Toma Alimoș

Toma in Tracht
Weit, Bruder, weit.
Weit und doch so nah
Über dem Tal des Nistru,
Im Türkenland;
Herbstlandschaft
Herbst in Vulcan, Brasov.
Dort am Horizont dieser Gipfel,
Bei der Grube mit den fünf Ulmen,
Die aus einem Stamm gewachsen,
Wie fünf Brüder von einer Mutter
Ulmen
Hier sass er, Toma Alimoș,
Der Bojar des unteren Landes;
Hier sitzt er, Toma, der Bekannte
Neben seinem Pferd, das angebunden ist,
Mit einem silbernen Pflock,
Geschlagen in die schwarze Erde.
Weide mit Haus und Pferd
Bauernkultur in Zapodie, Alba.
Und im Gras, wie er so sass,
Eine stolze Tafel ausgebreitet.
Und trank immerzu recht fröhlich
Weinglas und Karaffe
Und so sagte er:
«Ich würde anstossen, aber mit wem?
Würde mit dem Pferd anstossen,
Aber das Pferd ist mir zu wild
Und nur zum Laufen ist es gut.
Würde mit den Waffen anstossen,
sind meine Geschwister,
Aber die sind nur trockene Hölzer.
Trockene Hölzer, kalter Stahl!
Würde mit den Ulmen anstossen,
Die Riesen der Höhen,
Weil sie bereit sind, mir zu antworten
Mit dem frohen Rauschen der Blätter,
Sie bewegen sich im Wind
Und neigen sich mir entgegen!»
Ulmen
Hör die Stimmen
Die in der Ferne zu hören sind
Ein Wiehern das wieherte
und immer näherkam
Toma erhob sich langsam
Über Felder schaute er
Und er erblickte einen Räuber
Auf einem schwarzen Pferd,
Ein flinkes, kräftiges Pferd…
wie ein herrschaftliches Pferd.
Reiter
Der grosse langhaarige Räuber,
Wie eine dichte Eiche
War Mane mit dem kräftigen Rücken
Mit dem grossen dichten Umhang,
War er schlecht gelaunt,
Und mit einem groben Morgenstern,
Nur mit der Axt behauen.
Mann mit Waffen
Näherte er sich Toma langsam
Und sprach:
«Du! Toma Alimoș
Bojar aus dem unteren Land,
Was betrittst Du unser Land
Und zerstörst unsere Wiesen?»
Wiese
Heukegel über dem Aries-Tal, Alba.
Der Bojar Toma Alimoș
Reicht ihm die Flasche mit rotem Wein:
«Lebe hoch, Mane, Du Bastard!
Verstecke Deinen Ärger
Dass wir den Trank teilen.»
Mann mit Weinglas
Mane griff mit der Linken die Flasche,
mit der Rechten die Waffe.
Den Dolch zog er aus seiner Brust
Und er drehte ihn gut
Und versteckte ihn gut
Dass er Toma erstach
In den Bauch hinein,
Über seinen Gürtel
Oberhalb des Nabels.
Tomas mit Messer
Toma krümmte sich vor Schmerz
Mane hing sich in die Steigbügel
Machte kehrt und floh.
«Du! Hurensohn!
Weil Du meine Tage geraubt hast!
Wenn ich Dich greife,
Sind Deine Tage gezählt!»
Und wie er so redete
Sammelte er seine Gedärme,
Drückte sie zurück in den Körper,
Von seinem Gürtel zusammengehalten
verletzter Bauch
Ging er zu seinem Pferd
und sprach zu ihm:
«Du! Liebes kleines Pferdchen,
Du! Liebes tapferes Pferdchen!
Wenn Du im Alter könntest,
Wie in Deiner Jugend!»
Pferd
Das Pferd schaute mit grossen Augen,
Wieherte und antwortete:
«Nimm die Mähne und steig auf,
Und halte Dich nun gut fest,
Dass ich Dir im Alter zeige
Was ich in der Jugend zahlte!»
Pferdekopf
Toma stieg schnell auf
Er folgte Mane
Und schrie unentwegt:
«Du! Kleines Pferdchen,
Du! Mein tapferes Pferd,
Folge dem Weg
Wie das Gras des Feldes
Wie der Wind darüber weht!»
Das kleine Pferd folgte,
Wind weht über Gras
Mane schaute zur Seite,
Toma wütete und grölte:
«Du hast mich räuberisch erstochen,
Fliehst nun feige.
Wenn ich Dich greife,
Sind Deine Tage gezählt.
Halte, dass wir uns treffen
Und ein paar Worte wechseln,
Dass wir kämpfen!»
Mane lief weiter davon.
rennender Mann
Aber Toma erreichte ihn
Und laufend stach er zu,
In die Hälfte seines Körpers
Zwischen die Rippen!
In zwei Teilen stürzte Mane,
zerteilter Mann
Toma sprach zu seinem Pferd:
«Du! Kleines Pferdchen
Du! Mein liebes tapferes!
Meine Augen werden trüb,
Die Wolken am Himmel drehen.
Augen
Beeile Dich, laufe schnell,
Wie die Gedanken bring mich hin,
Dort an den Horizont der Gipfel,
Bei der Grube mit den fünf Ulmen,
Weil ich, liebes Pferdchen, sterben
Und nicht mehr auf dir reiten werde!
Berglandschaft mit Nebel
Morgenstimmung über dem Valea Poienii, Alba.
Und wenn ich tot bin,
Wenn ich dich nicht mehr streicheln kann
Du mit deinem Huf gräbst eine Grube,
Neben den Ulmen mir ein Grab machst
Und mich mit deinen Zähnen nimmst,
Ins Grab mich wirfst.
Pferdekopf mit Toma im Maul
Die Ulmen werden sich verneigen,
Die Blätter werden fallen,
Und werden meinen Körper bedecken!»
Grab unter Ulmen
Übersetzt von Anda und Sven Panthöfer
nach der Vorlage bei:
Vasile Alecsandri:
Poesii Populare ale Romanilor,
Bukarest 1866, S. 72–76
Ballade auf rumänsich Ballade auf rumänsich Ballade auf rumänsich
Toma Alimoș – ein tra­gi­scher Volks­held im Kampf ge­gen die Os­ma­nen
von Sven Pant­höfer
Neben dem Na­tio­nal­epos vom Schäf­chen Mio­rița ist die Bal­lade des Toma Ali­moș ei­ne der be­kann­tes­ten und po­pu­lär­sten Er­zäh­lun­gen im heu­ti­gen Ru­mä­nien. Auch in den Schul­bü­chern fin­det man sei­ne le­gen­däre Ge­schich­te, die To­ma als ei­nen vom ein­fa­chen Volk ver­ehr­ten Käm­pfer (Hai­duk) ge­gen die dem os­ma­ni­schen Sul­tan fol­gen­den ein­hei­mi­schen Land­ade­li­gen (Bo­ja­ren) dar­stellt. In der hier ab­ged­ruck­ten Fas­sung wer­den die bei­den Ak­teu­re aus der Sicht des verarmten, unterdrückten Volks benannt. Toma, der für die Rechte der einfachen Be­völ­ker­ung und ge­gen die Un­ter­drü­ckung durch den Adel kämpft, wird im Text als Edel­mann, als Bo­jar cha­rak­teri­siert. Mane, der ade­li­ge Grund­be­sit­zer, ist aus der Sicht des Volks ein Räu­ber, der dem Volk die letz­ten Mün­zen und Na­tur­al­ab­ga­ben ab­presst, um sei­nen auf­wen­digen Le­bens­stil zu fi­nan­zie­ren.
Zu Be­ginn sitzt To­ma ein­sam, nur in Be­glei­tung sei­nes Pferds, in der Na­tur und wünscht sich, mit ei­nem ihm nahe­ste­hen­den Men­schen dort zu sein. Er mo­no­lo­gi­siert. Zwei Volks­mo­tive, die Ein­sam­keit und die Ver­bun­den­heit des Men­schen mit der Na­tur, wer­den hier her­vor­ge­ho­ben. Die Ein­sam­keit wird durch die stür­mi­sche An­kunft von Ma­ne, ei­nem sei­nen Be­sitz be­to­nen­den Bo­ja­ren be­endet. Er wirft To­ma Sach­be­schä­di­gung und Land­frie­dens­bruch vor. Um die Si­tu­ati­on zu be­ru­hi­gen, bie­tet To­ma dem Bo­ja­ren Wein an. Ma­ne zieht sei­ne Waf­fe und sticht hin­ter­rücks auf To­ma ein. Der Bo­jar flieht. Die nun fan­tas­ti­sche Ge­schich­te er­zählt da­von, wie To­ma sich auf­rap­pelt. Er bit­tet sein Pferd, das ihn per­so­ni­fi­ziert mit mensch­li­chen Wor­ten an­spricht, die Ver­fol­gung auf­zu­neh­men. Er holt Ma­ne ein und pro­vo­ziert ei­nen Kampf mit ihm, dem Ma­ne zum Op­fer fällt. Der letz­te Teil der Bal­la­de ist in Trau­rig­keit ge­hüllt. Auch To­ma stirbt und wird von sei­nem Pferd be­gra­ben.
Über den Ur­sprung der Bal­lade ist we­nig be­kannt. Ver­mut­lich ent­stand sie in der Früh­pha­se des Feu­da­lis­mus in der Mol­dau. Ein Ver­fas­ser ist nicht über­lie­fert. Erst­mals wur­de sie Mit­te des 19. Jahr­hun­derts von Va­si­le Alec­san­dri oder Ale­cu Rus­so auf­ge­schrie­ben. In den fol­gen­den Jahr­zehn­ten ent­wi­ckel­ten sich sehr un­ter­schied­liche Ver­sio­nen der Ge­schich­te: Der so­zia­le Sta­tus der Cha­rak­tere ist ver­än­dert, die Na­men va­ri­ie­ren, To­ma fehlt ganz oder die Rol­len der Pro­ta­go­nis­ten sind ver­tauscht. So ist die Bal­la­de heu­te weit ent­fernt von ih­rer ur­sprüng­lichen Fas­sung. Für die hie­si­ge Über­set­zung wur­de ei­ne frü­he Ver­sion aus­ge­wählt, die der ru­mä­ni­sche Dich­ter und Sam­mler ru­mä­ni­scher Volks­lie­der, Va­si­le Alec­san­dri (1821–1890), im Jahr 1866 in sei­nem Buch über die Volks­dich­tung der Ru­mä­nen (Po­esii Po­pu­la­re ale Ro­ma­ni­lor) ver­öf­fent­lich­te.
Auch als Lied fand der Text Ein­gang in die Volks­kul­tur – eben­falls in zahl­rei­chen Va­ri­an­ten. Ro­ma-Mu­si­ker, die die Volks­lied­tra­di­tionen der Mehr­heits­ge­sell­schaft auf­grei­fen und über die Ge­ne­ra­tio­nen wei­ter­ge­ben, tun dies in Ru­mä­ni­en auch mit der Bal­lade von To­ma Ali­moș. Und so kann es sein, dass lo­ka­le Hel­den­ge­schich­ten aus Süd­ost­eu­ro­pa mit den welt­weit be­kann­ten Ro­ma-Mu­si­kern wie den Ta­raf de Hai­douks auf die Büh­nen der Welt ge­lan­gen.
Musiker
Singende und mu­si­zie­ren­de Ro­ma bil­den in wech­seln­den For­ma­tio­nen im­mer wie­der neue Mu­si­ker-Grup­pen; be­kannt und re­nom­miert sind die Ta­raf de Hai­douks aus dem Dorf Cle­jani in der Wa­la­chei, die auch die po­pu­läre ru­mä­ni­sche Volks­bal­la­de vom tra­gi­schen Hel­den To­ma Ali­moș, ei­nem Käm­pfer ge­gen die Herr­schaft der Os­ma­nen, vir­tu­os sin­gen und mu­si­ka­lisch dar­bie­ten.
Musiker
Vasile Alec­sandri (1821-1890), Dich­ter, Dra­ma­ti­ker und Po­li­ti­ker, Samm­ler ru­mä­ni­scher Volks­lie­der.
Ulmen
Der Beitrag er­schien erst­mals in: Orte. Schwei­zer Li­te­ra­tur­zeit­schrift, Nr. 215, März 2022, S. 34-41.
Sven Panthöfer, Jahr­gang 1980. Ma­gis­ter­stu­dium der Ge­schich­te, Po­li­tik- und Kul­tur­wis­sen­schaft an der Uni­ver­si­tät Bre­men und an­schlies­sen­dem wis­sen­schaft­li­chem Mu­seums­vo­lon­ta­riat. Seit 2012 als frei­be­ruf­li­cher His­to­ri­ker tä­tig. Schwer­punk­te lie­gen in der Kon­zep­tion von his­to­ri­schen Aus­stel­lung­en so­wie der Durch­füh­rung von Ar­chiv- und Ob­jekt­re­cher­chen in West­fa­len. Seit mehr als zwan­zig Jah­ren be­schäf­tigt er sich in­ten­siv mit Ru­mä­ni­en, sei­nen Men­schen, der Kul­tur und Ge­schich­te des Lands. 2005 bis 2020 Rei­se­ver­an­stal­ter für Ak­tiv- und Kul­tur­rei­sen in Ru­mä­nien, un­ter an­de­rem zur Mu­sik der Ro­ma. (www.das-geschichtsbuero.de)
Zurück-Button