Advent 1945 in Altsanktanna


Josef Merle (∗ 1936)

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Juunge und Mädchen mit einer Kerze in der Hand
Josef mit seiner Schwester bei der Erstkommunion
Von der Adventszeit in den 1940er Jahren
Damals begann die hl. Messe in der Advents­zeit schon um 7 Uhr. Da mussten wir Minis­tran­ten sehr früh auf­stehen. Zum Waschen nahmen wir Wasser in den Mund, lie­ßen es in die Hände rin­nen, machten uns das Ge­sicht nass und trock­ne­ten uns am Hand­tuch, wel­ches am Haken hinter der Tür hing, nah­men unsere Schul­tasche und das Pau­sen­brot und schon waren wir weg.
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Auf dem Weg in die Kirche stapf­ten wir durch den tie­fen Schnee. Da­mals schneite es viel und der Schnee war noch nicht ge­räumt. In der Kirche war es kalt, nur in der Sa­kris­tei war ein klei­ner Blech­ofen der ge­heizt wurde. Wein und Wasser blie­ben in der Sa­kris­tei bis man es brauchte, denn sie wären ein­ge­froren.
In der Mitte der Kirche hing ein Advents­kranz mit vier Ker­zen. Jede Woche wurde eine mehr an­ge­zün­det. Am letz­ten Sonn­tag vor Weih­nach­ten war schon die letzte Kerze dran.
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Zu Weihnachten herrschte in allen Häu­sern Fest­tags­stim­mung. Am Hei­li­gen Abend brachte das Christ­kind einen Christ­baum, der mit Nüs­sen, Äpfeln und Fran­zel­zucker ge­schmückt war. Auch kleine Ge­schenke brachte das Christ­kind. Da mussten die Kinder beten und kleine Ge­dichte auf­sa­gen. Oft brachte das Christ­kind auch Ruten.
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Über die Weihnachtsfeier­tage wurde be­son­ders gut ge­kocht und fei­ner Kuchen ge­ba­cken. In der Kirche in Alt­sank­tanna war es zu meiner Kind­heit be­son­ders feier­lich. Da sang der ge­mischte Chor mit Musik­be­glei­tung und es musi­zier­ten gute ein­hei­mi­sche Musi­ker und auch Be­rufs­mu­siker aus Arad und Temes­war. Im Jahre 1953 spielte ich auch mit der Bass­geige mit und dann zele­brierte unser Kir­chen­chor die heilige Messe auch in Temes­war in der Mehala.
Familienfoto
Josef Merle mit seinen Eltern und seiner Schwester
Damals war ich das erste Mal in Temes­war, konnte aber nicht viel von der Stadt sehen, da alle Fens­ter der Stra­ßen­bahn zu­ge­fro­ren waren. Nach der hl. Messe gab es ein gutes Essen im Fest­saal.
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Am Heilig Abend durften wir Kinder auf­blei­ben und in die Christ­mette gehen. Die Christ­mette und das Hoch­amt zu Weih­nach­ten dauer­ten fast zwei Stun­den. An die­sen Tagen waren fast alle Minis­tran­ten in Minis­tran­ten­klei­dung und durf­ten den Gottes­dienst mit­ge­stal­ten. Am zwei­ten Weih­nachts­tag kamen viele Gläu­bige aus Neu­sankt­anna nach Alt­sankt­anna (Kom­losch), denn in Neu­sankt­anna wurde das Hoch­amt am zwei­ten Weih­nachts­tag in Un­ga­risch ab­ge­halten. Dann waren wir auch schon am Jah­res­ende an­ge­kommen. Zu Sil­vester gab es die Dank­sa­gung in der Kirche.
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Wir gingen gerne in die Kirche denn dann hör­ten wir, wie­viele Kin­der ge­bo­ren wur­den, wie­viele Men­schen ge­stor­ben sind und wie­viele ge­hei­ra­tet ha­ben. Nach der Volks­zäh­lung von 1941 gab es in Neu­sankt­anna 5855 Deutsche und in Alt­sank­tanna 2425 Deutsche. Ende 2020 leb­ten in Sankt­anna noch 265 Deutsche, davon 207 in Neu­sankt­anna und 58 in Alt­sankt­anna.
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Am Silvesterabend fand auch der Silves­ter­ball statt und die Ju­gend strömte in Scha­ren zum Tanz. Um Mitter­nacht ging das Licht für ei­nen Mo­ment aus, dann spielte die Musik das Neu­jahrs­lied und alle san­gen mit. Dann wünschte man sich ge­gen­sei­tig alles Gute und Ge­sund­heit für das neue Jahr.
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Im Herbst 1944 brachte man jeden Abend russi­sche Sol­da­ten in die Häu­ser der Leute. Die­sen Sol­da­ten musste man Essen und ein Bett zum Schla­fen geben. Am Morgen sind sie wieder weg und am Abend kamen andere.
Bevor sie etwas gegessen haben, musste die Mutter oder die Groß­mut­ter et­was von dem Essen pro­bie­ren, um die Sol­da­ten zu über­zeu­gen, dass es nicht ver­giftet war.
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Gegen Weihnachten hörte man im Ort, dass den Deut­schen etwas ganz Großes be­vor­steht, doch was, wusste man nicht. Mitte Januar ging der Tromm­ler mit der Bot­schaft um, dass nie­mand das Dorf ver­lassen darf und alle Leute sollen da­heim in ihren Häu­sern blei­ben. Meine Schwester hatte Bauch­ty­phus, was sehr an­ste­ckend war. Und so schlief ich bei meinen Groß­eltern.
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Als ich dann am Sonntag, den 14. Ja­nuar 1945 nach Hause ging, sah ich eine große Menschen­menge um­ringt von eini­gen Sol­da­ten mit auf­ge­stock­ten Ba­jo­net­ten. Als ich dort an­kam sah ich zwi­schen den wei­nen­den Men­schen auch meine Mut­ter, die ge­rade auf mich zu­lau­fen wollte. Sie wurde je­doch mit den Ge­wehr­kol­ben zurück­ge­stoßen. Dann kam auch schon meine Groß­mut­ter über den Weg und sagte, sie sollen sie an­stelle meiner Mutter mit­neh­men und die Mutter bei ihrem kran­ken Kind las­sen. Auch meine Groß­mutter wurde zurück­ge­stoßen und die Gruppe zog von Haus zu Haus weiter.
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Im Dorf wurde nur noch ge­weint und ge­jam­mert. Man nahm die Män­ner von 17 bis 45 Jah­ren und die Frau­en von 18 bis 30 Jah­re. Es war eine grau­same Zeit, man riss die Mütter von ihren Kin­dern weg. Ver­schont wur­den nur Schwan­gere und Mütter mit Kin­dern unter einem Jahr. Oft blie­ben nur die Groß­el­tern mit ihren Enkel­kin­dern zu­rück. Es blieb nur Elend und Ver­zweif­lung für die deut­sche Be­völ­ke­rung. In diesen Ta­gen blieb kein Auge tro­cken. Ab diesem Zeit­punkt blieb ich ohne Vater und Mutter. Mein Vater ist 1941 ge­fallen im Krieg.
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Es gab nach dieser Verschlep­pung einige Groß­el­tern, die bis zu 10 Kin­der ver­sor­gen mussten. Viele der Ver­schlepp­ten aus unse­ren Rei­hen waren bis zu 5 Jah­ren in russi­schen La­gern ge­fan­gen und un­ter schwie­rigs­ten Be­din­gun­gen fest­ge­hal­ten. Viele sind auch dort ver­hun­gert und elendig zu Grunde ge­gan­gen. Diese Zeit ge­hört für viele Bana­ter Schwa­ben zu der größ­ten Ka­tas­trophe und Lei­dens­ge­schichte ihres Lebens.
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Am 12. Juli 1948 haben wir meine Mutter am Bahn­hof in Sankt­anna un­ter Freu­den­trä­nen in die Arme ge­schlos­sen. End­lich hatten wir wieder eine Mutter.
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Mutter mit Kindern vor einem Tor
Josef Merle mit seiner Mutter und seiner Schwester
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