Weit, Bruder, weit. Weit und doch so nah Über dem Tal des Nistru, Im Türkenland;
Dort am Horizont dieser Gipfel, Bei der Grube mit den fünf Ulmen, Die aus einem Stamm gewachsen, Wie fünf Brüder von einer Mutter
Hier sass er, Toma Alimoș, Der Bojar des unteren Landes; Hier sitzt er, Toma, der Bekannte Neben seinem Pferd, das angebunden ist, Mit einem silbernen Pflock, Geschlagen in die schwarze Erde.
Und im Gras, wie er so sass, Eine stolze Tafel ausgebreitet. Und trank immerzu recht fröhlich
Und so sagte er: «Ich würde anstossen, aber mit wem? Würde mit dem Pferd anstossen, Aber das Pferd ist mir zu wild Und nur zum Laufen ist es gut. Würde mit den Waffen anstossen, sind meine Geschwister, Aber die sind nur trockene Hölzer. Trockene Hölzer, kalter Stahl! Würde mit den Ulmen anstossen, Die Riesen der Höhen, Weil sie bereit sind, mir zu antworten Mit dem frohen Rauschen der Blätter, Sie bewegen sich im Wind Und neigen sich mir entgegen!»
Hör die Stimmen Die in der Ferne zu hören sind Ein Wiehern das wieherte und immer näherkam Toma erhob sich langsam Über Felder schaute er Und er erblickte einen Räuber Auf einem schwarzen Pferd, Ein flinkes, kräftiges Pferd… wie ein herrschaftliches Pferd.
Der grosse langhaarige Räuber, Wie eine dichte Eiche War Mane mit dem kräftigen Rücken Mit dem grossen dichten Umhang, War er schlecht gelaunt, Und mit einem groben Morgenstern, Nur mit der Axt behauen.
Näherte er sich Toma langsam Und sprach: «Du! Toma Alimoș Bojar aus dem unteren Land, Was betrittst Du unser Land Und zerstörst unsere Wiesen?»
Der Bojar Toma Alimoș Reicht ihm die Flasche mit rotem Wein: «Lebe hoch, Mane, Du Bastard! Verstecke Deinen Ärger Dass wir den Trank teilen.»
Mane griff mit der Linken die Flasche, mit der Rechten die Waffe. Den Dolch zog er aus seiner Brust Und er drehte ihn gut Und versteckte ihn gut Dass er Toma erstach In den Bauch hinein, Über seinen Gürtel Oberhalb des Nabels.
Toma krümmte sich vor Schmerz Mane hing sich in die Steigbügel Machte kehrt und floh. «Du! Hurensohn! Weil Du meine Tage geraubt hast! Wenn ich Dich greife, Sind Deine Tage gezählt!» Und wie er so redete Sammelte er seine Gedärme, Drückte sie zurück in den Körper, Von seinem Gürtel zusammengehalten
Ging er zu seinem Pferd und sprach zu ihm: «Du! Liebes kleines Pferdchen, Du! Liebes tapferes Pferdchen! Wenn Du im Alter könntest, Wie in Deiner Jugend!»
Das Pferd schaute mit grossen Augen, Wieherte und antwortete: «Nimm die Mähne und steig auf, Und halte Dich nun gut fest, Dass ich Dir im Alter zeige Was ich in der Jugend zahlte!»
Toma stieg schnell auf Er folgte Mane Und schrie unentwegt: «Du! Kleines Pferdchen, Du! Mein tapferes Pferd, Folge dem Weg Wie das Gras des Feldes Wie der Wind darüber weht!» Das kleine Pferd folgte,
Mane schaute zur Seite, Toma wütete und grölte: «Du hast mich räuberisch erstochen, Fliehst nun feige. Wenn ich Dich greife, Sind Deine Tage gezählt. Halte, dass wir uns treffen Und ein paar Worte wechseln, Dass wir kämpfen!» Mane lief weiter davon.
Aber Toma erreichte ihn Und laufend stach er zu, In die Hälfte seines Körpers Zwischen die Rippen! In zwei Teilen stürzte Mane,
Toma sprach zu seinem Pferd: «Du! Kleines Pferdchen Du! Mein liebes tapferes! Meine Augen werden trüb, Die Wolken am Himmel drehen.
Beeile Dich, laufe schnell, Wie die Gedanken bring mich hin, Dort an den Horizont der Gipfel, Bei der Grube mit den fünf Ulmen, Weil ich, liebes Pferdchen, sterben Und nicht mehr auf dir reiten werde!
Und wenn ich tot bin, Wenn ich dich nicht mehr streicheln kann Du mit deinem Huf gräbst eine Grube, Neben den Ulmen mir ein Grab machst Und mich mit deinen Zähnen nimmst, Ins Grab mich wirfst.
Die Ulmen werden sich verneigen, Die Blätter werden fallen, Und werden meinen Körper bedecken!»
Übersetzt von Anda und Sven Panthöfer nach der Vorlage bei: Vasile Alecsandri: Poesii Populare ale Romanilor, Bukarest 1866, S. 72–76
Toma Alimoș – ein tragischer Volksheld im Kampf gegen die Osmanen
von Sven Panthöfer
Neben dem Nationalepos vom Schäfchen Miorița ist die Ballade des Toma Alimoș eine der bekanntesten und populärsten Erzählungen im heutigen Rumänien. Auch in den Schulbüchern findet man seine legendäre Geschichte, die Toma als einen vom einfachen Volk verehrten Kämpfer (Haiduk) gegen die dem osmanischen Sultan folgenden einheimischen Landadeligen (Bojaren) darstellt. In der hier abgedruckten Fassung werden die beiden Akteure aus der Sicht des verarmten, unterdrückten Volks benannt. Toma, der für die Rechte der einfachen Bevölkerung und gegen die Unterdrückung durch den Adel kämpft, wird im Text als Edelmann, als Bojar charakterisiert. Mane, der adelige Grundbesitzer, ist aus der Sicht des Volks ein Räuber, der dem Volk die letzten Münzen und Naturalabgaben abpresst, um seinen aufwendigen Lebensstil zu finanzieren.
Zu Beginn sitzt Toma einsam, nur in Begleitung seines Pferds, in der Natur und wünscht sich, mit einem ihm nahestehenden Menschen dort zu sein. Er monologisiert. Zwei Volksmotive, die Einsamkeit und die Verbundenheit des Menschen mit der Natur, werden hier hervorgehoben. Die Einsamkeit wird durch die stürmische Ankunft von Mane, einem seinen Besitz betonenden Bojaren beendet. Er wirft Toma Sachbeschädigung und Landfriedensbruch vor. Um die Situation zu beruhigen, bietet Toma dem Bojaren Wein an. Mane zieht seine Waffe und sticht hinterrücks auf Toma ein. Der Bojar flieht. Die nun fantastische Geschichte erzählt davon, wie Toma sich aufrappelt. Er bittet sein Pferd, das ihn personifiziert mit menschlichen Worten anspricht, die Verfolgung aufzunehmen. Er holt Mane ein und provoziert einen Kampf mit ihm, dem Mane zum Opfer fällt. Der letzte Teil der Ballade ist in Traurigkeit gehüllt. Auch Toma stirbt und wird von seinem Pferd begraben.
Über den Ursprung der Ballade ist wenig bekannt. Vermutlich entstand sie in der Frühphase des Feudalismus in der Moldau. Ein Verfasser ist nicht überliefert. Erstmals wurde sie Mitte des 19. Jahrhunderts von Vasile Alecsandri oder Alecu Russo aufgeschrieben. In den folgenden Jahrzehnten entwickelten sich sehr unterschiedliche Versionen der Geschichte: Der soziale Status der Charaktere ist verändert, die Namen variieren, Toma fehlt ganz oder die Rollen der Protagonisten sind vertauscht. So ist die Ballade heute weit entfernt von ihrer ursprünglichen Fassung. Für die hiesige Übersetzung wurde eine frühe Version ausgewählt, die der rumänische Dichter und Sammler rumänischer Volkslieder, Vasile Alecsandri (1821–1890), im Jahr 1866 in seinem Buch über die Volksdichtung der Rumänen (Poesii Populare ale Romanilor) veröffentlichte.
Auch als Lied fand der Text Eingang in die Volkskultur – ebenfalls in zahlreichen Varianten. Roma-Musiker, die die Volksliedtraditionen der Mehrheitsgesellschaft aufgreifen und über die Generationen weitergeben, tun dies in Rumänien auch mit der Ballade von Toma Alimoș. Und so kann es sein, dass lokale Heldengeschichten aus Südosteuropa mit den weltweit bekannten Roma-Musikern wie den Taraf de Haidouks auf die Bühnen der Welt gelangen.
Singende und musizierende Roma bilden in wechselnden Formationen immer wieder neue Musiker-Gruppen; bekannt und renommiert sind die Taraf de Haidouks aus dem Dorf Clejani in der Walachei, die auch die populäre rumänische Volksballade vom tragischen Helden Toma Alimoș, einem Kämpfer gegen die Herrschaft der Osmanen, virtuos singen und musikalisch darbieten.
Vasile Alecsandri (1821-1890), Dichter, Dramatiker und Politiker, Sammler rumänischer Volkslieder.
Sven Panthöfer, Jahrgang 1980. Magisterstudium der Geschichte, Politik- und Kulturwissenschaft an der Universität Bremen und anschliessendem wissenschaftlichem Museumsvolontariat. Seit 2012 als freiberuflicher Historiker tätig. Schwerpunkte liegen in der Konzeption von historischen Ausstellungen sowie der Durchführung von Archiv- und Objektrecherchen in Westfalen. Seit mehr als zwanzig Jahren beschäftigt er sich intensiv mit Rumänien, seinen Menschen, der Kultur und Geschichte des Lands. 2005 bis 2020 Reiseveranstalter für Aktiv- und Kulturreisen in Rumänien, unter anderem zur Musik der Roma. (www.das-geschichtsbuero.de)