Ich wollte unbedingt den 700 km langen Via Transilvanica gehen, um das langfristige Unbekannte und die Zufriedenheit über schnelle Entscheidungen kennenzulernen, um meine großen Sorgen zu vergessen, um abends todmüde umzufallen. Ich wollte nur noch die vom Gehen schmerzenden Beine spüren, sonst nichts. Die Blasen an den Fußsohlen behandeln und weiterlaufen. Ich wollte körperlich einen Fortschritt sehen, und auch auf einer Landkarte, so von Punkt A zu Punkt B, morgen noch ein paar Kilometer dazu und so fort. Ich denke, seit dieser Pandemie habe ich meine Komfortzone weniger verlassen, als ich gern zugebe. Ich fahre seit einigen Jahren in die Berge und habe alle möglichen Extremsituationen durchgemacht, aber ich habe nie eine einen Monat lange Reise geplant.
Kurzum, es war so: Regen, Hitze, Regen, Regen, Heu, Hitze, Schäferhunde, wauwau, Schreck, na, entkommen, sieh, ein Bär, doch kein Bär, vergeblich auf der Lauer, Tempo erhöhen, komm zu Tisch, woher kommst du Mädchen, ahaa aus Bukarest, und so ganz alleine?, das hältst du keine Woche durch, gute Reise, danke, kann ich bitte etwas Wasser bekommen?, Pandemie? wo denn?, und dann dieses denkwürdige: “Bekommt man am Ende was dafür?“
Ich denke, wenn ich jetzt zurückkehren würde zu den Dorfbewohnern, hätte ich eine Antwort auf diese Frage. Man bekommt so viel auf diesem Wege, du musst nur offen sein für diese Gaben, und ich meine nicht den Schafskäse. Du musst nur den Mut finden loszugehen, und dann offen sein für das Jetzt. Deine Pläne anzupassen, denn das Leben der Anderen geschieht, während du dort auf der Via Transilvanica wanderst. Ich möchte nicht, dass die Leute, die dorthin gehen, den falschen Eindruck haben, dass sie in die Wildnis kommen. Es ist eine Natur mit Bergkämmen, Hügeln, Weiden, jungen Wäldern, aber vor allem tauchst du ein in den lebendigen Glanz des rumänischen Landlebens und lernst die unterschiedlichen Sitten, Glauben, Trachten der durchwanderten Gebiete kennen. Du sprichst mit Menschen, ob du willst oder nicht, weil du ja an ihren Höfen vorbeikommst. Manche laden dich ein, andere nicht, und du setzt deinen Weg fort.
Das Übrige übernimmt der Weg. Dich zu ernähren, dich auszuruhen, dich zu erschöpfen, dich zu ärgern, dich durch all die Zustände, all die Ängste, all die Selbstzweifel zu führen. Was ist nur in dich gefahren? Siehst du nicht, dass du nicht mehr kannst? Komm schon, du schaffst noch zehn Minuten. Und nochmal zehn. Versprich, dass du morgen früher losgehst. Keine Eile, behalt nur deinen Rhythmus bei. All diese Geister streiten in meinem Kopf herum, versuchen mich anzutreiben. Soll noch einer sagen, dass ich nicht allein 700 Kilometer gelaufen bin.
Immer wieder kam die Frage: Was hast du den ganzen Tag unterwegs getan? Außer gehen? Ich verstand den tieferen Sinn der Frage wohl. Es gab Momente, in denen ich viel über meine eigenen Fragen meditierte. Was tun, um besser auf sich selbst zu hören? Wieso kannst du nicht mehr auf dich selbst hören? Was brauchst du, um besser auf dich selbst zu hören? Aber es gab auch Tage, da lag ich einfach in der Sonne und dachte an nichts, und das war der höchste Gewinn. Die Leere im Kopf, das war mein Privileg. Ich überlegte, wieso ist die Stadt niemals der richtige Ort, an nichts zu denken? Und dann denke ich, warum bin ich eigentlich noch in der Stadt?
Ich hab noch keine Antwort, weil ich noch nicht weiß, wo ich anders sein sollte, aber es tut gut diese Fragen zu stellen. Und ich denke, der Tag an dem ich die Antworten finde, wird der Tag, an dem ich mich vor mir selber ängstige.
Ich erinnere mich an den letzten Tag auf der Strecke, im vorletzten Dorf blieb ich bei einer Bar stehen, um mich bei einem kalten Getränk auszuruhen, um das Ende noch rauszuzögern, um den Gesprächen der Dorfbewohner zu lauschen, eine Gewohnheit, der ich so oft wie möglich nachgehe. Zuhören, wie das Leben der Anderen verläuft, meilenweit von meinem entfernt, ich hoffe, das mein Leben lang tun zu können, als Reporter.
Im vorletzten Dorf war ich auf einfachen Wegen, auf Asphaltstraßen unterwegs. In Gedanken war ich schon am Ende der Route. Und wurde plötzlich aus dem Takt gerissen, meine Gelassenheit mit Füßen getreten, als mich der Weg wieder durch einen kleinen Dschungel führte, bis Micăsasa, dem Dorf, in dem meine Route endet. Das war nicht vorhergesehen, gänzlich unerwartet, und ich ärgerte mich über diesen weiteren Wald, der mir da ungeplant im Wege lag. Doch dann musste ich lachen über dieses psychologische Spiel. Jeder Tag war ein Test für mich, den ich bestehen musste. So kam ich zerzaust aus dem letzten Wald, passierte die letzte Brücke, die letzte Prüfung, dann war ich im Zug, dann in Bukarest.
Nach dem ersten Monat hatte ich nicht viel verstanden, es gab Aufregung beim Schreiben und Reden über meinen Weg, aber dann als sich die Ruhe darüber senkte, begann ich die Geister zu sehen, die jeweils aus meinem Kopf verschwanden.
Ich bemerkte ihre Abwesenheit bei allerlei Gesprächen, und es war gut. Ich konnte klar über meine Bedürfnisse sprechen, mich beklagen, wenn notwendig, dankbar sein, wenn es einen Grund gab, aber nicht gezwungen dankbar. Ich hatte mehr Mut, mich mit dem Kopf voran ins Leere zu stürzen, Risiken einzugehen, sei es in schwierigen Gesprächen mit Fremden oder mit sehr nahestehenden Menschen.
Ich führte viele Gespräche, die dem Entwurf 1 entsprachen, teils dank dieses Weges. Entwurf 1, also die erste Version eines Textes, wie man es im Journalismus nennt. Bis zur Veröffentlichung durchläuft eine Geschichte mehrere Bearbeitungen, Schliffe und Titeländerungen. Gut durchdacht und mit allem Nötigen versehen.
Also, ich denke, es hat mir gutgetan, selbst eine unbearbeitete Geschichte zu sein, ein Entwurf 1, Gedanken zu teilen ohne sie vorher endlos zu überdenken, denn für mich ist das heute Zeitverschwendung.
Ich habe keine Zeit mehr, mir Gedanken zu machen, jede Nachricht so zu verpacken, um höflich zu wirken, um niemanden zu verärgern. Ich glaube, ich bin ein bisschen eindringlicher geworden, so wie die Notwendigkeit diesen Weg zu gehen, so wie es sich jeden Tag anfühlte. Dringlich, roh, aber natürlich in meiner Einfachheit. Und so wird auch das Jahr 2022 sein, dringend zu leben, dringend zu verbrauchen.
Denkt bloß nicht, dass ich begonnen habe, jedem immer alles zu sagen, was mir gerade durch den Kopf geht. Ich bin ich selber, nur etwas ehrlicher und lauter und mit ein paar Gespenstern weniger.
Ich wünsche euch Begeisterung bei allen Abenteuern, und denkt daran, im Wald kann man seine Gespenster loswerden wie nirgendwo sonst.