Ich möchte euch etwas erzählen, das mir sehr lebendig in Erinnerung ist. Ein kleines Mädchen sitzt allein im Wohnzimmer ihrer Großmutter, umgeben von dem Duft von Feiertagskuchen (Cozonac), der frisch aus dem Ofen kommt, Kuchen, den sie am ersten Tag nur mit Nase und Augen genießen darf, nicht mit dem Mund.
In der kleinen Küche backen Mutter und Großmutter Feiertagskuchen für Weihnachten. Hier möchte das Mädchen eigentlich sein und die beiden bei dieser Tätigkeit unter dem Tisch hockend beobachten, wo es kühler ist. In der Küche ist es jetzt wärmer als im Sommer, denn der Kuchen braucht Hitze, um aufzugehen und locker zu werden. Die Kuchen warten auf den Blechen artig und paarweise darauf, um zum Backen in den Ofen geschoben zu werden. Dabei liegen einige hoch oben auf dem Schrank, andere auf dem Tisch oder auf dem Hocker unter dem Tisch. Oma hat sie so hingelegt, dass sie der Reihe nach aufgehen können.
Mutter knetet den Teig in einer so großen Schüssel, dass sogar das kleine Mädchen hineinpassen würde, wenn es sich zu einer Kugel zusammen rollen würde. Leider wurde sie schnell aus der Küche rausgeworfen und sitzt jetzt allein im Wohnzimmer und wartet darauf, dass Oma endlich den Napfkuchen rausbringt, den sie immer vor dem Cozonac bäckt. Und das Schönste daran ist, dass man diesen schon heute essen darf. Doch bis dahin muss sie geduldig sein und aufpassen, dass sie keinen Unfug macht.
Cozonac von Oma und Mutti gebacken
Sie kennt Omas Wohnung gut, aber es gibt immer wieder neue Orte zu entdecken. Da wären zum Beispiel der Schrank in Omas Zimmer mit der Kiste voller bunter Wollknäul.
Es ist ein düsterer Tag und es könnte schneien. Draußen sind rhythmische Geräusche zu hören. Auch gestern hat sie diese schon gehört, aber da waren sie leiser. Jetzt kommen diese Klänge näher, es wird immer lauter und nun sind auch Stimmen und Pfiffe zu hören. Rasch klettert sie auf den Stuhl am Fenster, um nach draußen schauen zu können. Von der zweiten Etage aus kann sie den gesamten Bereich zwischen den kleinen Wohnblöcken überblicken. Der Lärm wird immer lauter.
Schließlich erscheint eine Reihe in weißen Trachten gekleideter Männer zwischen den Gebäuden, mit großen Trommeln, die wie riesige, runde Tabletts aussehen, die sie mit einem Stock schlagen, auf dem so etwas wie eine kleine Kugel steckt. Die Trommler haben einen großen Kreis gebildet, in dem Bären auf zwei Beinen tanzen! Die Bären tragen große rote Quasten an den Ohren, schütteln den Kopf und schiessen Purzelbäume! Auch kleine Bären sind dabei, sowie ein alter Mann und eine alte Frau, bucklig und hässlich gekleidet.
Die Bären scheinen auf die weiß gekleideten Menschen zu hören, die jeweils einen mit bunten Bändern und Glöckchen verzierten Stock tragen, den sie im Rhythmus des Tanzes läuten lassen. Sie rufen etwas, aber die Worte sind unverständlich. Der Lärm wird ohrenbetäubend und die Nachbarn kommen neugierig an die Fenster. Auch Mutter und Großmutter hören mit dem Kneten auf. Die Bären drehen sich im Kreis und zu den Trommeln sind gleichzeitig Flöten, Rasseln, Glocken und Rufe zu hören.
Wenn die Musik aufhört, wirft jeder Bär seinen Kopf zurück und aus seinem Fell kommt der Kopf eines Mannes zum Vorschein, verschwitzt und mit rotem Gesicht! Wieso das? Steckt in dem Bär ein Mensch?!
Jetzt hört man auch den Wunsch „Ein glückliches neues Jahr!“, die Zuschauer werfen Süßigkeiten und Geld aus den Fenstern. Danach zieht die Gruppe im Rhythmus der Trommeln weiter.
Mutter und Großmutter machen sich wieder an die Arbeit in der Küche und auf dem Platz zwischen den Wohnblöcken zieht wieder Stille ein. Aber in der Seele des kleinen Mädchens herrscht ein Wirbelsturm von Gefühlen und in ihrem Kopf eine Lawine von Fragen, die sie jetzt niemandem mehr stellen kann und deren Antworten sie erst im Laufe der Jahre herausfinden wird.
Ich habe die Bärengruppen in meiner Kindheit öfter gesehen und erfahren, dass sie hoch aus dem Norden Rumäniens hunderte Kilometer nach Bukarest reisen, um dort von Haus zu Haus zu gehen und den Menschen ein glückliches Weihnachten zu wünschen. Es ist ein uralter Brauch, besonders in der Moldau und der Bukowina. Dort ziehen sie zu Weihnachten und Neujahr mit Weihnachtsliedern von Dorf zu Dorf. Die Gruppen sind groß, bestehen manchmal aus Dutzenden von Menschen jeden Alters, Kinder, Frauen und Männer. Sie haben festgelegte Rollen und stellen Bären, Trommler, Pfeifer, Kommandanten, alter Mann, alte Frau und andere Figuren dar. Vor Weihnachten treffen sie sich, proben, üben ihre Instrumente und bereiten ihre Kostüme vor.
Während der kommunistischen Zeit in Rumänien war dieser Bauch immer weniger verbreitet. Später wurden dann die Feiertage und beliebten Winterbräuche neu interpretiert und als Loblied auf die Regierung genutzt. Nach dem Umsturz wurden die alten Traditionen langsam wieder zum Leben erweckt. Der Besuch von Weihnachtssängern ist zu einem Moment der Freude und des Stolzes geworden. Die Tänzer und Sänger fanden sich wieder zusammen und die Bärenfelle wurden aus den Kisten hervorgeholt, in denen sie sorgfältig aufbewahrt worden waren. Die Bären waren wieder zum Leben erweckt.
Das Singen der Weihnachtslieder von Haus zu Haus soll böse Geister abwehren, Gesundheit und Wohlstand bringen. Dieser Brauch hat seine Wurzeln in der uralten Verehrung der Bären. Imposant, stark, unvorhersehbar, aber auch ruhig, gleichgültig und schwerfällig, mit langsamen Bewegungen, wie die eines alten Mannes, wird er liebevoll Meister Petz (rum: Moș Martin) genannt. In ihm sollen die Geister der Vorfahren wohnen, die zurückgekehrt sind, um über die Nachkommen zu wachen.
Der Bär ist mit schützenden Tugenden ausgestattet, die mit den Schicksalsfeen eine Verbindung aufnehmen (dies sind Geister, die das Schicksal von Kindern nach ihrer Geburt bestimmen, rumänisch „ursitoare“, abgeleitet vom Wort „urs“, Bär). Es herrscht der Glaube, dass ein neugeborenes Kind, wenn es mit Bärenfett gesalbt wird, Glück haben, vor Krankheiten geschützt sein und groß und gesund werden wird.
Der Bär soll auch Heilkräfte haben. Oma erzählte mir vom „Bärentritt“. In ihrer Kindheit zogen Bärendompteure mit lebenden Bären durch Dörfer und über die Jahrmärkte, besonders im Sommer. Der Bär lief an einer Kette, die Hunde bellten und der Lärm brachte das ganze Dorf auf die Beine. Die Leute versammelten sich um den Dompteur und die Vorstellung begann. Der Bär stand auf zwei Beinen und tanzte. Die Aufführung sollte das Publikum davon überzeugen, dass der Bär auf den Dompteur hört und das macht, was man ihm sagt, damit sie sich von ihm behandeln lassen. Es wurde angenommen, dass Rückenschmerzen besonders im Lendenbereich verschwinden, wenn der Bär einem auf den Rücken tritt. Wer sehr von Schmerzen geplagt und ein wenig Mut aufbrachte, ließ sich gegen Bezahlung durch den Bären behandeln. Von den Zuschauern ermutigt, legte der Patient sich auf den Bauch und der Bär trat mit seinen Pfoten leichter oder stärker auf den Rücken des Mannes, so wie es der Dompteur vorgab oder aber danach, wie die zu behandelnden Person aufschrie.
Die tiefe Verbindung zwischen Mensch und Bär, eine Kombination aus Respekt und Bewunderung, ist tief in unserem Unterbewusstsein verwurzelt. Auf der einen Seite fürchten wir ihn, aber gleichzeitig verehren wir ihn auch und er begleitet uns auf vielfältige Art und Weise ab den ersten Tagen unseres Lebens. Sein Bild findet sich auf Windeln, Saugflaschen, Kleidung. Schokolade, Eis, Gummibären gibt es in Bärenform, in der Umarmung eines Teddybären schläft man schneller ein. Der Bär ist eine Figur in Märchen, Filmen, Liedern ...
... und es gibt im Rumänischen viele weise Sprichwörter: Es ist „seit der Bär einen Schwanz hatte“ bekannt, dass man nichts Besonderes macht, wenn man „wie ein Bär in der Höhle bleibt“ und „die Haut des Bären im Wald verkauft“, du kannst „Hoffnung ziehen wie ein Bär von seinem Schwanz“, wenn du nicht „wie ein Bär bergauf gehst“, wenn „die Hunde bellen, aber der Bär geht“, weil selbst „der Bär nicht aus freien Willen spielt, sondern aus Notwendigkeit“.
Die Übersetzung der Bedeutung dieser Reihe rumänischer Sprüche: Es ist „schon seit sehr langer Zeit“ bekannt, dass man nichts Besonderes macht, wenn man „isoliert und faul bleibt“ und „etwas verspricht, das man nicht erreichen kann“, du kannst „vergeblich hoffen“, wenn du nicht „langsam und entschlossen vorgehst“, wenn „man sein Ziel verfolgt, ohne sich um das zu kümmern, was die Leute sagen“, denn „manchmal muss man Kompromisse eingehen, um erfolgreich zu sein“.
Frohe Weihnachten und auf ein Glas Wein voller „Bären-Kraft“ mit Freunden!