Frisches Schweineohr to go oder: Schlachtfest auf Rumänisch
von Rita Klaus
Als Bayerin habe ich mich schon länger darüber gewundert: Sowohl im Restaurant als auch im Supermarkt gibt es durchaus ansehnliche, aber stets »nackerte« Fleischstücke. Dabei ist doch so eine resche Knusperkruste das Allerbeste am Schweinsbraten! Was machen die denn nur alle mit der ganzen Haut?
Seit Bauer Nicolaes Schlachtfest weiß ich es.
Schlachten ist harte Arbeit, da muss für die Energiezufuhr gesorgt sein. Aber das Fleisch ist ja noch nicht verzehrfertig, die tocana(Tocana bedeutet wortwörtlich so viel wie Eintopf, und den gibt es natürlich auch aus Gemüse. Der Klassiker aber, die tocana de porc, besteht aus Fleischresten, die beim Zerlegen anfallen und während des zeitaufwendigen Verwurstens stundenlang gemütlich vor sich hin schmurgeln dürfen.) fürs Abendessen muss erst stundenlang auf dem aragaz vor sich hin schmurgeln. Deshalb gibt es als ersten kleinen Snack vorweg şorici. Das ist die frisch abgebrühte oder abgeflammte, quasi kurz gegarte Schweinehaut. Man isst sie direkt vom Schwein gesäbelt mit etwas Salz (ein Schnaps hilft auch). Von der Konsistenz her wie Tintenfisch und geschmacklich ähnlich neutral. Fun Fact: Angeblich werden Calamari manchmal auch heimlich aus Schweinehaut hergestellt.
Die Hausschlachtung ist in Rumänien zwar nichts allzu Besonderes, aber doch auch kein Tag wie jeder andere. Denn das ist es: ein ganzer Tag. Die komplette Sippe hilft mit, es muss viel vorbereitet werden. Früh schon am Morgen beginnt man mit dem Erhitzen des Wassers – gerne auch auf dem gemauerten Holzofen im Freien, den viele noch zum Brotbacken haben.
Mittlerweile war ich schon auf mehreren Schlachtfesten und weiß, dass es natürlich verschiedene, der jeweiligen Ausstattung und auch der Jahreszeit angepasste Varianten gibt. Die einen verwenden einen Gasbrenner, die anderen offenes Feuer, wieder andere haben einen richtigen Hexenkessel, in welchen die Fleischstücke in der Reihenfolge ihres Herauslösens hineingeworfen werden. Aber die Grundstruktur ist immer dieselbe:
Schwein abstechen – auslassen – abflammen/brühen – Borsten abkratzen – waschen – Bauchhöhle öffnen – Innereien entnehmen – waschen – grob zerteilen – Kopf und Füße beiseitelegen – Speckschwarten abtrennen – Rippchen abhacken – Filets und Schinken herausschneiden – den Rest … Bayern und auch Siebenbürger Sachsen würden »abfieseln« sagen. Ich glaube, hier fehlt ein passendes hochdeutsches Wort.
Spoiler Alert: Offiziell darf natürlich auch in Rumänien nicht einfach jeder in Wildwestmanier Tiere töten. Doch als die Regierung vor ein paar Jahren die Hausschlachtung gleich ganz verbieten wollte, ging eine so gewaltige Woge der Entrüstung durchs Land, dass sie eilig wieder zurückruderte. Schlachten zu Hause ist seither erlaubt, sofern die Betäubung stimmt und/oder ein zertifizierter Metzger anwesend ist.
Ich kenne den zertifizierten Metzger, es gibt ihn wirklich. Er sieht genau so aus, wie man sich einen rumänischen Dorfmetzger vorstellt. Ich kann auch bestätigen, dass er vor allem in der Vorweihnachtszeit ein schwer beschäftigter Mann ist. Doch das neue Gesetz sieht nur vor, dass er anwesend ist. Wie lange und für was genau er anwesend sein soll, ist nicht so detailliert ausgeführt. Das bedeutet, der Spielraum zur Selbstbeteiligung der Schweinebesitzer ist sehr groß.
Ja, es gibt gruselige Storys von tatterigen alten Leutchen in Bukarester Vororten, die aus Nostalgie mal wieder ein Weihnachtsschweinderl schlachten wollten und es mangels Routine grausam versauten. Im Wortsinn.
Aber die Leute auf dem Land wissen schon, was sie tun. Das liegt nicht zuletzt daran, dass einige von ihnen – tadaa! – bei Tönnies im westdeutschen Rheda-Wiedenbrück ihr Handwerk erlernt haben. Dort hat es ihnen nicht gefallen, um es milde auszudrücken. Einer dieser ehemaligen Tönnies-Zeitarbeiter hatte nach einem der zahlreichen Skandale beschlossen, seine Profi-Kenntnisse doch lieber der heimischen Dorfgemeinschaft zur Verfügung zu stellen. Statt hundertsechzig Schweine am Tag wie in der Fabrik schlachtet er jetzt nur noch ab und zu eines in seinem Heimatdorf, und alle sind zufrieden.
Für die Zerlegung eines Schweins ist es hilfreich, wenn man a) schon öfter Holz gehackt und b) noch nicht so viel rachiu hinter der Binde hat. Denn nachdem mit einem scharfen Messer die Speckschwarten vom Rücken gelöst worden sind, muss man beidseitig der freigelegten Wirbelsäule die Rippen abhacken. Das tote Schwein bekommt sozusagen einen altnordischen Blutaar (Wer Vikings gesehen hat, weiß Bescheid. Alle anderen bitte nicht googeln. Ist voll eklig!). Das sieht sehr spektakulär aus.
Die übrigen Tätigkeiten erfordern dann nicht mehr ganz so viel Zielgenauigkeit, sondern eher Fleiß. Der Dünndarm zum Beispiel muss gründlich gewaschen werden, damit man später die Wurst hineinfüllen kann. In den meisten Haushalten werden die Klassiker cârnați (je nach Familienrezept mehr oder weniger knoblauchhaltig, werden hinterher getrocknet oder geräuchert) und caltaboş (eine Art Leberwurst mit Milzstückchen) hergestellt. Aus Kopf und Füßen macht man toba, Presssack (Oder Presswurst, Presskopf, Schwartenmagen, Sausack! Alles großartige Schimpfwörter eigentlich. In Rumänien ist das anders: Da ist »Toba« ein ganz normaler Nachname.).
Es wird nichts verschwendet außer dem Blut: Das läuft normalerweise unter den Hoftoren hindurch, den Kirchenhügel hinunter, über die frisch geteerte Straße in die Sickergräben daneben, wo es sich mit den Abwässern von Wasch- und Spülmaschinen zu einer unheiligen dunkelroten Brühe vermischt, die im Winter über Nacht manchmal eine feine Eiskruste erhält. Der Anblick veranlasst sogar unseren wortkargen Teenager zu einer poetischen Wortmeldung: »Mama, das ist wirklich ein Bild aus einem Horrorfilm. Es sieht aus, als ob die Häuser selbst bluten.«
Merkwürdigerweise gibt es – zumindest in unserer Region – keine Verwendung für das ganze Blut. Es wird nicht aufgefangen und zu Blutwurst verarbeitet. Die transsilvanischen Kinder scheinen andere Leibgerichte zu haben als Blutklößchensuppe. Also gibt es auch keine Schüsseln voller Blut, in die unser blonder Michel seinen Kopf stecken und nicht wieder herausbekommen könnte. Das ist eigentlich das Einzige, was unser Dorf von Astrid Lindgrens Lönneberga unterscheidet.
Alles andere wird verarbeitet. Nur die Elemente, die wirklich keine menschlichen Liebhaber finden – zum Beispiel der Dickdarm, die Galle oder die Geschlechtsorgane – werden zur Freude der Straßenhunde verteilt.
Doch zurück zum ersten dieser archaischen Events, bei denen ich selbst Zeugin sein durfte.
Jürgen muss am Schlacht-Samstag noch ein dringendes Softwareproblem lösen, also machen sich Johann und ich allein auf den Weg zum Hof, wo Tante Felicia und Neffe Bogdan leben. Als wir ankommen, ist das Schwein schon tot. Es ist mittelgroß, eine Sau, und liegt auf einer Europalette im Innenhof. Bogdan ist mit einem Gasbrenner bewaffnet und verkokelt das Tier damit gekonnt, bevor er die Borsten abkratzt und abspült.
Noch ein wenig Gefuchtel und Gesäbel mit dem Messer, und uns wird ein Teller mit länglichen, zumeist streifenförmigen Hautstücken gereicht. Sieht verdammt roh aus. Aber ich habe ja mit eigenen Augen gesehen, dass das Schwein gründlich und umsichtig von allen Seiten abgeflammt wurde.
Ich probiere brav das şorici. Die schwarzen Borstenreste irritieren mich minimal. Okay, denke ich. Nicht so genau hinschauen. Das ist jetzt auch nichts anderes als Krustenbraten, nur eben anders zubereitet. Wahrscheinlich sogar gesünder, weil nicht so verbrannt. Also rein damit!
Und tatsächlich schmeckt es ganz gut. Angenehm im Biss, eher zart als knorpelig, mit einer ganz feinen Geschmacksnote nach Speck und Feuer. Wie eine zu stark verdünnte Essenz, eine ferne Erinnerung an Krustenbraten.
Johann, den solche Überlegungen nicht plagen, kaut mit vollen Backen und hält Proviant-Hautstreifen in beiden Händen, als er wieder zum Spielen abzischt. Ich nippe am Schnaps und nehme noch ein Stück şorici. Tante Felicia nickt mir wohlwollend zu. Ich glaube, ich habe gerade meinen ersten Initiationsritus als Wahl-Rumänin bestanden.
Das angebotene Ohr (das linke) kriege ich dann aber nicht mehr runter. Obwohl es ja auch nichts anderes ist als Haut und damit sozusagen unverbrutzelter Krustenbraten … »Bei aller Liebe«, sage ich, »das schaffe ich nicht mehr, habt ihr vielleicht eine Tüte? Ich will es meinem Mann mitbringen. Der sitzt den ganzen Tag vor dem Computer, und er mag herzhafte Snacks, der kann so ein Ohr bestimmt gut vertragen … Ich muss noch dreimal beschwören, dass wir garantiert wiederkommen, dann darf ich mit meinem Ohr von dannen ziehen.
Tatsächlich ist Jürgen sehr angetan, weniger vom mittlerweile kalten Ohr als von der Aussicht auf sein erstes richtiges Schlachtfest. Also packen wir die jüngsten beiden Söhne ein und marschieren zum Hof, wo die Party steigt. Es ist extra noch ein Cousin dazugekommen, der besser Deutsch spricht als Bogdan. Er setzt unsere Söhne kurzerhand auf die Stute Stella und führt sie ein paarmal die Straße auf und ab. »Schau mal, Mama, ich bin ein Ritter!«, quietscht Johann. Währenddessen tischen Tante Felicia und Bogdan auf, was Küche, Stall und Grill hergeben: Kräutersalz, Hausbrot, eingelegte Gurken, knusprige Fleischstückchen. Wein und Schnaps werden geradezu unbarmherzig nachgeschenkt. Das einzige nicht hausgemachte Produkt ist die Fanta für die Kinder.
Und wir lernen ein tolles Gerät kennen, eine Eisenschale auf Füßen mit Stiel in der Mitte: Kochtopf und Grill in einem. Man stellt es einfach direkt in die Glut und lässt im breiten Rand zum Beispiel frischen Speck aus. Bogdan frittiert darin Kartoffelstücke. Bisschen selbst gemixtes Kräutersalz von Tante Felicia drüber: Fertig. Ungelogen die besten »Pommes« meines Lebens. Nicht mal Johann fragt nach Ketchup.
»Wir grillen auch sehr gerne«, smalltalke ich, erzähle von unserem Lieblingsrezept für Stockbrot und erkläre, dass das in Deutschland aber oft nicht so einfach ist. Die Nachbarn regen sich über den Rauch auf, es gibt vorgeschriebene Abstände zu Wohnhäusern und so weiter und so weiter.
»Ja, ich weiß«, nickt der Cousin. »Ich wollte auch mal in Deutschland grillen. Dafür bin ich extra zu einem Grillplatz gefahren. Da standen sogar Schilder: Grillplatz. Dann habe ich angefangen, aber da kam schon die Polizei. Die haben gesagt, so, wie ich grille, darf ich da nicht grillen.« Er lacht und zieht die Schultern hoch. »Dann bin ich halt woanders hingefahren, wo kein Grillplatz war, und hab da gegrillt …«
Das geschenkte Ohr übrigens wird natürlich auch noch verwertet, ich brate es später zusammen mit klein geschnittenen Schwartenstückchen im eigenen Fett knusprig. Köstlich!