Der Fernlinienbus schwankte bedrohlich, zumindest für mich. Ich saß ganz vorn links, quasi als Galionsfigur für Eurolines oder als Knautschzone für zu dicht entgegenkommende LKW. Aber alles war im Grünen Bereich. Die Fahrer wussten, was sie taten, einer lenkte souverän, der andere schlief auf dem rechten Doppelsitz neben mir.
Bei aller Bedrohlichkeit hatte ich dennoch Glück! Mein Platz bot mir mehr Beinfreiheit und einen Winkel für meinen Kamerarucksack. Der war prall gefüllt, obwohl ich nur das Nötigste eingepackt hatte - die Grundausstattung, um die Transhumanz zu filmen und dabei mit den Hirten über die Karpaten zu wandern. Trotz des privilegierten Platzes schliefen mir die Beine eher ein, als dass ich selbst zur Nachtruhe kam. Ständig piepte irgendein Handy und überall wurde geschwatzt.
Von Dresden nach Sibiu sollte ich etwa 21 Stunden unterwegs sein, und das in einem Linienbus, keinem 3-Sterne-Komfort-Reisebus! Für die komplette Strecke von Hamburg bis Bukarest waren gute 33 Stunden nötig. Auf dieser Linie reisten all die Menschen, die nicht genug Geld für einen Flug hatten. Geringverdienende, die in Deutschland in Haus und Hof halfen. Schon lange, bevor ich in Sibiu wie gerädert ausstieg, war mir klar, dass ich für künftige Besuche das Flugzeug nehmen würde.
Mit dieser Reise begann die Erfüllung eines lang gehegten Wunsches. Des Wunsches, die rumänische Schäferfamilie Babu zu besuchen, die ich von meinen Motorradreisen ins Karpatenland her kannte. Ihr Leben und ihre Arbeit unter den oftmals harten Bedingungen wollte ich selbst erleben und dokumentieren.
Neben den tierischen Erlebnissen war es für mich am eindrucksvollsten, wie mich die Familie aufgenommen hat! Ohne Vorbehalte durfte ich an ihrem Leben teilhaben, durfte fast alles filmen. Ich bekam immer zu essen, immer ein Bett oder wenigstens eine trockene Schlafstatt.
Dann endlich Schafe!
Schon von Weitem hörte ich ihr dumpfes Blöken, vermischt mit hellem Mähen. Wir hatten Ende Januar und die ersten Lämmer sprangen schon herum. Es war eisig kalt und für Hirten und Schafe eine schwere Zeit. Der Schnee lag ungewöhnlich hoch und es mussten zusätzlich Heu und Mais gefüttert werden. Die Männer behalfen sich mit Kaffee, Ciorbă (Suppe) und Țuică (Schnaps).
Die Nacht durften Lämmer und Mutterschafe überdacht und im weichen Stroh verbringen, alle anderen blieben im Freien. Der Unterschlupf der Ciobanii (Hirten) selbst war baufällig und zugig. Plastikfolie an den Fenstern und ein Holzfeuer im selbstgesetzten Ofen hielten die Kälte fern, während sie auf roh gezimmerten Pritschen schliefen.
Kein elektrischer Strom, kein fließendes Wasser, keine Privatsphäre, nichts, was irgendwie an Gemütlichkeit erinnerte. Hirtenleben pur, ohne verklärende Lagerfeuerromantik.
Vor Sonnenaufgang begann die Arbeit. Mir dröhnte noch der Kopf vom knappen Sauerstoff, den wir uns mit dem Feuer teilten, aber die Kamera musste gezückt werden. Das Leben mit Tieren duldete es nicht, eigenen Befindlichkeiten nachzugeben. Die Schafe brauchten Energie, um der Witterung widerstehen zu können.
April. Während die Transalpina noch gesperrt war und Schnee weite Teile der Karpaten bedeckte, konnten im tiefer gelegenen Winterlager die Schafe schon gemolken werden. Die ersten Kisten waren mit Brânză (Käse) gefüllt und warteten darauf, hoch zum Sommerlager in die Stâna (Schäferei) gebracht zu werden.
Dann war es soweit, die Herde begann ihre Wanderung ins Gebirge und in Novaci wurde dieser Akt mit einem Volksfest begangen. Neben Markttreiben, Ständen mit Bier und Gegrilltem, trafen hier Folkloretanzgruppen aus vielen Regionen Rumäniens aufeinander, um sich zu vergleichen.
Die neue Stâna oben in den Bergen hatte kaum noch Ähnlichkeit mit der alten Schäferei. Seit der Asphaltierung der alten "Königsstraße", der Namensschöpfung "Transalpina" für eben diese Straße, dem damit verbundenen Tourismus, der nun an der Stâna Ștefanu vorbei kam und hier auch stoppte, hat sich das Geschäfts- und Lebensmodell der Babus verändert.
Anfangs wollten die Touristen nur den Käse probieren. Dann wollten sie dabei sitzen. Dann beim Sitzen nicht nass werden. Also mussten Teller, Bänke, Tische und ein Dach her... Letztlich umfasste das Angebot alles, was "de casa" (zu Hause) produziert werden konnte: Käse, Wurst, Schnaps, Marmelade, Honig, über dem Feuer gekochte Polenta... Und schon längst stammte nicht mehr alles nur aus dem Hause Babu, man kaufte mittlerweile zu.
Eines blieb jedoch unverändert: der Tagesablauf, den die Schafe bestimmten. Noch vor Sonnenaufgang wurde mit dem Melken begonnen und wie seit Generationen melkte man mit den Händen. Das bedeutete, einhundert bis einhundertfünfzig kleinen Eutern Milch abzuzuppeln - pro Hirte! Anschließend bekamen sie ihre Finger nicht mehr gerade.
Um rund einen viertel Liter Milch erleichtert, zog die Herde dann hoch auf den Gebirgskamm und war dort bis zum Sonnenuntergang unterwegs. Mit Gebirgskräutern satt gefressene Schafe geben gute Milch, unabdingbar für würzigen Käse, außerdem wird ihr Fleisch dadurch besonders schmackhaft - schlichte Gründe, weshalb sich viele Schäfer den Strapazen im Hochgebirge noch heute aussetzen.
Oktober Nun wurde der umfangreiche Hausrat der Stâna verladen und hinab ins Tal gebracht, die Gebirgssaison war zu Ende. Hirten und Herde überquerten den über zweitausend Meter hohen Kamm des Parâng-Gebirges, um rund einhundert Kilometer weiter im Süden ihr Winterlager zu beziehen. Sechs bis sieben Tage sollten sie dafür unterwegs sein.
Zuvor wurde jedoch noch eine wichtige Maßnahme ergriffen, das Desinfizieren der Tiere. Aller Tiere! Also auch der Hunde. Die kommunale Anlage bestand aus zwei Pferchen und einem schmalen Becken. Dort trafen sich die Schäfer von Novaci mit ihren Herden, um Schafe und Hunde durch das Desinfektionsbad zu treiben. Eine unsägliche Tortur für alle, für die Tiere, aber auch für die Menschen.
Esel wurden mit Proviant, Töpfen, Decken und den Umhängen aus Schaffellen beladen und dann begann die Wanderung. Sie führte über Felder und Wiesen, durch Ortschaften und Wälder. Keine leichte Aufgabe: mitunter wurde das Wegerecht erst unterwegs verhandelt, auf den Straßen sollten die Tiere möglichst dicht beieinander laufen, unvermittelt mussten Umwege gemacht werden.
Hörte man, dass sich in der Gegend Wölfe herumtrieben, wurde ein umzäuntes Stück Land für die Nacht gesucht. Die Hirten schliefen auf der bloßen Erde, nur eingehüllt in Decken und ihre Fellumhänge. Regnete es, so zogen sie einfach eine Plane über alles.
Schließlich kamen sie im Winterlager an, einer alten, nicht mehr bewirtschafteten Obstbaumplantage. Hier würden sie nun für mehr als ein halbes Jahr leben und ihre Schafe hüten. Bis sie im späten Frühling wieder in die Berge ziehen werden. Es ist immer der gleiche Rhythmus, den die Transhumanz vorgibt, jahrein, jahraus.
2020 kam es jedoch zu einer Abweichung. Im Januar des Jahres begaben sie sich auf eine große Reise! Es ging ins Ausland! Es ging nach Berlin! Es ging zur Internationalen Grünen Woche!
Das rumänische Agrarministerium hatte die Babus eingeladen, dort ihre Produkte zur Verkostung anzubieten. Den Käse und das Schaffleisch aus der Stâna Ștefanu.
Wer Interesse an dem Film hat, schreibt mir bitte eine E-Mail an info [ät] fischtours.de. Ich weise dann per Mail auf geplante Aufführungen hin. Mulțumesc! Danke!