steht er für 1030 km auf dem Rücksitz auf der Fahrt über Passau, Linz, Wien, Nikelsdorf, Györ, Budapest, Szeged, Nadlac, Arad und Sanktanna. Die Abenddämmerung naht, noch bevor wir ankommen. Auf dem Weg zur Ziegelfabrik, wo wir ein Zimmer reserviert haben, halten wir an einem Melonenstand am Zimanderweg für die beste Melone seit Jahren.
Schon während unseres Nachtmahls kommen Hermine und ihr Ehemann Martin Reinholz um den mitgebrachten Rosmarein abzuholen. Wir plaudern in unserem schwowischen Dialekt wie eh und je über die Fahrt und dies und das, freuen uns allesamt auf das bevorstehende Kirchweihfest am Sonntag, den 31. August. An unseren Tisch kommt noch Familie Kerner aus Neumarkt. Auch die beiden sind heute angereist, wir hatten uns von unterwegs über unsere Handys immer wieder verständigt. In die vertraute Runde kamen am nächsten Tag noch Maria Murany mit ihrem Mann Edgar aus Nürnberg. Auch seine Eltern waren auf der ersten Etage im ersten Wohnblock der Ziegelfabrik, wie wir alle in geräumigen Zimmern, untergebracht.
Am nächsten Tag hatten wir unsere Mitbringsel auszufahren. Beim letzten Wiesenmayer in Altsanktanna, konnten wir seine Vögel, Hühner und Hähne bestaunen und die besten Pflaumen probieren. Einige dieser köstlich schmeckenden Früchte fanden neun Tage später in das Kröpfchen meines kleinen Enkels Samuel. Das waren die ersten Pflaumen in seinem jungen Leben.
Am Freitagnachmittag 18 Uhr waren wir bei einer Sitzung des Vereins „Valores Hilfe-Jugend-Kultur e. V.“ am Tisch neben unseren Freunden Anneliese und Johann Kerner aus Neumarkt in der Pizzeria in Altsanktanna. An festlich gedeckten Tischen fand sich eine kleinere Runde von 20 Personen ein. Darunter die Schuldirektorin des Stefan-Hell-Lyzeums mit einer Lehrerkollegin und unser Heimatpfarrer Reinholz Andreas, derzeit Pfarrer in Maria Radna, ein allseits bekannter Wallfahrtsort im Banat. Irgendwann während eines gemütlichen Beisammensitzens öffnen sich die Wolken über Sanktanna und bevor das Gruppenfoto fertig ist, fallen die ersten dicken Tropfen, es regnet nach Monaten Dürre zur Freude aller.
Am Ende des offiziellen Teils bekam auch ich die Gelegenheit einen Artikel aus meinem Buch „Heimatluft über den Feldern“ vorzustellen. Mein Partner Franz Wiesenmayer hat meinen Text ins Rumänische übersetzt und sehr emotional vorgetragen. Es ging dabei um die Frage „Warum kehren wir Ausgewanderten immer wieder nach Sanktanna zurück?“ Am Ende war die Rührung allseits zu sehen. Der uns gegenübersitzende Herr Gligor zeigt Interesse an diesem Text für die nächste Ausgabe der Zeitung Säntäneanul, was eine schöne Anerkennung für uns ist.
Am zweiten Abend haben wir in einem der Zimmer in der Ziegelfabrik den heimischen Schnaps und Wein probiert und gemeinsam alte Gassälieder gesungen. Lieder, die auch unsere Eltern in Sanktanna schon vor Jahrzehnten gesungen haben: "Abends steht am Fensterlein", "Auf der Elbe bin ich gefahren".
Am Samstag schon beim Frühstück erfahren wir, dass der Pfarrer von Sanktanna an diesem Morgen tot aufgefunden wurde. Der Schreck ist im ersten Moment bei allen groß, weil evtl. das ganze Fest auf dem Spiel steht. In kürzester Zeit wird klar, die Kirchweih findet wie geplant statt. Der tote Pfarrer ist in Pankota verstorben und für Sanktanna kommt für die Kirchweih ein junger Pfarrer namens Bako Laszlo aus Temeswar.
Kurz vor Mittag am Samstag gelangen wir an den großen Wochenmarkt von Pankota. Hier sehen wir Flohmarktwaren und schön gestapelte Paprika und Tomatenhaufen neben riesigen Melonenhaufen, neben Honig und Sakuskagläsern. Rauchende Micistände und Bottiche mit gekochtem Zuckermais. Alles Verlockungen dieser Gegend.
Auf dem Heimweg halten wir im Zentrum an dem Langoschstand und essen den besten aller Langosch mit Brinsä si märar. Um 17 Uhr, nach dem erfrischenden Regen, startet der Marsch der Puschäpuwä mit den Rekascher Musikanten vor der Herz-Jesu-Kirche in Altsanktanna. Der Festzug marschiert zum Rathaus, um den Bürgermeister Daniel Tomuta gemeinsam mit dem Stadtrat zur Kirchweih einzuladen.
Im Anschluss werden auch wir mit einer kleinen Gruppe Gäste aus Deutschland, zu einem Empfang vom Bürgermeister eingeladen. Wir werden freundlichst begrüßt und nach unserer Meinung zu Sanktanna in der Gegenwart befragt. Bei dieser Gelegenheit verabredet der Bürgermeister sich mit uns für den Montagvormittag um 9:30 Uhr an der in Sanierung befindenden Bürgerschule neben der Kirche.
Während des Gulaschessens am Samstagabend im Hof des neuen Kindergartens wird getanzt, begrüßt und geplaudert. Die heitere Stimmung wird von aufsteigenden schwarzen Wolken gestört. Alles wird nach drinnen verlegt und läuft mit Musik aus der Box weiter.
Der Sonntagmorgen ist kühl und angenehm. Festlich gekleidet fahren wir an die Kirche. Einige wenige Gäste aus Deutschland begrüßen und winken sich zu. Der Einzug in die Mutter-Anna-Kirche, der 24 weiß/schwarz gekleideten Trachtenpaare, angeführt von dem ersten Geldherrenpaar Karina Palcu-Socaciu mit Lukas Raab und dem zweiten Geldherrenpaar Sara Kwaschnitzki mit Alexander Saracut, läuft diesmal ohne Musik. Dem aktuellen Anlass - entsprechend in Gedenken an den toten Pfarrer - läuten dazu die Kirchenglocken. Der Festgottesdienst wird in drei Sprachen gehalten. Gebete und auch Kirchenlieder auf Rumänisch, Ungarisch und Deutsch berücksichtigen alle noch hier in Sanktanna lebenden Katholiken. Für das Lied: „Großer Gott, wir loben dich“ kommt die Blasmusik kurz in die Kirche und macht diesen Moment zu einem ganz besonderen. Nach dem sehr festlichen Hochamt werden alle Gäste im Kirchenhof mit frischen Kipfeln und Schnaps bewirtet. Diese Tradition fand früher immer im Pfarrhof statt. Nach ca. einer Stunde gemütlichen Beisammenstehens marschieren die Trachtenpaare mit der Blasmusik an das Haus der Vortänzerin. Einige Tage später erfahren wir von der jungen Mutter Melitta Palcu-Socaciu, dass sie und ihre Kolleginnen aus Kindergarten und Schule schon seit Februar an der Vorbereitung der aufwendigen Trachten der Mädchen arbeiteten. Wenige Wochen vor der Kirchweih werden die Kinder und Jugendlichen eingeladen, zur Probe zu kommen. Sie kommen alle freiwillig und üben das Tanzen, Marschieren und Lizitieren. Bei den diesjährigen Trachtenpaaren sind viele Kinder dabei, die sehr tapfer stundenlang stehen müssen. Mit der Sanktannaer Tracht können sich die Mädchen nicht setzen. Die aufwendig gelegten kleinen Hohlfalten würden sonst zerstört.
Wir selbst sind zum Festessen in der Pizzeria im Zentrum von Sanktanna angemeldet mit zahlreichen weiteren Gästen aus nah und fern. Es gibt gutes Essen, gute Getränke aller Art und jetzt werden an den Tischen Erinnerungsfotos gemacht und heitere Gespräche geführt. Für den Nachmittag sind wir bei Familie Seifer zu Kaffee und Kuchen eingeladen. Die beiden sind von Frühjahr bis Herbst in Sanktanna im eigenen Haus und bewirtschaften ihren großen Garten mit zahlreichen Obstsorten und herrlichem Gemüse. Die Obstbäume hat Valentin selbst veredelt (gepelzt), worauf er zu Recht stolz ist. Aus dem Obst kocht seine Frau Hilde beste Marmeladen oder macht Säfte, auch Schnaps wird gebrannt. Es wird alles verwertet und ist nachhaltig mit eigenen Etiketten verziert.
Ab 17 Uhr stehen zahlreiche rote Plastikstühle mit Zuschauern um den Kirchweihbaum im nahen Katharina-Ackermann-Park. Der Baum ist diesmal auch eine Neuerung. Ein normaler Baum im Park wurde mit Blumengirlanden von den Puschapuwa und ihren Vätern geschmückt. Neben diesem Baum stand wie eh und je ein Weinfass mit der passenden Aufschrift „154 Jahre Kirchweih Sanktanna“. Von hier aus wird das Geschehen gelenkt. Auf diesem Fass werden der erste und der schwowische Kirchweihspruch aufgesagt mittels eines Mikrofons, um in dem Trubel der vielen Zuschauer Gehör zu finden. Früher mussten die zwei Geldherren so laut schreien, so dass sie am Abend heiser waren. Die Blasmusik sitzt auf der Bühne des Pavillons und reagiert auf alle Zurufe der Geldherren. Musich, Ausplosä während des ganzen Nachmittags, wenn der große Kirchweihstrauß, der Hut und das Tuch versteigert werden. Jeder der Gewinner wird drei Mal hochgehoben von einer Gruppe Männer und Burschen und dabei spielt die Musik „Hoch soll er leben, hoch soll er leben, drei Mal hoch“. Mit dem Mann, der das letzte Gebot für den Strauß gemacht hat, geschieht dasselbe und am Ende wird er gefragt, wer jetzt den Strauß bekommen soll, also für welches Trachtenpaar er geboten hat. Für das nächste Kirchweihfest werden Yasmina Höniges mit Timo Raab das erste Kirchweihpaar sein und Sonja Höniges mit Ralf Raab das zweite. Zwei Schwestern mit zwei Brüder werden die nächste Kirchweih anführen. Somit ging der Festzug an diesem Abend in das Haus der beiden Höniges-Schwestern. Dieses Mal wurde der große Kirchweihstrauß für 720 Lei versteigert.
Am Abend des Kirchweihtages können wir zur Musik der ungarischen Musikkapelle „Tornado“ auf bekannte Weisen tanzen. Um ca. 22 Uhr marschierte die Kirchweihjugend, jetzt nicht mehr in Tracht, mit den zwei Kirchweihsträußen in den Saal ein. Es herrschte beste Stimmung und erst weit nach Mitternacht landeten wir erneut in der Ziegelfabrik. Leider hilft kein einziges Licht um den Schotterweg hin zu den Gleisen, die ungesichert überquert werden müssen, zu finden. Hier wäre Verbesserung wünschenswert. Nichtsdestotrotz konnten wir dort jeden Abend viele Gäste beim Essen und Feiern beobachten. Es wurden neue Pavillons aufgebaut, um die Gäste vor der prallen Sonne zu schützen. Während unseres 9-tägigen Aufenthalts hatte es in der Region 30 - 36 Grad angezeigt.
Am Montag den 1. August waren wir mit 11 Personen im Urbarialhaus (das älteste Gebäude von ca. 1750 in Sanktanna) mit dem Bürgermeister und einem Bauleiter zur Besichtigung der Sanierungsarbeiten verabredet. Beeindruckend waren die zahlreichen neuen Fenster, neue Böden, Sanitäranlagen und natürlich alle Wände neu verputzt. Jeder einzelne Raum hat schon seine Bestimmung und im Frühjahr 2023 soll die Einweihung des Gebäudes stattfinden. Die privaten Erinnerungen der einzelnen ehemaligen Schüler dieses einstigen Schulgebäudes aus unseren Reihen ließen dieses Gebäude lebendig werden. Hier soll auch ein Museum mit unserer Geschichte entstehen. Dazu haben auch wir ein Paar Rohrstiefel, ein Paar 100-jährige Frauenschnürschuhe, einen Gedenkkrug mit originellem Wappen und einen Gedenkteller von Auer Andreas mitgebracht.
Am 2. August findet seit Jahren die deutsche Wallfahrt nach Maria Radna statt. Über Pankote sind wir durch uns bekannte Ortschaften wie Galscha, Vilagos, Misca Madjerat, Gioroc, Paulisch dann Radna gefahren. Zehn Minuten vor 10 Uhr trafen wir in unmittelbarer Nähe der Wallfahrtskirche auf Frau Hiltrud Leber und Herrn Peter Dietmar Leber, unseren Bundesvorsitzenden der Banater Schwaben in Deutschland. Gemeinsam erlebten wir mit anderen Banater Schwaben und gläubigen Katholiken einen feierlichen Gottesdienst. Im Anschluss bekamen wir im Kloster eine warme Mahlzeit und frische Getränke.
Vom 3. - 4. August wollten wir unsere Familienfreunde in Reusen, Nähe Hermannstadt besuchen. Leider kam Corona dazwischen. Den Mittwoch haben wir dann in Arad verbracht, haben in dem großen Einkaufszentrum (Mol) in Bahnhofsnähe neue Hemden für Franz und ein Kleid für mich gekauft und über den Luxus hier gestaunt. Keinerlei Unterschied mehr zum Westen. Marken-Boutiquen nobel ausgestattet, Fast Food Essen usw.
Am Donnerstag, den 4. August waren wir verabredet mit Herrn Avram Janku (ehemaliger Chef des Complex Sanktanna). Er hat uns ganz ohne Navi nach „Felix 1 Mai“ gefahren, mit uns Stunden in diesem schönen Bad verbracht, gute Mici gegessen und Ursus Bier getrunken, natürlich alkoholfreies. Er und Franz Wiesenmayer haben angeregt über ihre frühere gemeinsame Arbeit und Erlebnisse mit Kollegen geplaudert.
Am Freitag ein kurzer Besuch bei meinem ehemaligen Nachbarn Toni Wunderlich von der Dobrogeanu Gherea Str. in Altsanktanna. Da wir auch verwandt sind, unsere Kappes Großväter Brüder waren, haben wir meinem Bruder Franz Marksteiner zu seinem heutigen 68. Geburtstag übers Handy gratuliert. Später waren wir an den Gräbern dieser zwei Brüder. Sie sind immer noch zu finden trotz mehrerer verflossener Jahrzehnte. Und hier schließt sich ein Kreis der Vergänglichkeit.
Unsere Heimreise nach Ingolstadt am 6. August begann in der Morgendämmerung, beladen mit Spezialitäten unserer alten Heimat. Reife aromatische Paradeis und Paprika, drei riesige Melonen, Kasch in der Kühlbox und zwei eingefrorene Hähnchen aus Sanktannaer Haltung.
Der Abschluss einer guten Reise nach Sanktanna ist auch immer eine Reise in die Vergangenheit. Erschöpft und zufrieden, weil alles gut gelaufen ist und wir bei bester Gesundheit gemeinsam mit unseren Kindern in Ingolstadt die Hühnersuppe aus dem Sanktannaer Hähnchen essen konnten.
Danke allen die zum Gelingen dieses schönen Festes beigetragen haben. Danke an alle fleißigen Hände aus Sanktanna, die voller Überzeugung unbeirrt den Kindern und Jugendlichen unser deutsches Brauchtum weitergeben und so zum Erhalt beitragen. Danke Hermine und Martin Reinholz, danke Familie Raab, danke Melita Palcu Socaciu, danke Marianne Hellstern, danke Theresia Reiter von der HOG aus Deutschland, danke an die Stadt Sanktanna, welche stets freundlich unsere Tradition unterstützt. Danke an alle 24 Trachtenpaare und ihre Eltern, jeder Einzelne war wichtig, alle haben engagiert mitgemacht und hunderte Menschen damit erfreut.