Wieder­sehen in Sankt­anna


von Katharina Emeneth

Strauch
Mann vor einem Auto
Mit einem frischen Rosma­rein­strauch von Renz Helmut aus Ingol­stadt in unserem Auto, fahren wir am Donners­tag, den 28. Juli von Ingolstadt nach Sankt­anna. Frisch ge­gossen steht er für 1030 km auf dem Rück­sitz auf der Fahrt über Passau, Linz, Wien, Nikels­dorf, Györ, Buda­pest, Szeged, Nadlac, Arad und Sankt­anna. Die Abend­dämmerung naht, noch bevor wir an­kommen. Auf dem Weg zur Ziegel­fabrik, wo wir ein Zimmer reser­viert haben, halten wir an einem Melonen­stand am Ziman­derweg für die beste Melone seit Jahren.
Melonenstand
Selfie vor Ziegelfabrik
Schon während unseres Nacht­mahls kommen Hermine und ihr Ehe­mann Martin Reinholz um den mitge­brachten Rosma­rein abzu­holen. Wir plaudern in unserem schwo­wischen Dialekt wie eh und je über die Fahrt und dies und das, freuen uns alle­samt auf das bevor­stehende Kirch­weih­fest am Sonntag, den 31. Au­gust. An unseren Tisch kommt noch Familie Kerner aus Neu­markt. Auch die beiden sind heute an­gereist, wir hatten uns von unter­wegs über unsere Handys immer wieder ver­ständigt. In die ver­traute Runde kamen am nächsten Tag noch Maria Murany mit ihrem Mann Edgar aus Nürn­berg. Auch seine Eltern waren auf der ersten Etage im ersten Wohn­block der Ziegel­fabrik, wie wir alle in geräu­migen Zimmern, unter­gebracht.
Geschenke
Am nächsten Tag hatten wir unsere Mit­bringsel auszu­fahren. Beim letzten Wiesen­mayer in Alt­sankt­anna, konnten wir seine Vögel, Hühner und Hähne be­staunen und die besten Pflau­men probieren. Einige dieser köstlich schme­ckenden Früchte fanden neun Tage später in das Kröpf­chen meines kleinen Enkels Samuel. Das waren die ersten Pflaumen in seinem jungen Leben.
gedeckter Tisch
Am Freitag­nachmittag 18 Uhr waren wir bei einer Sitzung des Vereins „Valores Hilfe-Jugend-Kultur e. V.“ am Tisch neben unseren Freunden Anne­liese und Johann Kerner aus Neu­markt in der Pizzeria in Alt­sankt­anna. An festlich ge­deckten Tischen fand sich eine klei­nere Runde von 20 Per­sonen ein. Darunter die Schul­direktorin des Stefan-Hell-Lyzeums mit einer Lehrer­kollegin und unser Heimat­pfarrer Reinholz Andreas, derzeit Pfarrer in Maria Radna, ein all­seits bekannter Wall­fahrts­ort im Banat. Irgendwann während eines gemüt­lichen Beisammen­sitzens öffnen sich die Wolken über Sankt­anna und bevor das Gruppen­foto fertig ist, fallen die ersten dicken Tropfen, es regnet nach Monaten Dürre zur Freude aller.
Gruppenfoto
Am Ende des offi­ziellen Teils bekam auch ich die Gelegen­heit einen Artikel aus meinem Buch „Heimat­luft über den Feldern“ vorzu­stellen. Mein Partner Franz Wiesen­mayer hat meinen Text ins Rumä­nische über­setzt und sehr emotional vorge­tragen. Es ging dabei um die Frage „Warum kehren wir Ausge­wanderten immer wieder nach Sankt­anna zurück?“ Am Ende war die Rührung all­seits zu sehen. Der uns gegen­übersitzende Herr Gligor zeigt Inte­resse an diesem Text für die nächste Ausgabe der Zeitung Sänt­äneanul, was eine schöne Aner­kennung für uns ist.
Am zweiten Abend haben wir in einem der Zimmer in der Ziegel­fabrik den hei­mischen Schnaps und Wein probiert und gemein­sam alte Gassä­lieder gesungen. Lieder, die auch unsere Eltern in Sankt­anna schon vor Jahr­zehnten gesungen haben: "Abends steht am Fenster­lein", "Auf der Elbe bin ich ge­fahren".
Wein
Am Samstag schon beim Früh­stück erfahren wir, dass der Pfarrer von Sankt­anna an diesem Morgen tot aufge­funden wurde. Der Schreck ist im ersten Moment bei allen groß, weil evtl. das ganze Fest auf dem Spiel steht. In kürzester Zeit wird klar, die Kirch­weih findet wie geplant statt. Der tote Pfarrer ist in Pankota ver­storben und für Sankt­anna kommt für die Kirch­weih ein junger Pfarrer namens Bako Laszlo aus Temes­war.
Kurz vor Mittag am Samstag ge­langen wir an den großen Wochen­markt von Pankota. Hier sehen wir Floh­markt­waren und schön gesta­pelte Paprika und Tomaten­haufen neben riesigen Melonen­haufen, neben Honig und Sakuska­gläsern. Rauchende Mici­stände und Bot­tiche mit ge­kochtem Zucker­mais. Alles Ver­lockungen dieser Gegend.
Marktstand
Mann steht vor Marktständen
Tomaten und Auberginen
Auf dem Heim­weg halten wir im Zentrum an dem Langosch­stand und essen den besten aller Langosch mit Brinsä si märar. Um 17 Uhr, nach dem erfri­schenden Regen, startet der Marsch der Puschä­puwä mit den Reka­scher Musi­kanten vor der Herz-Jesu-Kirche in Alt­sankt­anna. Der Festzug mar­schiert zum Rat­haus, um den Bürger­meister Daniel Tomuta gemein­sam mit dem Stadt­rat zur Kirc­hweih einzu­laden.
Regen
Frau mit Essen in der Hand
Im An­schluss werden auch wir mit einer kleinen Gruppe Gäste aus Deutsch­land, zu einem Empfang vom Bürger­meister einge­laden. Wir werden freund­lichst begrüßt und nach unserer Meinung zu Sankt­anna in der Gegen­wart befragt. Bei dieser Gelegen­heit verab­redet der Bürger­meister sich mit uns für den Montag­vormittag um 9:30 Uhr an der in Sanie­rung befin­denden Bürger­schule neben der Kirche.
Gulasch
Während des Gulasch­essens am Samstag­abend im Hof des neuen Kinder­gartens wird getanzt, begrüßt und ge­plaudert. Die heitere Stimmung wird von auf­steigenden schwarzen Wolken gestört. Alles wird nach drinnen verlegt und läuft mit Musik aus der Box weiter.
Junge steht auf einem Fass mit einem Mikrofon in der Hand
Der Sonntag­morgen ist kühl und an­genehm. Festlich ge­kleidet fahren wir an die Kirche. Einige wenige Gäste aus Deutsch­land be­grüßen und winken sich zu. Der Einzug in die Mutter-Anna-Kirche, der 24 weiß/schwarz gekleideten Trachten­paare, ange­führt von dem ersten Geld­herren­paar Karina Palcu-Socaciu mit Lukas Raab und dem zweiten Geld­herren­paar Sara Kwa­schnitzki mit Ale­xander Saracut, läuft diesmal ohne Musik. Dem aktuellen Anlass - ent­sprechend in Ge­denken an den toten Pfarrer - läuten dazu die Kirchen­glocken. Der Fest­gottes­dienst wird in drei Sprachen ge­halten. Gebete und auch Kirchen­lieder auf Rumänisch, Ungarisch und Deutsch berück­sichtigen alle noch hier in Sankt­anna lebenden Katho­liken. Für das Lied: „Großer Gott, wir loben dich“ kommt die Blas­musik kurz in die Kirche und macht diesen Moment zu einem ganz be­sonderen. Nach dem sehr fest­lichen Hoch­amt werden alle Gäste im Kirchen­hof mit frischen Kipfeln und Schnaps be­wirtet. Diese Tra­dition fand früher immer im Pfarr­hof statt. Nach ca. einer Stunde gemütlichen Beisammen­stehens mar­schieren die Trachten­paare mit der Blas­musik an das Haus der Vor­tänzerin. Einige Tage später er­fahren wir von der jungen Mutter Melitta Palcu-Socaciu, dass sie und ihre Kolle­ginnen aus Kinder­garten und Schule schon seit Februar an der Vor­bereitung der auf­wendigen Trachten der Mädchen arbei­teten. Wenige Wochen vor der Kirch­weih werden die Kinder und Jugend­lichen einge­laden, zur Probe zu kommen. Sie kommen alle frei­willig und üben das Tanzen, Mar­schieren und Lizi­tieren. Bei den dies­jährigen Trachten­paaren sind viele Kinder dabei, die sehr tapfer stunden­lang stehen müssen. Mit der Sankt­annaer Tracht können sich die Mädchen nicht setzen. Die auf­wendig gelegten kleinen Hohl­falten würden sonst zer­stört.
Glocke
Menschen in Trachten und mit Blasinstrumenten
Kaffee und Kuchen
Wir selbst sind zum Fest­essen in der Pizzeria im Zentrum von Sankt­anna ange­meldet mit zahl­reichen weiteren Gästen aus nah und fern. Es gibt gutes Essen, gute Ge­tränke aller Art und jetzt werden an den Tischen Erinnerungs­fotos gemacht und heitere Ge­spräche geführt. Für den Nach­mittag sind wir bei Familie Seifer zu Kaffee und Kuchen einge­laden. Die beiden sind von Frühjahr bis Herbst in Sankt­anna im eigenen Haus und bewirt­schaften ihren großen Garten mit zahl­reichen Obst­sorten und herr­lichem Gemüse. Die Obst­bäume hat Valentin selbst veredelt (gepelzt), worauf er zu Recht stolz ist. Aus dem Obst kocht seine Frau Hilde beste Marme­laden oder macht Säfte, auch Schnaps wird ge­brannt. Es wird alles ver­wertet und ist nach­haltig mit eigenen Eti­ketten verziert.
Marmelade
Schnapsflaschen
Fass
Ab 17 Uhr stehen zahl­reiche rote Plastik­stühle mit Zu­schauern um den Kirch­weihbaum im nahen Katha­rina-Acker­mann-Park. Der Baum ist diesmal auch eine Neuerung. Ein normaler Baum im Park wurde mit Blumen­girlanden von den Puscha­puwa und ihren Vätern ge­schmückt. Neben diesem Baum stand wie eh und je ein Wein­fass mit der pas­senden Auf­schrift „154 Jahre Kirch­weih Sankt­anna“. Von hier aus wird das Ge­schehen gelenkt. Auf diesem Fass werden der erste und der schwo­wische Kirch­weihspruch auf­gesagt mittels eines Mikro­fons, um in dem Trubel der vielen Zuschauer Gehör zu finden. Früher mussten die zwei Geld­herren so laut schreien, so dass sie am Abend heiser waren. Die Blas­musik sitzt auf der Bühne des Pavil­lons und rea­giert auf alle Zurufe der Geld­herren. Musich, Aus­plosä während des ganzen Nach­mittags, wenn der große Kirch­weih­strauß, der Hut und das Tuch verstei­gert werden. Jeder der Gewinner wird drei Mal hoch­gehoben von einer Gruppe Männer und Burschen und dabei spielt die Musik „Hoch soll er leben, hoch soll er leben, drei Mal hoch“. Mit dem Mann, der das letzte Gebot für den Strauß gemacht hat, geschieht das­selbe und am Ende wird er ge­fragt, wer jetzt den Strauß be­kommen soll, also für welches Trachten­paar er ge­boten hat. Für das nächste Kirch­weih­fest werden Yasmina Höniges mit Timo Raab das erste Kirch­weih­paar sein und Sonja Höniges mit Ralf Raab das zweite. Zwei Schwes­tern mit zwei Brüder werden die nächste Kirch­weih an­führen. Somit ging der Fest­zug an diesem Abend in das Haus der beiden Höniges-Schwestern. Dieses Mal wurde der große Kirch­weih­strauß für 720 Lei versteigert.
Tuba
Am Abend des Kirch­weih­tages können wir zur Musik der unga­rischen Musik­kapelle „Tornado“ auf be­kannte Weisen tanzen. Um ca. 22 Uhr mar­schierte die Kirchweih­jugend, jetzt nicht mehr in Tracht, mit den zwei Kirch­weih­sträußen in den Saal ein. Es herrschte beste Stimmung und erst weit nach Mitter­nacht landeten wir erneut in der Ziegel­fabrik. Leider hilft kein einziges Licht um den Schotter­weg hin zu den Gleisen, die unge­sichert über­quert werden müssen, zu finden. Hier wäre Ver­besserung wünschens­wert. Nichts­desto­trotz konnten wir dort jeden Abend viele Gäste beim Essen und Feiern beo­bachten. Es wurden neue Pavil­lons aufge­baut, um die Gäste vor der pral­len Sonne zu schützen. Während unseres 9-tägigen Aufent­halts hatte es in der Region 30 - 36 Grad ange­zeigt.
Blumen
Am Montag den 1. August waren wir mit 11 Per­sonen im Urbarial­haus (das älteste Gebäude von ca. 1750 in Sankt­anna) mit dem Bürger­meister und einem Bau­leiter zur Besich­tigung der Sanierungs­arbeiten verab­redet. Beein­druckend waren die zahl­reichen neuen Fenster, neue Böden, Sanitär­anlagen und natürlich alle Wände neu verputzt. Jeder einzelne Raum hat schon seine Be­stimmung und im Früh­jahr 2023 soll die Ein­weihung des Ge­bäudes statt­finden. Die privaten Erin­nerungen der einzelnen ehe­maligen Schüler dieses eins­tigen Schulge­bäudes aus unseren Reihen ließen dieses Gebäude lebendig werden. Hier soll auch ein Museum mit unserer Ge­schichte ent­stehen. Dazu haben auch wir ein Paar Rohr­stiefel, ein Paar 100-jährige Frauen­schnür­schuhe, einen Gedenk­krug mit ori­ginellem Wappen und einen Gedenk­teller von Auer Andreas mitge­bracht.
Schule
Gruppe besichtigt Baustelle
Am 2. August findet seit Jahren die deutsche Wall­fahrt nach Maria Radna statt. Über Pankote sind wir durch uns bekannte Ort­schaften wie Galscha, Vilagos, Misca Madjerat, Gioroc, Paulisch dann Radna gefahren. Zehn Minuten vor 10 Uhr trafen wir in unmit­telbarer Nähe der Wall­fahrts­kirche auf Frau Hiltrud Leber und Herrn Peter Dietmar Leber, unseren Bundes­vorsit­zenden der Banater Schwaben in Deutsch­land. Gemeinsam er­lebten wir mit anderen Banater Schwaben und gläubigen Katho­liken einen feier­lichen Gottes­dienst. Im Anschluss bekamen wir im Kloster eine warme Mahl­zeit und frische Getränke.
Gottesdienst
Gruppenfoto beim Essen
Vom 3. - 4. August wollten wir unsere Familien­freunde in Reusen, Nähe Hermann­stadt be­suchen. Leider kam Corona da­zwischen. Den Mittwoch haben wir dann in Arad ver­bracht, haben in dem großen Einkaufs­zentrum (Mol) in Bahnhofs­nähe neue Hemden für Franz und ein Kleid für mich ge­kauft und über den Luxus hier ge­staunt. Keiner­lei Unter­schied mehr zum Westen. Marken-Bouti­quen nobel ausge­stattet, Fast Food Essen usw.
Geldstücke
Am Donnerstag, den 4. Au­gust waren wir verab­redet mit Herrn Avram Janku (ehe­maliger Chef des Complex Sankt­anna). Er hat uns ganz ohne Navi nach „Felix 1 Mai“ ge­fahren, mit uns Stunden in diesem schönen Bad ver­bracht, gute Mici ge­gessen und Ursus Bier ge­trunken, natürlich alkohol­freies. Er und Franz Wiese­nmayer haben ange­regt über ihre frühere ge­meinsame Arbeit und Erleb­nisse mit Kol­legen ge­plaudert.
Menschen im Freibad sitzend
Am Freitag ein kurzer Besuch bei meinem ehe­maligen Nach­barn Toni Wunder­lich von der Dobro­geanu Gherea Str. in Alt­sankt­anna. Da wir auch ve­rwandt sind, unsere Kappes Groß­väter Brüder waren, haben wir meinem Bruder Franz Mark­steiner zu seinem heutigen 68. Geburts­tag übers Handy gra­tuliert. Später waren wir an den Gräbern dieser zwei Brüder. Sie sind immer noch zu finden trotz mehrerer ver­flossener Jahr­zehnte. Und hier schließt sich ein Kreis der Ver­gänglich­keit.
Handy
Friedhof
Unsere Heim­reise nach Ingol­stadt am 6. August begann in der Morgen­dämmerung, beladen mit Spezia­litäten unserer alten Heimat. Reife aroma­tische Para­deis und Pap­rika, drei riesige Melonen, Kasch in der Kühl­box und zwei einge­frorene Hähn­chen aus Sankt­annaer Haltung.
Heimfahrt
Der Ab­schluss einer guten Reise nach Sankt­anna ist auch immer eine Reise in die Ver­gangen­heit. Er­schöpft und zu­frieden, weil alles gut ge­laufen ist und wir bei bester Gesund­heit ge­meinsam mit unseren Kindern in Ingol­stadt die Hühner­suppe aus dem Sankt­annaer Hähn­chen essen konnten.
Ortseingangsschild
Danke allen die zum Ge­lingen dieses schönen Festes beige­tragen haben. Danke an alle flei­ßigen Hände aus Sankt­anna, die voller Über­zeugung unbe­irrt den Kindern und Jugend­lichen unser deutsches Brauch­tum weiter­geben und so zum Erhalt bei­tragen. Danke Hermine und Martin Rein­holz, danke Familie Raab, danke Melita Palcu Socaciu, danke Marianne Hell­stern, danke Theresia Reiter von der HOG aus Deutsch­land, danke an die Stadt Sankt­anna, welche stets freundlich unsere Tra­dition unter­stützt. Danke an alle 24 Trachten­paare und ihre Eltern, jeder Einzelne war wichtig, alle haben enga­giert mit­gemacht und hun­derte Menschen damit er­freut.
Ingolstadt, den 12.08.2022.
Danke
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