Der Wein


ausgesucht von Richard Kreiling
gemalt von Wilhelmine, 6 Jahre

Wir Buben aus der Kleinen Kaserne lie­fen über die Straße in die Feßle­rische „Ge­trän­ke-Groß­hand­lung“ hinü­ber und hal­fen dort dem Keller­meis­ter bei sei­ner Ar­beit, wu­schen die Fla­schen und zo­gen an der Pumpe, wenn der bil­lige Bogat­schi-Schnaps (14 Kreu­zer das Liter) her­ge­stellt wurde; in die Fäs­ser wurde die Essenz hinein­ge­tan und wir pump­ten aus dem Brun­nen Was­ser hin­zu. So ka­men wir Bu­ben hin­ter man­ches Ge­schäfts­ge­heim­nis der Groß­hand­lung.
gemaltes Bild eines Menschen mit einem Eimer
Am Tage vor der Löhnung nahm der Feß­ler Fuhr­leute auf. Die Wa­gen hiel­ten vor der Hand­lung und die leeren Fäs­ser wur­den im­mer zu der Stun­de auf­ge­la­den, wenn die Ar­bei­ter auf die Schicht gin­gen. Da sag­ten die Ar­bei­ter: „Der Feß­ler fährt um Wein!“
Sie meinten, er fahre zu den Wein­bau­ern in die Bog­scha­ner Ge­gend, um seine Hand­lung für den Zahl­tag mit Wein zu ver­sehen.
Die Wagen fuhren aber nur bis zum Kill­ni­cker Brun­nen, wo der Lu­pa­ker Weg auf die Kill­nicker Straße heraus­kommt, und dort füll­ten sie die Fäs­ser. Auf dem Rück­weg rich­te­ten sie es wie­der so ein, dass sie ge­rade zu der Zeit im Dorf an­ka­men und die Fäs­ser vor der Hand­lung ab­lu­den, als die Ar­bei­ter auf die Schicht gin­gen. Da sag­ten die Ar­beiter:
„Der Wein ist schon da!“
Als die Fässer in den Keller ge­schafft wur­den, konnte es der Fuhr­mann, ein rumä­ni­scher Bau­er, doch nicht un­ter­las­sen, den Kel­ler­meis­ter zu fra­gen, wo­zu er die mit Was­ser ge­füll­ten Fäs­ser bei dem Ge­tränk la­gere.
gemaltes Bild eines Pferdes neben einem Wagen
„Wozu macht Ihr das? Warum schafft Ihr das Was­ser in den Wein­keller?“
Der Kellermeister ant­wortet:
„Das ist kein Wasser, das ist Wein!“
Und damit er den Fuhrmann über­zeuge, setzte er am Faß ei­nen Schlauch an und gab ihm zu kosten.
Der Fuhrmann trank und be­kreu­zigte sich: es war wirk­lich Wein!
„Mei!“ sagte er, „Wasser hab ich auf­ge­holt und Wein ge­bracht!“
Das Wasser hatte sich in Wein ver­wan­delt. In den Fäs­sern näm­lich waren Essen­zen ge­we­sen; un­ter­wegs hatte sich die Mi­schung gut durch­ge­schüt­telt und als sie zu Hause an­ka­men, war der Wein fertig!
Anm. R.K.: Bogschan [rumä­nisch Bocșa], Kill­nick [rumä­nisch Cîl­nic] und Lu­pak [rumä­nisch Lu­pac] sind Vor­orte von Re­schitz [rumä­nisch Reșița] im Bana­ter Berg­land.
aus: Alexander Tietz, Märchen und Sa­gen aus dem Bana­ter Berg­land, Kri­te­rion Ver­lag, Buka­rest 1976
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