Unser tägliches Holz gib uns heute


von Astrid Ziegler

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Frau liegt auf einem Sessel vor einem Ofen
Während der vielen Aufenthalte, die wir im Laufe der Jahre in Pau­lisch ver­bracht ha­ben, lern­ten wir zahl­reiche Pro­bleme und Prio­ri­tä­ten der Be­woh­ner des Dor­fes nörd­lich der Ma­rosch ken­nen, mit denen ein Stadt­mensch kaum mehr kon­fron­tiert ist. Ja, mehr noch, ganz be­stimmte Sor­gen und Nöte wer­den auch zu un­seren ei­ge­nen. Ein zen­tra­les Thema zum Bei­spiel, das nicht nur für das Wohl­er­ge­hen im Win­ter in Pau­lisch ent­schei­dend ist, son­dern un­seren Au­fent­halt bei nie­dri­gen Tem­pe­ra­tu­ren erst er­mög­licht, ist die Frage, ob ge­nug Brenn­holz vor­han­den ist.
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Es ist zunächst unangenehm, es nach der An­kunft mit die­sen Schwie­rig­kei­ten auf­zu­neh­men. Da­mit die Raum­tem­pe­ra­tur er­trägl­ich wird, muss man be­stän­dig nach­schü­ren, doch hat man es schließ­lich ge­schafft, be­lohnt ei­nen ein woh­lig-war­mes Ge­fühl von Ge­bor­gen­heit. In un­seren zen­tral­ge­heiz­ten Woh­nun­gen in den Städ­ten wis­sen wir näm­lich kaum noch, wie es sich an­fühlt, Kälte zu emp­finden.
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Die Abende nach der Anreise, an denen ich mich mit Vicky nach gut be­wäl­tig­tem Aus­pa­cken und An­hei­zen unter eine dicke Schicht von De­cken kau­ere, wur­den zu prä­gen­den Er­leb­nis­sen un­serer Pau­lisch-Au­fent­halte. Wäh­rend Hände und Füße all­mäh­lich warm wer­den, beo­bach­ten wir das Spiel der Flam­men durch die Glas­tür des Ka­chel­ofens und den Wider­schein da­von auf der Zim­mer­wand.
Feuer in einem Ofen
“Wir haben es geschafft, schlaf gut, mor­gen machen wir hier lau­ter schöne Sa­chen", pflegte ich mei­ner tap­fe­ren Toch­ter zu­zu­flüs­tern. Das Letzte, was wir hö­ren, wäh­rend wir all­mäh­lich in die Traum­welt hinü­ber­glei­ten, ist das pras­selnde Feuer, wie ein Schlum­mer­lied aus al­ten Zeiten.
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Wie schon meine Urgroß­eltern küm­mern wir uns jähr­lich im Som­mer da­rum, Holz­stämme für den Win­ter zu kau­fen, sie zer­sä­gen, spal­ten und ein­la­gern zu las­sen. In der Fa­milie wird er­zählt, dass mein Ur­groß­vater so ge­wis­sen­haft da­bei ge­we­sen war, das Brenn­ma­te­rial für den Win­ter be­reit­zu­stellen, dass er im ho­hen Alter von über 80 Jah­ren nach dem Holz­ha­cken ver­starb.
Bauernhaus mit Bäumen davor
Jedes Zimmer in unserem Haus hat nach wie vor ei­nen Ofen. So kann man ganz nach Be­darf nur ein­zelne Zim­mer hei­zen. Die wich­tigs­ten Feuer­stellen sind in den Schlaf­zim­mern, dort be­fin­den sich scha­mot­tierte Öfen, die nachts lan­ge Wärme spei­chern kön­nen und in der Küche, wo es einen Schwe­den­ofen gibt, der schnell warm macht. Au­ßer­dem ha­ben wir auch einen so­ge­nann­ten Spar­herd, auf dem man kochen kann. Im "Para­de­zim­mer", dem größ­ten Raum des Hau­ses, sorgt ein rie­siger alter Ka­chel­ofen für das schöne Ge­fühl, das sich ein­stellt, wenn die milde Wärme ei­nes Holz­feuers den Raum all­mäh­lich mit Be­hag­lich­keit er­füllt. Es ist reiz­voll, sich vor­zu­stel­len, wie die vielen Ge­ne­ra­tio­nen vor uns hier auch schon um den Ofen saßen.
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Ganz früher beheizte wohl Dienst­per­sonal die Zim­mer der Herr­schaf­ten über Tür­chen zu den Öfen vom Gang aus. So konnte schon früh­mor­gens Feuer ge­macht wer­den, ohne die Herr­schaf­ten zu stö­ren und ohne durch das An­schü­ren Lärm oder Schmutz zu ver­ur­sachen.
Wir müssen uns die Holz­scheite selbst ins Haus tra­gen, jeden Tag ei­nen gro­ßen Wei­den­korb pro Zim­mer. Und die erste Hand­lung des Tages im in­zwi­schen wie­der aus­ge­kühlten Raum ist, mor­gens nach dem Auf­wa­chen in den Öfen zu sto­chern, um die Asche zu ent­fer­nen. Grill­an­zün­der und Klein­holz wird da­nach so hi­nein ge­schichtet, dass die Flam­men mög­lichst schnell wieder zu lo­dern be­gin­nen. Einen Korb pro Raum pro Tag, das be­deutet eine be­trächt­liche Men­ge an Holz­scheiten und er­for­dert sorg­fäl­tige Pla­nung.
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Vor einigen Jahren geschah es, dass wir zum Ende der kal­ten Jah­res­zeit ohne Holz blie­ben. Un­sere da­ma­ligen Un­ter­mieter hat­ten fast alles ver­heizt, ohne uns Be­scheid zu geben. Als wir schließ­lich in die Os­ter­fe­rien ka­men, stellte sich an­hand der wohl­be­kann­ten Holz­korb-Kal­ku­la­tion schnell he­raus, dass die Scheite nur noch für zwei Tage rei­chen würden.
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In dem Jahr war der März noch sehr fros­tig. Em­pört über die nicht er­folgte In­for­ma­tion über den Ernst der Lage in puncto Brenn­ma­te­rial, be­gann Benno zu schimp­fen, Vicky jam­merte, dass ihr kalt war, weil wir nicht wie ge­wohnt nach­schü­ren konn­ten. Der Holz­not­stand drohte un­seren Ur­laub vor­zei­tig zu be­enden.
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Auf die Schnelle einen Holzliefe­ranten zu fin­den, ent­puppte sich als äu­ßerst schwie­rig. Selbst die Nach­barn, die sonst immer be­reit­willig Holz­lie­fe­ran­ten emp­fah­len, kann­ten nie­man­den, der so kurz­fristig eine Fuhre lie­fern konnte. Über­gangs­weise musste ich mir so­gar ein paar Schub­kar­ren mit Schei­ten aus­lei­hen. “Dar adu-le în­apoi că nici noi nu mai prea avem!”(“Bring sie aber zu­rück, denn auch wir haben kaum mehr etwas!”) Haupt­sache der Tag und die da­rauf­fol­gende Nacht waren über­brückt.
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Man riet mir: “Du-te la Ghioroc în piață şi în­treabă. Acolo mai trec ca­mioane cu lemne.” (“Fahr doch zum Markt nach Ghio­roc, dort fah­ren Holz­laster vor­bei.”). Die Markt­frauen, die ich dort an den Tischen an­traf, wa­ren in dicken Ja­cken und um den Kopf ge­bun­dene Tü­cher ge­hüllt. Sie hat­ten gro­ßes Ver­ständ­nis, als ich ihnen un­sere Situa­tion er­klärte: Kein Holz bei die­sen Tem­pe­ra­tu­ren, ei­nen schimp­fen­den Mann und ein frie­ren­des Kind zu ha­ben, war wirk­lich schlimm. “Vai, ce rău… foarte rău!” ("Oh, wie schlimm… sehr schlimm!") sag­ten sie kopf­schüt­telnd.
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Immerhin gaben sie mir eine Handy­num­mer. Die tiefe Män­ner­stimme, die sich mel­dete, wurde ver­ständ­nis­voll, ja gera­dezu sanft, als ich ins Tele­fon schluchzte und ihm un­sere Not­lage er­klärte. Der Fahrer sagte, er wisse nicht, ob er so schnell eine Fuhre Stämme be­kom­men würde, schließ­lich bräuchte man da­für Ak­ten, alles müsse legal sein. Er würde es aber ver­suchen.
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“Vă rog frumos să faceți cumva rost, am un copil mic…” Den Aus­druck “a face cumva rost” kannte ich noch aus mei­ner Kind­heit im Kom­mu­nis­mus. Er be­deu­tet, dass man etwas be­sor­gen konnte, trotz Man­gel und Knapp­heit.
Um es kurz zu machen: mein Flehen wurde er­hört und am nächs­ten Tag fuhr ein voll be­la­dener Las­ter mit Holz­stäm­men in un­seren Hof.
ein mit Holz beladenes Auto steht im Garten
Eine Holzlieferung ist im Dorf ein be­son­de­res Er­eig­nis von all­ge­mei­nem In­te­resse. Ge­wöhn­lich wer­den die Stämme auf der Gasse ab­ge­la­den und erst nach ge­rau­mer Zeit in Stücke ge­sägt und in den Hof ge­tra­gen. Zeit ge­nug für die Nach­barn, die Qua­li­tät des Brenn­ma­te­rials zu be­gut­ach­ten. Sind es schöne dicke Stämme aus Ei­chen- oder Bu­chen­holz, wird an­er­ken­nend ge­nickt und dem stol­zen Be­sit­zer gra­tu­liert: “Ce lemne groase şi fru­moase! De esență tare!” (“Was für dicke schöne Stämme! Von har­ter Be­schaf­fen­heit!”).
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Gleich darauf folgt gewöhnlich die Frage: “Dar cât ai dat pe ele?” (“Wie viel hast du da­für be­zahlt?”). Stimmt auch der Preis, wird der Lie­fe­rant so­gleich wei­ter­emp­fohlen und alle sind zu­frie­den. Doch wehe, die Stämme sind krumm oder zu dünn! “Dar ce mi-ai adus aici… cozi de mă­turâ!? (“Was hast du mir denn da ge­bracht, Be­sen­stiele?!”) wird schon der Las­ter­fahrer zur Rede ge­stellt. Der Emp­fän­ger hat dann nicht nur dem Scha­den in Form von min­der­wer­ti­gem Holz, son­dern muss auch mit spöt­ti­schen Kom­men­taren der Nach­barn rech­nen. Nicht sel­ten wird so eine Fuhre, die nicht den Vor­stel­lun­gen ent­spricht, em­pört zu­rück­ge­schickt.
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Ein Luxus, den wir uns in dem Jahr, in dem wir ohne Holz ge­blie­ben sind, nicht leis­ten konn­ten, wir wa­ren dank­bar für das, was wir be­kom­men hat­ten. Spä­ter mach­ten wir “haz din necaz” ("aus Ärger Spaß machen") und er­zählten im War­men sit­zend die Ge­schichte vom ret­ten­den Holz­kauf in letzter Mi­nute. Denn so bit­ter es war, ohne Brenn­ma­te­rial da zu ste­hen, so wa­ren wir je­den­falls so pri­vi­le­giert, uns die­ses leis­ten zu kön­nen. Für är­mere Haus­halte im Dorf da­ge­gen ist Brenn­holz ein wich­tiger Kos­ten­faktor.
Holzlaster wird entladen
Deshalb sieht man immer wieder Leute, die mit Wä­gel­chen vol­ler Äste und Klaub­holz un­ter­wegs sind. Vom Fens­ter aus beo­bach­tete ich ein­mal eine sehr alte Frau, die sich ab­mühte, ei­nen Hand­wa­gen mit ei­nem Bün­del dür­rer Zweige zu zie­hen. Der An­blick der ge­bück­ten Al­ten, die noch die tra­di­tio­nel­len schwar­zen Röcke und auf dem Kopf das ty­pische Kopf­tuch der Bäu­erin­nen trug, war herz­zer­rei­ßend. Da war eine Frau, die si­cher­lich ihr gan­zes Leben gear­beitet hatte und sich im ho­hen Al­ter noch mit Holz­sam­meln pla­gen musste. Ich schäme mich heute noch da­für, dass ich nicht so­fort hi­naus­ge­laufen bin, um ihr zu hel­fen. Wie kost­bar selbst dürre Äste sein können, wenn man kein Geld zum Holz­kauf hat.
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Katze vor einem Holzstapel
Nach diesen Erfahrungen schätze ich alles Holz, das auf mei­nem Grund­stück an­fällt, la­gere es ein um es als Brenn­ma­te­rial zu nut­zen. Es ist ein biss­chen wie mit Brot, das man nicht weg­wer­fen kann, weil man Leute kannte, die Hun­ger ge­lit­ten ha­ben.
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Wenn der Pfarrer jährlich An­fang Ja­nuar zum Haus seg­nen kommt, stel­len wir im Para­de­zim­mer eine bren­nen­de Kerze, Brot, Salz und Was­ser auf den Tisch, um für diese essen­tiel­len, lebens­not­wen­digen Dinge den Se­gen zu er­bit­ten. Das Wärme spen­dende Holz, die­ser für die Men­schen so wich­tige Roh­stoff, könnte ei­gent­lich auch da­zu ge­hören.
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Tisch mit Salz und Brot und einer Kerze
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