Lesung ausgewählter Gedichte aus - Beleuchtete Busse in denen keiner saß - von und mit Dagmar Dusil in Begleitung von Johann Markel am Klavier
von Roselinde Markel
Ein Programmpunkt vom zweiten Tag der zehnten Kulturwoche Haferland in Deutsch-Weisskirch vom 31. Juli 2022
Die zehnte Kulturwoche Haferland fand im Zeitraum 29. - 31. Juli 2022 im Rahmen des Siebenbürgischen Kultursommers statt. Sie umfasst zehn Dörfer: Arkaden, Keisd, Hamruden, Reps, Deutsch-Kreuz, Radeln, Meschendorf, Klossdorf, Bodendorf und Deutsch-Weisskirch. Während der Haferlandtage sollen diese Dörfer durch Konzerte, Chöre, Workshops, mit lokalem Kunsthandwerk, über Ausstellungen, Buchvorstellungen, Filmvorführungen, Tänze und Blasmusik kulturelles Leben an die Besucher bringen.
Im Vorwort der Broschüre “Siebenbürgischer Kultursommer 2022” sagt Rainer Lehni, Präsident der Föderation der Siebenbürger Sachsen: “Das Konzept des Kultursommers ist so angelegt, dass es Sie durch viele Orte Siebenbürgens führen wird. (…) Viele Landsleute aus Österreich und Deutschland werden nach Siebenbürgen reisen, um schöne Sommertage bei verschiedenen Begegnungen und Ereignissen zu erleben. Für junge Leute ist es eine gute Gelegenheit, die Heimat ihrer Eltern und Großeltern neu zu entdecken oder bestehende Verbindungen zu vertiefen. (…) Wichtig für uns Siebenbürger Sachsen ist die Pflege unserer Gemeinschaft, Kultur und Tradition. Daher ist auch das Programm des Kultursommers so vielfältig wie es unsere Gesellschaft ist. Ausstellungen, Vorträge, Gottesdienste, Brauchtum, Kulinarik, Ortsjubiläen, Arbeitseinsätze, Vorträge, Tanzveranstaltungen, Konzerte und vieles andere werden uns in unsere Heimatorte führen.”
Am 31. Juli war es für uns vom Hof Nr. 160 in Deutsch-Weisskirch dann soweit. Es war der Tag, an dem unser schönes siebenbürgische Dorf Deutsch-Weisskirch im Mittelpunkt der Haferlandtage stand. Der Tag begann oben in der Kirchenburg mit einer Vorführung der Töpferkunst, vorgestellt von der Familie Ilyes aus Corund, am späten Nachmittag dann die Lesung von Frau Dagmar Dusil in Begleitung von Johann Markel am Klavier. Noch vor der Rückkehr der Kuhherde von der Weide, ein besonderes tägliches Spektakel im Dorf, füllte sich das evangelische Gotteshaus, um das SoNoRo-Konzert nicht zu verpassen. Es ist ein längst bekanntes und beliebtes musikalisches Ereignis im Dorf. Der Tag endete für das jung und junggebliebene, aber auch tanzfreudige, multikulturelle Volk in der Pfarrhausscheune beim Siebenbürgischen Sachsenball zu den Rhythmen der Radu S Band.
Wir vom Hof Nr. 160 in Deutsch-Weisskirch fühlten uns sehr geehrt, dass zu der Lesung von Frau Dusil und der Begleitung am Klavier von Johann, welches im Musikraum, ehemalige Schreinerei des Schwiegervaters bzw. Großvaters, sich eine beträchtliche Hörerschaft einfand. Es ehrten uns auch bekannte Gäste wie Herr Rainer Lehni mit Gattin Heike-Mai-Lehni, Dr. Daniel Zikeli, Frau Heidi Sander, Martin Eichler mit Ehefrau, Caroline Fernolend, Direktorin der Eminescu Stiftung als auch das Organisatorenehepaar Gerhild und Dietmar Gross. Liebhaber von literarischen Texten und klassischen Melodien konnten bei uns fast alle in der ersten Reihe Platz nehmen, auch der Teil der Gäste, die rund um den Musikraum vor geöffneten Fenstern in bequemen Gartenstühlen Sitzplätze fanden.
Die Schriftstellerin Dagmar Dusil begann ihre Vorlesung mit einer kurzen Erläuterung zur Entstehungsgeschichte des Gedichtbandes. Es sei das Ergebnis eines innigen Gedankenaustausches mit einer Dichterfreundin, Frau Ioana Ieronim während der Pandemie, berichtete sie. Beide Dichterinnen seien der Sprache der Anderen mächtig und hatten Freude daran, die Gedichte der Freundin in die eigene Sprache zu übersetzen.
So entstand ein zweisprachiger Gedichtband in Rumänisch-Deutsch bzw. Deutsch-Rumänisch. Für uns siebenbürgischen Zuhörer und späteren Leser der Verse ist es im Grunde genommen ein doppelter Genuss. Längst vergessene oder gar nicht geläufige Wörter aus dem Rumänischen in deutscher Sprache zu hören oder Gedanken in wunderbaren Methaphern in zwei Sprachen zu bekommen, vertieft auf ganz großartige Weise gesagte Inhalte.
Zwar gingen beim Vortrag die in schwarz-weiss gehaltenen Seiten des Buches mit den symbolträchtigen bildhaften Scherenschnitten von Frau Gerhild Wächter, einer Fotografin und freien Mitarbeiterin bei verschiedenen Zeitungen und Verlagen, verloren, wer allerdings den Gedichtband erwirbt, wird zusätzliche Freude am Buch haben.
Zum Ausgleich dafür gab es aber für uns Zuhörer an diesem Abend passende klassische Klänge zu den Texten, die Johann Markel an seinem historischen Bechstein-Flügel mit viel Leidenschaft darbot. Mit dem Klavierstück von Mozart D-Dur Allegro KV 626:16 begann der musikalische Teil des literarisch-musikalischen Abend. Es ist ein noch recht unbekanntes Stück von Mozart, welches kurz vor dem Ausbruch der Pandemie entdeckt wurde.
Mit der Vorlesung des ersten Gedichtes “Resümee” 2020 lenkt die Autorin unmissverständlich unsere Aufmerksamkeit in die ernste Problematik der zurückliegenden Zeit der Pandemie, eine Problematik, mit der sich alle Gedichte des Buches auf unterschiedliche Weise beschäftigen. Das gesamte Spektrum von Verzweiflung, Angst, Erschütterung, Erstarrung, Wut und Konfrontation mit Tod lässt uns plötzlich aufhorchen: “Die Welt ist aus den Fugen geraten… das Jahr warf seine Schatten voraus… 2020, das Jahr, das Menschen entblößte bis auf die Haut… Kummer wird digital geteilt… was ist schon normal, fragst du leise hinter der Maske.”
Die unheilvolle Stimmung des Gedichtes setzt Johann mit seiner Interpretation des Klavierstück von Tchaikovsky Op. 39 Nr. 1 “Das Morgengebet" fort. Russische Komponisten wurden bewusst von beiden Künstlern für den Abend ausgewählt. Es sollte ein deutliches Zeichen gegen diejenigen gesetzt werden, die nach dem Ausbruch des Krieges gegen die Ukraine dazu neigten, russische Kunst stumm zu schalten. Gute Kunst kennt keine Grenzen, kann hingegen Menschen vereinen und Verständigung bewirken. Es werden daher am Abend weitere russische Kompositionen von Tschaikowski und Scriabin erklingen und stimmungsvoll die Texte der Autorin begleiten, wie beispielsweise Tchaikovskys Op. 39 Nr. 16 “Altfranzösisches Lied” zum Gedicht “Birnen im Januar” oder seine “Süßen Träume” Op. 39 Nr. 21 zu den Gedichten “Quarantäne. Bamberg” und “Quarantäne. Washington".
Mit der Lesung der Gedichte in beiden Sprachen wie “Stille” und “Abendlied” erreicht die Autorin in eindringlicher Weise und über extrem fein ausgewählte Metaphern die Gemüter der Zuhörer. Erlebtes flackert unwillkürlich auf: “So viel Stille… Die Stadt in der Schwebe… die Osterglocken vergessen… tektonische Platten im zögerndem Warten… Wege atmen tiefe Dunkelheit.”
Mit dem von Johann gespieltem Prelude Op. 11 Nr. 4, das Scriabin als 16-Jähriger schrieb, unterstreicht er eindrucksvoll den vorgelesenen Text. Mit dem Stück von Tschaikowski Op. 38 Nr. 7 “Die kranke Puppe" lässt der Pianist in seiner Interpretation keinen Raum für Oberflächlichkeiten und gibt Ausblick auf nachdenkliche Worte der Autorin. Im Gedicht “Im Heim” tauchen wir nämlich in die besondere Welt der älteren Menschen während der Pandemie ein, da diese in den vier Wänden der Heime zur Isolation verdammt waren und in eine imaginäre Welt der Erinnerungen, soweit möglich, versanken. Wir hörten: “Zimmer wird zur Heimat gemacht mit Ausblick auf imaginäre Berge …entschwundene Geschichten der Kindheit… Heimat auf der Zunge gespürt …mit Sarmale und… Holunder… Lieder der Heimat gehört, als das Herz im Trommeltakt schlug.”
Mit Scriabins Prelude Op. 11 Nr. 10 führt uns der Pianist auf einfühlsame Weise zu der Offenbarung im “Zauberspruch des Jahres", welches Frau Dusil in einer gelungenen Übersetzung ins Deutsche aus dem Rumänischen vorträgt. Im Jahr 2020 erlebten wir, dass: “…eine Gefahr (doch nicht wie von uns geplant) die Menschen zum ersten Mal vereinte… das Jahr 2020 hält uns den Spiegel vor.” Offen bleibt allerdings, was wir ins nächste Jahr mitnehmen und was wir daraus lernen: “vereint - haben wir verloren, nur vereint werden wir siegen”.
Es ist eine eigenartige Gegenwart, die uns eingeholt hat und den Weg in nur eine Richtung weist. “Wir leben im Abschied/ in der Vorläufigkeit des Seins/ wir leben im leisen Tod des Augenblicks/ im Trommelwirbel der Stille”, beginnt Frau Dusils Text des Gedichtes “Memento mori”. Die einfühlsame Interpretation von Johann der “Romanze ohne Worte” von Carl Filtsch, dem viel zu früh verstorbenen siebenbürgischen Wunderkind, passte nicht nur zu den Aussagen des gehörten Gedichtes sondern auch zu dem Raum, in dem wir uns gerade befanden. Es ist die alte Schreinerwerkstatt des Großvaters des Pianisten, die im neuen Glanz einer Musikwerkstatt erstrahlt und uns für diesen Abend ein herrliches Ambiente bietet.
Frau Dagmar Dusil lässt uns danach mit ein paar Worten an der schwierigen Übersetzungsarbeit der rumänischen Gedichte ins Deutsche ihrer Freundin, Fr. Ioana Ieronim, die in New York lebt, teilhaben. In der Nacht übersetzte Texte, werden am Morgen beim Frühstück zusammen mit dem Ehemann H. Dieter Zink begutachtet und gerichtet. Jedes Wort muss stimmen, das ist der hohe Anspruch des literarisch aktiven Ehepaares. So entsteht, wie sollte es anders sein, ein nächstes Gedicht: “Sei gegrüsst zur Zoom-Stunde”.
“….traim in timp suspendat timp furat/ tempo rubato/ fără promisiunea întoarcerii/ schreibt Ioana Jeronim aus New York und Dagmar Dusil in Bamberg übersetzt: “Wir leben in schwebender Zeit, gestohlener Zeit/ tempo rubato/ ohne das Versprechen einer Wiederkehr”.
Die Autorin beendet ihre Vorlesung mit meinem Lieblingsgedicht: Panta rhei. Schon während dem Lesen dieser Verse, ordnen sich meine Gedanken in eigene Reime und begleiten mich in die nächsten Tage hinein.
Panta rhei Lass es geschehen das Werden, Vergehen lass es geschehen das Leben im warmen Atem lass die Wasser fliessen über die Stoppeln der Felder lass Türme sich neigen und Äpfel verfaulen lass Brunnen austrocknen lass es geschehen dass Menschen kommen dass Menschen gehen lass es geschehen im Blätterfall lass Abschiede regnen und Pfützen entstehen.
Meine Gedanken in Versform dazu: Geplant wars anders, gekommen ists, wies kam. Erbe übersprang den Erben, nur der Anfang ward getan. Die Werkstatt strahlt nun wieder, die Hämmer schlagen an. Es tönen neue Lieder und alles geht voran. Lass es geschehen, die Welt erholt sich schon. Es wird ihn immer geben, Den wilden Marathon. 8.08.22, R. Markel
Mit wenigen sowie aussagekräftigen Wörtern schließt Frau Dusil den literarisch-musikalischen Abend: “Jede Katastrophe ist nur dann zu Ende, wenn eine größere Katastrophe folgt. Die Pandemie hat sich verabschiedet, aber leider haben wir eine größere Katastrophe vor der Tür.“
Mit den hoffnungsvollen Klängen der Arabesque Nr. 1 von Debussy geht ein berührender und nachdenklicher musikalisch-literarischer Abend in Deutsch-Weisskirch zu Ende. Danke an Frau Dagmar Dusil und Danke an Johann Markel.
Beleuchtete Busse in denen keiner saß Si trec autobuze goale Deutsch/Rumänisch Von Dagmar Dusil/Ioana Ieronim Das Buch ist über jede Buchhandlung und direkt bei Pop Verlag Ludwigsburg und Schillerverlag ISBN 978-86356-339-4 zu erwerben
Wer mehr vom Haus Nr. 160 Deutsch-Weisskirch wissen will, kann sich bei www.colligere1841.com informieren.