Ein Tag in Bukarest


von Andreas Schieck

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Im Herbst 2023 nahm ich an ei­ner Fo­to­rei­se des Leip­zi­ger Fo­to­gra­fen Ron Ku­we­de nach Ru­mä­nien teil. Es war ei­ne sehr per­sön­li­che Klein­grup­pen­rei­se mit fünf teil­neh­men­den Fo­to­gra­fen, die meh­re­re land­schaft­li­che und kul­tu­rel­le High­lights der Süd­kar­pa­ten er­schloss und in Bu­ka­rest ih­ren An­fang nahm. Auf die Rei­se wur­de ich durch ei­ne An­zei­ge auf Face­book auf­merk­sam und weil ich noch nie in Ru­mä­nien war, nahm ich auf­grund des viel­ver­spre­chen­den Pro­gramms kurz­ent­schlos­sen an die­ser Rei­se teil.
Männer fotografieren Mann vor einem Auto
Männer fotografieren Mann vor einem Auto
Woran denkt man, wenn man an Ru­mä­nien denkt
Für mich persönlich war Ru­mä­nien ein un­be­kann­tes Land, ob­wohl ich viel in Ost­eu­ro­pa un­ter­wegs war und spe­ziell das Ge­biet der ehe­ma­li­gen Sow­jet­uni­on be­ruf­lich und pri­vat in­ten­siv be­reist ha­be. Ich as­so­zi­iere Ru­mä­nien mit ei­nem Traum­ziel vie­ler DDR–Tou­ris­ten und Na­tur­lieb­ha­ber, die ih­ren Ur­laub ab­seits der nä­her­lie­gen­de­ren Mög­lich­kei­ten im Ge­bir­ge ver­brin­gen woll­ten. Und na­tür­lich denkt man, wenn man an Ru­mä­nien denkt, auch un­will­kür­lich an Ceau­șes­cu, an ver­wun­sche­ne Schlös­ser und den er­döl­ge­trie­be­nen Boom der Grün­der­zeit En­de des 19. Jahr­hun­derts.
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Bukarest - der erste Eindruck
An einem frühen September­nach­mit­tag lan­de­te ich mit zwei wei­te­ren Teil­neh­mern un­se­rer Fo­to­rei­se in Bu­ka­rest. Der Flug­ha­fen er­in­ner­te mich ir­gend­wie an die al­ten re­la­tiv klei­nen Flug­hä­fen der sow­je­ti­schen Pro­vinz. Das er­zeug­te ei­ner­seits ei­ne ge­wis­se Ver­traut­heit und an­de­rer­seits ei­ne ge­wis­se Vor­sicht und be­son­de­re Auf­merk­sam­keit, die je­doch un­be­grün­det war. Es gab wäh­rend un­se­rer Rei­se kei­ne be­son­de­ren Vor­komm­nis­se. Nach­dem wir noch auf die An­kunft ei­nes wei­te­ren Teil­neh­mers ge­war­tet hat­ten, fuh­ren wir in die Stadt. Die Stadt bot uns ein ty­pisch ost­eu­ro­pä­isches Bild aus al­ten Ge­bäu­den, un­heim­lich viel Ver­kehr und ei­ner Bau­tä­tig­keit, die man sich auch bei uns zu Hau­se wün­schen wür­de. Man hat­te den Ein­druck, in ei­ner Boom­re­gion ge­lan­det zu sein.
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Untergebracht waren wir in ei­nem viel zu lu­xu­riö­sen, da­für aber klei­nen und per­sön­li­chen Bou­tique Ho­tel in ei­ner pom­pö­sen Grün­der­zeit­vil­la. Auf Nach­fra­ge er­klär­te man mir, dass die­se Vil­la am En­de des 19. Jahr­hun­derts von ei­ner Ban­kiers­fa­mi­lie mit en­gen Be­zie­hun­gen zum Kö­nigs­haus er­baut und vor der po­li­ti­schen Wen­de vom Ge­heim­dienst ge­nutzt wur­de. Nach der po­li­ti­schen Wen­de ge­lang­te das Ge­bäu­de wie­der in die Hän­de der Nach­fah­ren je­ner Ban­kiers­fa­mi­lie, die es zu ei­nem Ho­tel um­funk­tio­nier­te. Ein Ge­bäu­de mit Ge­schich­te im Wan­del der Zeit. Ich ha­be über den Wod­ka „Sta­lins­kaya“ in der Mi­ni­bar mei­nes Zim­mers ge­schmun­zelt, der ei­nem von drei klas­si­schen sow­je­ti­schen De­signs nach­emp­fun­den ist. Die Be­to­nung liegt auf nach­emp­fun­den, weil es in der Sow­jet­un­ion wohl ei­nen Mos­kows­ka­ya, ei­nen Russ­ka­ya und ei­nen Sto­lich­na­ya Wod­ka gab, aber kei­nen „Sta­lins­ka­ya“ – auch nicht in den fünf­zi­ger oder sech­zi­ger Jah­ren.
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Flasche auf einem Schreibtisch
Morgenstund hat Gold im Mund
Eine Gruppenreise und spe­ziell ei­ne Fo­to­rei­se ist ei­ne tol­le Sa­che – man kann nicht nur von der un­be­kann­ten Um­ge­bung ler­nen, son­dern auch von den an­de­ren Teil­neh­mern der Rei­se. Auf So­lo­tou­ren soll­te man den­noch nicht ver­zich­ten und so ging ich früh auf ei­ne klei­ne Er­kun­dungs­tour. Schön ei­ner Stadt beim Er­wa­chen zu­zu­se­hen. Ty­pisch für Bu­ka­rest sind Tau­ben. Sie sam­meln sich vor Son­nen­auf­gang an ih­ren Lieb­lings­or­ten, gern vor Denk­mä­lern oder an Parks. Ich war glück­lich, so ei­nen Sam­mel­platz ge­fun­den zu ha­ben und woll­te mich den Tie­ren vor­sich­tig nä­hern und „sie an mich ge­wöh­nen, um in der Men­ge fo­to­gra­fie­ren zu kön­nen“. Das ist Un­sinn; die Tie­re mö­gen das nicht und sind auch schlau ge­nug, selbst ein auf­ge­stell­tes Sta­tiv, von dem ich per Fern­aus­lö­ser vom Han­dy aus fo­to­gra­fie­ren woll­te, als fremd zu er­ken­nen. Und so blie­ben mir nur die al­ler­er­sten Fo­tos, als sie vor mir die Flucht er­grif­fen. Sie kehr­ten erst zu­rück, nach­dem die Luft wie­der rein war. Aber nicht so zahl­reich – die Stadt war er­wacht und die Ru­he da­hin.
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Tauben auf einem Platz
Tauben auf einem Platz
Parlamentspalast von Ceaușescu
Die bekannteste Sehens­wür­dig­keit von Bu­ka­rest ist si­cher der Prä­si­den­ten­pa­last. Die­se fun­da­men­ta­le Er­schei­nung im neo­klas­si­zis­ti­schen Stil ist das zweit- oder dritt­größ­te Ge­bäu­de der Welt und spricht für den Grö­ßen­wahn von Ceau­șes­cu. Es thront auf ei­nem Berg mit viel Flä­che drum he­rum. Doch es ist nicht auf ei­ner frei­en Flä­che ent­stan­den, wie man ver­mu­ten könn­te. Für sei­nen Bau wur­de ein his­to­ri­sches Wohn­vier­tel von Bu­ka­rest prak­tisch ver­nich­tet, fünf­zig­tau­send Men­schen zwangs­um­ge­sie­delt und der Berg um zwan­zig Me­ter ab­ge­tra­gen.
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Menschen vor einem Palast
Zahlen, wieviel der Bau dieses Ge­bäu­des ge­kos­tet ha­ben mag, sind Schall und Rauch, weil sie kei­ne Re­la­tion ver­mit­teln. Schwer vor­stell­bar, wie vie­le Res­sour­cen ei­nes klei­nen Lan­des wie Ru­mä­nien für den Bau ei­nes sol­chen Ge­bäu­des ge­bun­den wer­den muss­ten. Und auch heu­te ist es mit sei­nen mehr als 1000 Räu­men si­cher mehr Last als Lust. Die Ab­ge­ord­ne­ten des ru­mä­ni­schen Par­la­men­tes ha­ben hier Bü­ro­räu­me. Man kann als Fir­ma Räu­me für Ver­an­stal­tun­gen mie­ten. Die UNO hält wohl von Zeit zu Zeit Kon­fe­ren­zen hier ab und nutzt die Kom­bi­na­tion von un­be­grenz­ten räum­li­chen Mög­lich­kei­ten und lu­xu­riö­sem Am­bien­te. Am er­schre­ckends­ten sind die gro­ßen Auf­marsch-Sä­le im Zent­rum des Ge­bäu­des. Was frü­her als Ku­lis­se für Groß­ver­an­stal­tun­gen dien­te, ist heu­te nur ein un­vor­stell­bar gro­ßer um­bau­ter und nicht wirk­lich nutz­ba­rer Raum.
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Palast von innen
Mir ist der Tourguide in Erin­ne­rung ge­blie­ben. Er war jung und auf ei­ne Art im Geist re­vo­lu­tio­när und vom Glau­ben an die De­mo­kra­tie durch­drun­gen, die man heu­te in un­se­ren Brei­ten zu­neh­mend sel­te­ner trifft. Zu lang ist es her und wird zu­neh­mend von den Pro­ble­men der Ge­gen­wart ver­drängt.
Palastführung
Der Besuch des Parlamentspalastes ist ei­ne Em­pfeh­lung. Die Hand­wer­ker und Künst­ler Ru­mä­niens ha­ben sich hier ein Denk­mal ge­setzt und je­der wird wohl ein De­tail fin­den, was ihn per­sön­lich an­spricht. Man muss sich übri­gens im Vor­feld an­mel­den und durch­läuft beim Be­tre­ten des Ge­bäu­des die zu er­war­ten­den Si­cher­heits­checks wie an ei­nem Flug­ha­fen.
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Palast von inne
Villa von Ceaușescu
Die Villa von Ceaușescu liegt in ei­nem ru­hi­gen und schö­nen Wohn­ge­biet, was auf den ers­ten Blick er­staunt. Man hät­te hier Ab­sper­run­gen/Mau­ern oder ähn­li­che Ab­gren­zun­gen er­war­tet. Und rich­tig – wie uns die Mu­seums­füh­re­rin er­klär­te, wur­de die un­mit­tel­ba­re Um­ge­bung der Vil­la erst nach 1989 be­baut und war vor­her ab­ge­rie­gelt.
Rein äußerlich handelt es sich bei der Vil­la von Ceau­șes­cu um ei­ne Art klei­nes Schloss, das gar nicht so mäch­tig aus­sieht und heut­zu­ta­ge man­chen­orts durch­aus noch als ge­ho­be­nes Wohn­ge­bäu­de durch­ge­hen könn­te. Im Ver­gleich mit dem Wohn­haus von Ho­ne­cker in Wand­litz ist es ge­ra­de­zu ga­lak­tisch. In der Po­si­tion un­ein­ge­schränk­ter Macht und un­ein­ge­schränk­ter Res­sour­cen baut sich eben je­der ge­nau das, was er sich er­träumt. Ceau­șes­cu muss sich als ei­ne Art Fürst ge­se­hen ha­ben - nicht so groß wie der ru­mä­ni­sche Kö­nig, aber zu­min­dest nicht klei­ner als ein Fürst.
noble Inneneinrichtung der Villa
noble Inneneinrichtung der Villa
noble Inneneinrichtung der Villa
noble Inneneinrichtung der Villa
noble Inneneinrichtung der Villa
noble Inneneinrichtung der Villa
Das Gebäude ist auch im Inneren schön. Die Räu­me sind stil­voll ein­ge­rich­tet und dem In­te­rieur ru­mä­ni­scher Schlös­ser nicht un­ähn­lich. Holz­ver­tä­fe­lun­gen, hoch­wer­ti­ge Mö­bel, Ka­mi­ne und Stuck­de­cken sind an­zu­tref­fen. Es gibt ei­nen Win­ter­gar­ten – wie in an­de­ren Wohn­häu­sern auch, nur eben grö­ßer und mit ver­gol­de­ten Was­ser­häh­nen. Es gibt ver­schie­de­ne Bä­der – wie in man­chen Wohn­häu­sern auch, nur eben grö­ßer. Und es gibt - an­ders als in nor­ma­len Wohn­häu­sern - ein Schwimm­bad mit ei­nem Mo­sa­ik, an dem laut Mu­seums­füh­re­rin zwei Jah­re lang ge­ar­bei­tet wor­den ist. Ins­ge­samt schon be­fremd­lich, wenn man sich vor­stellt, dass das Ge­bäu­de in ers­ter Li­nie als Wohn­haus von Ceau­șes­cu und sei­ner Fa­mi­lie und we­ni­ger für staat­li­che Re­prä­sen­ta­tions­zwe­cke ge­nutzt wur­de.
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Schwimmbad
Schwimmbad
Schwimmbad
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Mir haben am besten die Bilder Ceau­șes­cus mit Per­sön­lich­kei­ten der Welt­ge­schich­te ge­fal­len, die man in ei­nem Lau­ben­gang im Gar­ten an­schau­en kann. Mit da­bei u.a. Kis­sin­ger, Ni­xon und Mao Ze­dong. Er­staun­lich, wel­chen Zeit­be­reich Kis­sin­ger in sei­nem Be­rufs­le­ben ab­de­cken konn­te, stammt das Foto doch aus den sieb­zi­ger Jah­ren und ver­stor­ben ist er erst kürz­lich. Toll fand ich die Sze­ne mit Ni­xon: Of­fen­sicht­lich wa­ren zum Em­pfang Ni­xons am Flug­ha­fen von der Par­tei und Staats­füh­rung Be­su­cher be­stellt wor­den, die in ers­ter Li­nie si­cher Ceau­șes­cus hul­di­gen soll­ten. Zu se­hen ist, wie Ni­xon sich in Wahl­kampf­ma­nier dem „Pub­li­kum“ zu­wen­det und ihm mit vol­lem Ein­satz zu­winkt. Ei­ne rich­ti­ge Ein­ord­nung der Be­deu­tung Ceau­șes­cus kann man aus ei­nem Fo­to mit Mao Ze­dong ab­lei­ten: Er (Ceau­șes­cu) blinkt ihn (Mao Ze­dong) an wie ei­nen Gott, der ihn je­doch kei­nes mü­den Bli­ckes wür­digt und in die ima­gi­nä­re Fer­ne sieht.
Das Wohnhaus von Ceausescu ist sehens­wert und ge­nau­so stark be­sucht wie das Königs­schloss „Cas­te­lul Pe­les“ in Si­naia. Mit War­te­zei­ten ist zu rech­nen, vor­her an­ru­fen si­cher sinn­voll.
Bukarest eine Metropole
Da wir Anfang September in Bu­ka­rest wa­ren, ka­men wir auch in den Ge­nuss von Stra­ßen­fes­ten, wie sie für den Herbst ty­pisch sind. Was bei uns Ern­te­dank- und Wein­fes­te sind, wird in Ost­eu­ro­pa oft als so­ge­nann­te „Ta­ge der Stadt“ be­gan­gen. Wie die­se Fes­te in Ru­mä­nien hei­ßen, ha­be ich nicht er­fragt.
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Straßenfotografie
Straßenfotografie
Straßenfotografie
Straßenfotografie
Straßenfotografie
Straßenfotografie
Straßenfotografie
Straßenfotografie
Straßenfotografie
Straßenfotografie
Straßenfotografie
Straßenfotografie
Sie sind auf alle Fälle genau­so bunt und viel­fäl­tig und vol­ler Le­ben, wie man dies von je­der eu­ro­pä­ischen Me­tro­po­le er­war­ten kann und ein dank­ba­res Pflas­ter für die Stra­ßen­fo­to­gra­fie. Ich ha­be da­bei die Be­kannt­schaft von hüb­schen ru­mä­ni­schen Mäd­chen, de­nen ich mei­ne Fo­tos oh­ne Hemm­schwel­len di­rekt auf ihr Han­dy über­tra­gen konn­te, und ei­nem ame­ri­ka­ni­schen Ehe­paar ge­macht, das auf mei­nem Han­dy erst die Op­tion „Friends for ten mi­nu­tes“ ein­ge­rich­tet hat, be­vor wir ge­gen­sei­tig Fo­tos aus­tau­schen konn­ten.
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Mädchen vor Gaststätte
Rumänien und Bukarest sind eine Empfehlung.
Chemnitz, Oktober 2024 / Andreas Schieck
www.sehnsuchts.photos
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