Nach zweieinhalbjähriger Pause wollten wir im vergangenen Sommer endlich wieder einmal nach Rumänien fahren. Im mehrfachen Sinne wollten wir sozusagen „runterkommen“: einmal mit Blick auf eine normale Landkarte, aber auch vom Alltagstempo her betrachtet. Und nicht zuletzt bezeichnen unsere siebenbürgischen Freunde zurückgekehrte Auswanderer gelegentlich mit einem freundlichen Schmunzeln als „die Heruntergekommenen“.
Mit an Bord der „Tante JU“, eines Campingtransporters, sind noch ein paar plüschige Reisebegleiter, die ihrer Meinung nach für die Bereiche Navigation, Meteorologie, Technik und Kommunikation unverzichtbar sind. Apropos Kommunikation: da unser Rumänisch genau wie das Ungarische schändlich rudimentär ist, nutzen wir meist Varianten dieser Sprache, die wir - wie viele Reisende - für Englisch halten.
So kullern wir an einem Samstag Ende Juni gemächlich vom sächsischen Erzgebirge bis Bratislava und dann weiter in Richtung Osten durch die Slowakei. Am frühen Sonntagnachmittag erreichen wir den für uns neuen Autobahngrenzübergang etwas nördlich von Oradea.
Auf dem riesigen Areal sind wir mit dem Personal ziemlich allein. Ohne Anstehen erwerben wir die „RoVignette“, das hätte online länger gedauert. Kurz darauf finden wir uns im verkehrstechnischen Nirgendwo wieder. Das nächste Ziel ist die Piaţa Agroalimentara am Finanzamt in Oradea. Sonntags lässt sich da gut parken. Doch durch tiefe Gräben im Straßenverlauf ist das Gelände unerreichbar. Auf improvisierte Stadtrundfahrten haben wir wenig Lust, da bleiben eben nur die heimischen Reste aus der Kühlbox.
Unser Ziel für heute ist ein Campingplatz vor dem Apuseni-Gebirge. Auf dem Weg dahin erwerben wir an einem Feld wenigstens eine durchschnittliche Melone von 10 Kilogramm. Irgendwo an der Strecke steht die Tür eines Magazin Mixt offen. Das kleine Lädchen ist eine Offenbarung. Die beiden Damen legen eine für den frühen Sonntagabend erstaunliche und erfrischende Herzlichkeit an den Tag.
Als wir Tomaten, Zwiebeln und Gurken einpacken, bekommen wir die Paprika dazu gereicht. Dann greift die Verkäuferin in die Kiste mit der asiatischen Knolle. „Usturoi“ (Knoblauch)? Na sicher doch. „Peperoni? - Erös? - Igen! - Da!“ Wir sind im zweisprachigen Gebiet. Beim Weißwein aus dem Vrancea-Gebirge werden wir an der Kasse fündig.
Mit gefüllter Frischfutterbox erreichen wir den Campingplatz in Remetea. Es ist ein umgestalteter Bauernhof mit viel Platz und wenigen Gästen. Gegen Abend kommt der gut Deutsch sprechende Betreiber vorbei, wir bezahlen und quatschen noch eine Runde über Gott, fehlenden Regen und die Welt. Für morgen bekommen wir zwei Höhlen in Meziad und Roşia empfohlen. In der Hauptsaison gilt „Luni deschis“ (Montag geöffnet). Jetzt gibt es aber erst einmal Abendessen: sächsisches Vollkornbrot mit hiesigem Salat und Salzlakenkäse eines deutschen Discounters - zur Prophylaxe gegen Viren und summende Vampire angereichert mit hiesigem Knoblauch.
Am Montag starten wir so, dass wir kurz vor zehn Uhr an der Tropfsteinhöhle in Meziad sein könnten. Die JU stellen wir am Ende der Asphaltstraße ab, lassen es gemütlich angehen und hoffen darauf, dass noch wenigstens drei andere zahlende Gäste auftauchen. Denn für zwei Nasen wird das Licht nicht eingeschaltet. Kurz nach uns trifft eine Familie ein. Zwei Buben um die 9 – 12 Jahre lässt die junge Dame im Kassenhäuschen als eine Person gelten.
Für uns auffällig: statt der häufig beobachteten leichten Sneaker sind alle mit trittsicherem Schuhwerk ausgerüstet. Die Höhle selbst ist wohl die größte allgemein zugängliche Höhle im weiteren Umkreis, eineinhalb Kilometer sind touristisch erschlossen. Für echte Experten dürfte sie uninteressant sein, kann man doch durch die 10 x 16 Meter große Öffnung erhobenen Hauptes hineinlaufen.
Mal sehen, wie lange meine Eselsbrücke hält, was nun hängt und welche die stehenden Formationen sind. Von Stiletto...
....bis Heuschober....
...ist alles vertreten. Die Höhle ist gut erschlossen und angesichts der brütenden Hitze wunderbar klimatisiert, die Treppen sind vertrauenswürdig und die Ausleuchtung ist gelungen. So sieht man auch die Sphinx untertage.
Engagiert geht die Führerin auf die beiden Jungs ein, sie haben keine Chance, sich zu langweilen. Nach einer knappen Stunde sind wir wieder im Freien. Der Vater der rumänischen Familie schwärmt von den Calcit-Kristallen in der Höhle in Roşia. Wir verabschieden uns mit einem „vielleicht bis bald“.
Bei einem mittäglichen Zwischenstopp am Zeltplatz befreien wir eine halbe Melone aus dem Kühlschrank. Die Farcu-Kristall-Höhle in Roşia ist eine alte Bauxitmine. Nach einer Sprengung wurde die Kammer mit den Calcit-Kristallen gefunden. Mit unserer Kleingruppe nehmen auch zwei Streuner den Weg in die Kühle des Berges.
Am Ziel angekommen, mustert uns die Führerin noch einmal und beschließt offenbar, dass wir alle vertrauenswürdig sind. Die Kristallkammer ist relativ eng, also bittet sie nur darum, nichts zu entfernen und lässt den Besuchern den Vortritt. Im bekanntesten Stück der Höhle sehen die einen einen Schmetterling, andere eine Libelle. Egal, es ist einfach schön.
Die Wachstumsrate ist gemächlich, es sei wohl ein Millimeter in 50 Jahren. Auf dem Rückweg erzählt unsere Begleiterin noch einiges über die Bauxitgewinnung und Verarbeitung. Von hier sei das Material per LKW nach Oradea gebracht worden. Bei den schmalen Straßen im Ort mag man sich das nicht so recht vorstellen.
Auf dem Rückweg biegen wir an einem Schild mit der Aufschrift „Cheile Cuţilor“ ab. Schlucht und Klamm klingt nach Schatten und kühler Luft. Genau richtig bei der momentanen Wetterlage. Aber alles ist relativ. In der Cheile faszinieren uns Schmetterlinge in vielen Farben. Unterwegs fällt unser Blick auf den als „Via Ferrata“ ausgewiesenen Klettersteig.
Das ist wirklich nichts für meiner Oma Enkelsohn. Am Ende der Klamm führt uns die Wegmarkierung durch den Wald zur Aussicht am oberen Ende des Klettersteigs.
Zurück in der Ortslage gibt es an der „Cabana Poieniţa“ ein wohlverdientes Eis. Das Angebot, Ausrüstung für die Via Ferrata ausleihen zu können, nehmen wir dankend zur Kenntnis. „Nöö, heute nicht mehr, ist ja auch schon später Nachmittag.“
Am Ortsausgang von Roşia halten wir an einer alten Wassermühle an. Ein älterer Herr lotst uns ins Gebäude. Sein Redeschwall überfordert unsere Fähigkeiten komplett, was wir hinter engagiertem Nicken und einen gelegentlichen „Da“ verbergen.
Plötzlich nimmt er von dem gut gefüllten Tisch einen kleinen Spender mit Öl und segnet uns. Durch die langjährige Freundschaft mit einem orthodoxen Priester sind uns die Gestik und der Wortlaut vertraut – und trotz aller seltsamen Umstände wird uns davon warm um unser protestantisches Herz.
Dann beginnt der musikalische Teil. Das Instrument können wir als Laien nicht einordnen: es sieht einer Geige ähnlich, statt des Korpus geht an der Unterseite ein Schalltrichter ab.
Ich kann mich hinter die Kamera retten, Franziska muss das Instrument ausprobieren. So hat jeder seinen Spaß.
Am nächsten Morgen sichern wir in unserem „Schlawuzien“ alles für eine Serpentinenstrecke. Unser Ziel ist einer der für uns schönsten Flecken auf diesem Planeten, die Poiana Glavoi.
In Beiuş ergänzen wir unsere Vorräte für mehrere Tage – Höhenluft könnte ja Appetit machen. Und bei dem frischen Angebot kann man einfach nicht nein sagen, die vielen Angebote für „Phytopharmazie“ verdrängen wir gedanklich. Nur Telemea lehnen wir dankend ab. Den wollen wir an der Stana kurz vor dem Glavoi mitnehmen. Dann bringen uns die Shetlandponys unter der Motorhaube hinauf Richtung Padis. Auf der Höhe biegen wir neben einem speziellerem Wohnmobil rechts auf die Schotterpiste ab.
Gut versorgt mit frischem Käse erreichen wir den Platz im Gebirge.
Für die Tante JU finden wir ein relativ gerades Plätzchen, schnüren die festen Schuhe, packen Wasser und Äpfel in den Rucksack und traben los. Natürlich wurde auch die Rolle mit dem längsten Papiertaschentuch der Welt eingepackt, denn das Glavoi ist nur ein simpler Lagerplatz.
Über den Hügel laufen wir zunächst zur Poiana Ponor. An mehreren Stellen versickert dort das Flüsschen, welches einen knappen Kilometer oberhalb aus einem Quelltopf in der Felswand strömt. Den kleinen Jungen in mir kann ich nicht zügeln, feuchter Dreck ist unwiderstehlich.
Während der Schneeschmelze kann dieses Tal mehrere Meter tief unter Wasser stehen. Dann wenden wir uns in Richtung Süden. Wir wollen einfach laufen, die Landschaft genießen und die relative Stille – nur Vögel und Grillen sind zu hören. Schmetterlinge fliegen ja leise.
Am Zugang zur Peștera de la Căput empfängt uns eine kleine Kuhherde – Mutterkühe mit Kälbern. Wir gehen ihnen aus dem Weg und laufen durch den Bach zum Höhleneingang. Der glitschige Boden im Eingangsbereich öffnet im Kopfkino den Vorhang für eine große Auswahl möglicher Unfallszenarien.
Dass der Bärenbach tief in der Cetățile Ponorului wieder zu Tage tritt, würde uns im Falle des Fallens wohl wenig nützen. Auf dem Rückweg lässt uns die Rinderherde gnädig passieren. Begleitet von einem nachmittäglichen Kurzgewitter erreichen wir unsere mobile Bleibe.
Neben der Tante JU sitzt die Familie von gestern und grüßt fröhlich. In den nächsten zwei Stunden tauschen wir uns über alles Mögliche aus, auch über lohnenswerte Ziele (zum Beispiel den Smaragdsee bei Racos).
Unsere Ziele in Rumänien? Die virusbedingt reduzierte Wanderkondition wieder aufbauen. Ja, bei ihnen auch. Vor allem die beiden Jungs wieder ans Wandern heranführen. Und dann? Freunde in Siebenbürgen, im Vrancea, in Reghin besuchen. Am Ende ein kleines Dorf in der Maramures, nicht allzu bekannt. Er lächelt kurz, dann fragt er: „Breb?“ Tatsächlich. Dort waren sie letztes Jahr. Unvergesslich schön.
Irgendwann signalisieren die Jungs, dass sie fertig sind und eigentlich nur ins Bett wollen. Wir verabschieden uns wie alte Freunde mit vielen guten Wünschen. Inzwischen kommt eine Schafherde durch, begleitet von ausgesprochen umgänglichen und fast schon verschmusten Hirtenhunden.
Kulinarisch sind wir einfallslos, es gibt den üblichen Salat, aber jetzt mit Telemea und dazu Weißbrot. Die nächste Schafherde kommt vorbei auf dem Weg zur Stana. Morgen nicht allzu früh würde uns der Klang ihrer Glöckchen wecken.
Am nächsten Vormittag starten wir über die Poiana Ponor hinauf nach Padis. Die Kondition? War schon schlechter, aber wir haben deutlich Luft nach oben. Nur eben nicht beim Laufen.
Der Besucheransturm in Padis ist überschaubar, die seltenen Gäste leiden ebenso wie die wenigen Hunde unter der Hitze. Wir kühlen uns mit Eis, fassen „La (bei) Maria“ Honig und Maiblumensirup. Angelockt von zwei Netzen, in denen Käse abtropfte, lassen wir uns im „La Tanti Florica“ zu Langos mit frischem Schafskäse überreden.
Der Preis beschämt uns, wie kann man davon existieren? Einem kraftvollen Hausgebrannten können wir nur unter Verweis auf schwere gesundheitliche Probleme entkomen. Bei der Hitze noch mit einem in der Krone unterwegs sein? Für die Salvamount-App ist doch unser Flachmann zu alt. In einem weiten Bogen kehren wir ins Glavoi zurück. Wie praktisch: jeden Nachmittag gibt es ein kurzes Gewitter.
An der „Terasa Mirela“ bestellen wir jeder eine Suppe. Die dazu servierten Peperoni machen ihrer Gattung alle Ehre. Als ob einem nicht schon warm genug wäre. Später holen wir unsere (nächste) Melone aus dem Bach. Dort kühlte sie seit dem Morgen ab. Dabei fällt uns ein Spaghetti-langer und noch viel dünnerer Wurm (?) auf.
Als wir später unsere Biologin in Reghin danach fragen, nickt sie lakonisch und meint, irgend so etwas gäbe es da oben. Wer nicht fragt, erfährt eben nichts. Am Abend werden wir von Grillen und Unken in den Schlaf gesungen.
Am nächsten Morgen, laut Kalender ist es ein Donnerstag, reisen wir weiter. Wir wollen zur Groapa Ruginoasa, einem natürlichen Erosionstrichter. Gegenüber des Wegweisers mit der Zeitangabe „50 min“ steht noch eine etwas verwitterte Tafel mit der Entfernungsangabe „800 m“.
In der Luftfahrt würden die 800 Meter wohl mit dem Nachsatz „über Grund“ und einem Steigungswinkel von gefühlten 45° ergänzt werden.
Unterwegs reißt eine Warnmeldung den ollen Flachmann aus seiner Lethargie: sehr hohe Ozonwerte und UV-Index, extreme Temperaturen, gehen Sie nicht ins Freie, bleiben sie zu Haus! Zu spät, aber man fragt sich doch: wieso funktioniert das hier, aber nicht bei uns auf dem Dorf? Irgendwo am Rand des Erosionstrichters wird sicher ein Warnschild hängen, aber man vertraut einfach auf den normalen Menschenverstand.
Wir nähern uns dem Rand mit einem gewissen Respekt. An einem der Bäume kann ich es nicht lassen und breche mir ein großes Stück Harz von der Borke ab. Jetzt duftet der Klumpen bei uns in der Küche diskret vor sich hin. Für den Rückweg wählen wir eine andere Route aus der Karte, die etwas körperliche Schonung andeutet.
Leider übersehen wir irgendwo einen Abzweig und kommen erst am Ende von Vârtop wieder auf die „Drum Nationale 75“ zurück. Dort nimmt uns ein größerer Hund unter seine Fittiche und drängt uns immer wieder mit sanftem Druck von der Straße in Richtung des nicht vorhandenen Fußwegs. Dumm nur, dass es sich auf der Straße wesentlich angenehmer läuft. Zumal das Verkehrsaufkommen sehr überschaubar ist, weil wohl alle außer uns zu Haus oder in Häusern geblieben sind.
Unser geduldiger Schutzengel entlässt uns erst am Ende der Ortslage. Kurz vor unserem Parkplatz ist eine Quelle und wir füllen die Wasserflaschen und uns selbst auf. Ich muss für einen Moment an einen Liedtext denken: „Du träumst einen Brunnen, nicht Macht, Ruhm und Gold. Was hat man bisher doch für Unfug gewollt.“ (Kurt Demmler: „Die Lieder des kleinen Prinzen“).
An diesem Abend fahren wir spontan auf den kleinen, noch im Entstehen begriffenen „Camping La Danut“ am Rande von Garda de Sus. Alles Notwendige ist schon vorhanden und wir nutzen gern die warme Dusche und weitere Annehmlichkeiten. Auf der großen Wiese wird noch Heu gemacht und wir schauen lange beim Aufsetzen der Heuschober zu.
Mit dem Gemurmel des Flüsschens neben uns schlafen wir problemlos ein. Morgen wollen wir weiter nach Roșia Montană.
La revedere şi Doamne Ajută wünschen Franziska und Volker.