Zur Erinnerung an meinen Freund, den Schriftsteller Thomas Rosenlöcher (1947-2022)
von Stephan Ernst
Im Juni/Juli 1987 planten meine Frau Christine und ich eine Wandertour mit meinem Cousin Frank und unseren Kleinzschachwitzer Freunden Birgit und Thomas Rosenlöcher im Retezat-Gebirge. Zwar hatte sich Thomas noch vorher den Fuß verstaucht, doch sollte das unsere Abreise nicht verschieben. Am 22. Juni um 15:27 Uhr fuhren wir in Dresden ab und kamen am nächsten Tag um 14 Uhr in Simeria an. Ein Bus brachte uns nach Haƫeg und von dort ein Arbeiterbus nach Brazi am Riul Mare.
Wir sind schwer mit Gepäck beladen, um drei Wochen im Gebirge völlig unabhängig zu sein. Der wilde Aufstieg von Lunca Rotunda über Blockfelder zum Gipfel Zlata ist deshalb sehr beschwerlich.
Die Tour am 28. Juni über den Gipfel Judele (2.398 m) zum Lia-See ist anstrengend und teils auch gefährlich. Wir gehen den ganzen Tag.
Den Ruhetag am Lia-See haben alle verdient. Die Männer pokern ums Kleingeld.
Jeder kriecht keuchend für sich allein am Steilhang zum Ciumfu-Mare.
Aufstieg am 2. Juli über die Wasserfälle zu den Quellseen Tǎurile Custurii. Ohne Gepäck!
Oberlauf des Ciumfu-Mare. Wir sehen unterwegs Gämsen und Murmeltiere, einen Steinadler, eine Wasseramsel, Kolkraben und Tannenhäher, Ringdrosseln und Alpenbraunellen.
Am flachen klaren Bergsee Lacul Mic al Custurii (2.210 m) herrscht eine märchenhafte Stimmung. Kein Lufthauch kräuselt das Wasser. Die magische Schönheit des Sees verschlägt uns die Sprache. Schweigend bleiben wir lange am Ufer sitzen. Nur nicht fotografieren, denke ich, sonst erschlägt mich der Berggeist.
Der Abschied soll in der Buta-Berghütte (1.580 m) gefeiert werden. Wir sind die einzigen Gäste. Es gibt nichts zu essen. Wir trinken Wein. Erst später brät uns der Hüttenwart ein paar Spiegeleier. Aber war es nun der reichliche Wein oder unsere ausgelaugte körperliche Verfassung, dass der Alkohol eine solche fürchterliche Wirkung zeigte? In der Finsternis schleppen wir uns über die Blockfelder wieder hinauf zu den Zelten und bemerken erst am Morgen das Malheur. Alle Papiere und das Geld von uns beiden und Frank sind weg, in der Nacht aus dem Beutel gefallen! Wie sollen wir das im Geröll jemals wiederfinden? Die Vorstellung, unsere Wanderung jetzt abbrechen und nach Bukarest fahren zu müssen aufs Konsulat (ohne Geld!), ist entsetzlich.
Unsere Nachsuche bleibt erfolglos. Verabschiedung unserer Freunde an der Buta-Hütte, wo heute, wie ich im Internet sehe, mehrere neue Hütten stehen. Doch als Frank und ich wieder nach oben steigen, kommt uns Christine schon strahlend entgegen.
Schafhirten erwarten uns bei den Zelten. Ob ich der Mann bin, wollen sie von mir wissen, dessen Bild sie in den Papieren, die ihre Hunde am Morgen im Geröll aufgestöbert hatten, gesehen haben. Alles wieder da! Keinen Leu, keine Mark haben sie sich herausgenommen und wollen auch keine Belohnung. Die nehmen sie wohl eher uns zuliebe.
Ist ihre Freude nicht genauso groß wie unsere?
Also können wir unsere Tour nun zu dritt, wie geplant, über das Kleine Retezat fortsetzen und wandern am 5. Juli über die Gipfel Albele (2.013 m), Piatra Iorgovanului (2.014 m) und Stǎnuleƫii Mare (2.025 m) zum Soarbele-Tal.
Karstwände an den Abhängen des Iorganului
Noch verbleiben uns sieben Tage für eine weniger beschwerliche Strecke an der Cerna taleinwärts bis zum Stausee Lacul Cerna, dann über das Mehedinƫi-Gebirge nach Cloșani, Padeș, Cǎlugǎreni und Balta. Unterwegs beobachten wir seltene Vogelarten wie Steinadler, Alpensegler und Felsenschwalben. Krabbeln am 15. Juli hinter Cǎlugǎreni tief in eine lange schmale Höhle (Peștera Cloșani) mit einem unterirdischen Bach und herrlichen dicken Tropfsteingebilden. Am Höhleneingang entspringt eine Quelle.
In Balta erwischen wir früh den Bus nach Turnu Severin und steigen dort am 16. Juli um 13 Uhr in den „Transdanubia-Express“ nach Prag, sind am nächsten Tag abends in Prag und am 18. Juli um 1:30 Uhr wieder in Dresden. Das alles ist 35 Jahre her.