Zum ersten Mal hörte ich den Namen Josef Haltrich vor fünf Jahren, als ich eine Stelle als Dorfschreiber in Katzendorf/Caţa im rumänischen Siebenbürgen antrat. Eine neue Welt tat sich mir damals auf, unbekannte Namen, Ethnien, Traditionen, Geschichten. Zu ihnen gehörte die des Pfarrers und Märchensammlers Josef Haltrich, einer jener Gelehrten, die im fernen deutschsprachigen Teil Rumäniens fleißig Traditionen und Sagen aufbewahrten. Inspiriert zu seiner Sammelleidenschaft war er bekanntlich von den Brüdern Grimm worden, mit denen er in Korrespondenz stand.
Unbekannter Künstler: Porträt Josef Haltrich. Zeichnung, undat.Josef Haltrich: Deutsche Volksmärchen aus dem Sachsenlande in Siebenbürgen. Berlin 1856
Bis heute gehört seine Märchensammlung in jeden sächsisch-siebenbürgischen Haushalt, auch wenn dieser inzwischen größtenteils auf bundesdeutschem Gebiet sein dürfte. Auf jeden Fall haben seine Deutschen Volksmärchen aus dem Sachsenland in Siebenbürgen, die 1856 erschienen, eine wichtige Funktion für die Identität dieser deutschsprachigen Minderheit in Rumänien gehabt.
Von Haltrich selbst wissen wir nicht sonderlich viel. Heute nennt sich stolz ein Gymnasium in Schäßburg/Sighişoara nach ihm, an dem unter anderem der Raketenpionier Hermann Oberth lernte. Hier war Haltrich selbst eine Zeitlang Lehrer und Rektor, bevor er in das nachbarliche Schaas/Şaeş überwechselte.
Ansicht der Stadt Schäßburg (Foto: Monica Buldoc)Ansicht der Dorfkirche von Schaas. Aufnahmen 2011 (Foto: Monica Buldoc)
Im September 2015 machte ich eine Reise auf den Spuren von Haltrich, da wir eine Neuausgabe seiner Märchen in der Edition Hamouda/Leipzig planten. In Sächsisch Regen/Reghin bei Bistritz war von seinem Elternhaus, in dem er 1822 geboren wurde, nichts mehr vorzufinden; es war in den 1840ern abgebrannt.
Haltrich war kurz zuvor von seinem Leipziger Studium der Theologie und Philologie zurückgekehrt und geriet zudem kurzfristig in die Wirren, die die Revolution 1848 selbst nach Siebenbürgen brachte. In Regen wurde 1907 übrigens der Leipziger Lyriker Georg Maurer geboren. Der protestantische Pfarrer von Regen, ein Rumäne, ließ uns freundlicherweise in das Taufregister der Gemeinde blicken.
Über Schäßburg führte der Weg nach Schaas, einem Straßendorf mit sächsischer Kirche. Bis heute hat es noch etwas Sprichwörtliches an sich. Die Schaaser waren als Witzbolde bekannt oder auch als Einfaltspinsel, je nachdem. Schaas, ein Ort des Scherzes. Heute sind unter den etwa 1300 Bewohnern nur noch zehn Deutschsprachige zu finden.
Im Licht der Abendsonne spiegelte sich das Pfarrhaus unweit der Kirche, in dem Haltrich seine Studien zur Sprache und Kultur Siebenbürgens gepflegt hatte. Dort machte er auch seine regelmäßigen Wetteraufzeichnungen. Heute ist das Haus privat bewohnt und wir mussten uns mit der Außenansicht begnügen.
Dennoch konnte man sich vorstellen, wie der alte Gelehrte, der hier 1886 starb, seine Schriften sichtete, Post beantwortete und seinen kirchlichen Pflichten nachging. Als er die Märchen sammelte, vor allem in seiner Schäßburger Zeit, erhielt er viele Geschichten aus den umliegenden Gebieten, die ihm Schüler und Studenten von zu Hause mitbrachten. Sie schämten sich zunächst, ihre bäuerlichen Erzählungen und Scherze dem Lehrer mitzuteilen, aber der ermutigte sie nur weiter.
Und so begannen sie sich einerseits mit ihrem Erbe zu beschäftigen, andererseits erhielten die ländlichen Traditionen einen gewichtigeren Status. Haltrich sah sie als Gegengewicht zur Verstädterung und Beschleunigung der modernen Zeit. Er forderte eine Erziehung des Gemüts, das heißt von seelischen Qualitäten.
Wenn man von der Kirche den Hügel hinaufsteigt, gelangt man zum sächsischen Friedhof von Schaas. Hier hat man einen wunderbaren Blick auf die weite Landschaft um Schäßburg herum. Haltrichs Grab ist gut gepflegt, er liegt hier mit seinem Stiefsohn Gustav Balthes begraben, den seine Frau in die Ehe mitgebracht hatte. Ein stilles, sehr produktives und bis heute nachwirkendes Leben ging in Schaas zu Ende. Als selbstlos und bescheiden hat man den Märchenfreund beschrieben und vielleicht kommt sogar in den Märchen und der Art, wie sie erzählt sind, etwas von seinem Charakter herüber.
Die Bergschule in Schäßburg (heute Josef Haltrich Gymnasium) im Frühjahr (Foto: Monica Buldoc)Grabstein von Josef Haltrich auf dem Friedhof in Schaas. Aufnahme 2011 (Foto: Monica Buldoc)Die Bergschule im Winter Aufnahmen 2011
Haltrichs Siebenbürger Märchen sind 2016 in der Edition Hamouda, Leipzig, neu erschienen, mit einem Nachwort von Elmar Schenkel.
Zum Autor: Von Elmar Schenkel erschien u. a. Mein Jahr hinter den Wäldern. Aufzeichnungen eines Dorfschreibers in Siebenbürgen. Leipzig: Connewitzer Verlagsbuchhandlung 2015 sowie Transsilvanien Express in der Edition Hamouda.