Urlaub - und ein Knoten im Bauch


von Karin und Ronny Göpfert

gemalter Bauch mit einem Knoten drauf und einer Rumänienflagge
Ich schäme mich fast, aber ja, aller zwei Jahre haben wir vier!!! Wochen Urlaub!!
gemaltes Auto mit den Fahnen von Polen, der Ukraine und Rumänien
Unsere Anreise nach Rumänien wollten wir langsam gestalten und so reisten wir über Polen und die Ukraine nach Rumänien. Eine kleine Begebenheit während der Anreise muss ich euch erzählen:
Kurz vor der rumänischen Grenze hatten wir in der Ukraine eine fürchterliche "Stinkschleuder" vor uns. Irgendwann konnten wir ihn endlich überholen, aber plötzlich stand die Polizei da und stoppte uns. Was war passiert?
In Grenznähe stehen Schilder, die an bestimmten Stellen zum Abbremsen auffordern, um das Nummernschild auszulesen. Da wir die Schilder nicht lesen konnten und uns dazu gerade im Überholvorgang befanden, haben wir natürlich nicht abgebremst.
gemalter Polizist zeigt mit finsterer Mine auf ein Polizeigebäude
Mein Mann muss mit ins Polizeigebäude. Hier seine Schilderung: Der Polizist: „Ich werde jetzt ein Protokoll schreiben“. Aber er schreibt nichts, er malt nur Kringel auf ein weißes Blatt. Es entsteht eine Pause. Nun der Polizist: „Was ist Ihnen Ihre Weiterfahrt wert?“ Ronny: „50 Euro?“ Der Mann macht die Schublade auf und der Schein gleitet hinein. So sind nicht mal seine Fingerabdrücke dran. Sein Kollege ist die ganze Zeit mit im Raum. Nun bedanken sich alle Beteiligten gegenseitig und Ronny bekommt noch den freundlichen Hinweis, wo die nächste Kontrollstation ist. Ach ja, im Reiseführer steht, dass die Korruption spürbar nachgelassen hat!! Aber ehrlich gesagt, ich weiß auch nicht, was die konkrete Strafe für fehlendes Abbremsen gewesen wäre…, vielleicht sind wir ja so noch gut weggekommen?
gemalte Schublade mit einem 50 Euroschein drin
Der Grenzübertritt in die EU vollzieht sich mit scharfen Kontrollen. Hunde jagen durchs Auto, der Tabak wir abgewogen, alles wird umgestülpt und dann geht es über eine kleine klapprige Brücke endlich nach Rumänien. Auch hier funktioniert der kleine Grenzverkehr, Leute kaufen hüben wie drüben ein und es werden Kauflandtüten von Rumänien in die Ukraine geschleift.
Nun sind wir in Sighetu Marmației in der Maramureș. Nach mehreren Tagen, die wir in der Natur genächtigt haben, suchen wir uns erst einmal eine schöne Pension.
gemalte Gedenkstätte
Am nächsten Morgen begeben wir uns zum “Mahnmal des Schmerzes“. So wird die Gedenkstätte der Opfer des Kommunismus und des Widerstands genannt. Es soll vor allen Tendenzen einer Diktatur warnen und ist im ehemaligen Gefängnis in der Strada Corneliu Coposu 4 untergebracht.
Häuserfront des Museums
Hier sollte man wirklich viel Zeit mitbringen, liebe Adventskalenderleser. Dies ist kein Museum, wo man den interessierten Kopf mal hier- und dorthin neigt. Packt euch am besten auch etwas zum Trinken ein, denn beim Eintauchen in die Komplexität dieses Themas muss man oft schlucken und bekommt schnell einen trockenen Mund.
Tafel mit tausenden Namen an der Innenwand des Gefängnisses
Auf einer ausgeprägten Sachebene wird der Gast durch eine Zeit geführt, die für Jüngere abstrakt, für Andere so erlebt oder für Weitere nur eine Randerscheinung in einem guten System war. Es wird auch nicht gewertet, das muss jeder Besucher für sich selber machen.
langer Flur des Museums voll mit Bildern von Menschen
Im Gefängnis wurden von 1950 - 1955 die politischen Gegner des kommunistischen Regimes eingekerkert, meist ohne Gerichtsbeschluss. Das waren Bischöfe, Priester, Akademiker, Wissenschaftler, Historiker, Journalisten sowie ehemalige Minister und Militärs. Von den 200 Gefangenen starben 53! Das ist eine immense Todesrate.
gemalte rote  Fahnen und roter Stern mit Blutstropfen und auf dem Boden liegenden Menschen
1955 wurde Rumänien in die Vereinten Nationen aufgenommen und es folgte eine Amnestie. Nun wurde daraus ein „normales“ Gefängnis. Um politische Gegner weiterhin inhaftieren zu können, wurden nun einfach die Anklagepunkte angepasst und sie wegen "Raub" und "Homosexualität" verurteilt. Dies traf viele Lehrer und Intellektuelle. Häufig wurden die Gefangenen anschließend in die geschlossene Psychiatrie der Stadt verbracht. 1977 wurde das Gefängnis geschlossen.
gemaltes tor mit einem Schlüssel
Eine Bürgerinitiative begann 1992 das Gefängnis in eine Gedenkstätte umzuwandeln. Bis zum Jahre 2000 wurde das Gebäude saniert. Inzwischen hat der Europarat sie als eine der wichtigsten Gedenkstätten neben Auschwitz und der Gedenkstätte des Friedens in der Normandie in Europa anerkannt.
Gefängnisflur mit zwei Gängen in den oberen Etagen
Es gibt drei Stockwerke mit über 50 Gefängniszellen
gemalte Gefängniszelle
Am Eingang bekommt man einen sehr ausführlichen Katalog in die Hand gedrückt. Vor den Zellentüren befinden sich Kästen mit sehr gut und verständlich geschrieben Informationszetteln auch in deutscher Sprache.
gemalte Zellentür mit einer  Infotafel daneben
Informiert wird über die Repressionen gegenüber verschiedenen Bevölkerungsgruppen und Deportationen in das Foltergefängnis von Piteşti. Aber auch Einzelschicksale werden dargestellt. So kamen zum Beispiel der ehemalige Ministerpräsident Iuliu Mariu und der Historiker Gheorghe Brătianu hier zu Tode. Ihre Zellen sind im Originalzustand zu sehen.
geöffnete Zellentür mit Wand voller Bilder dahinter
einfaches Metallbett in einer leeren Gefängniszelle
In den einzelnen Zellen werden jeweils verschiedene Themen behandelt. Beim Thema Zwangsarbeit wird unter anderen über die bekannteste Baustelle, dem Donau-Schwarzmeer- Kanal, informiert. 1949 begann der Bau und wurde aber schon 1953 abgebrochen. 40000 Häftlinge wurden zum Bauen herangezogen, unterstützt von 20000 „freiwilligen Helfern“. Nach dem Abbruch erfolgten Schauprozesse gegen viele Ingenieure wegen Sabotage.
gemalte Menschen bauen an einem Fluss
Der Raum Nr. 18 befasst sich mit der Zwangskollektivierung und dem Widerstand dagegen bis zur deren Niederschlagung. In der Mitte des Raumes befindet sich ein immergrünes Beet. Es soll ein Symbol für den freien lebendigen Boden sein, aber auch Grab darstellen für diejenigen, welche sich für ihn geopfert haben.
Ausstellungstafeln an einer Wand
Auch wird die Geschichte der Securitate dargestellt. Diese hatte besonders in den 80er Jahren ein systematisches Indoktrinations- und Manipulationsprogramm der Massen begonnen, durch das Streuen von Gerüchten, Intrigen und Inszenierungen, Denunziation, Provokation, Konfliktschürung zwischen verschiedenen Bevölkerungsschichten, Verstärkung der Zensur oder Niederschlagung der kleinsten Gesten der Unabhängigkeit bei Intellektuellen.
Schild in einer Ausstellung
Jedes einzelne Thema für sich ist schon schwer zu ertragen. Bei dieser Fülle an Informationen und Zusammenhängen musste ich mich erst mal sammeln.
Kette mit Schloss auf Fußboden
Zelle mit Kette
runder Gedenktisch mit brennenden Kerzen und einer Nelke
Hier gibt es ein Meditationszentrum zum Innehalten und um seine Gedanken zu sortieren.
gemaltes Gehirn mit zwei Kerzen daneben
Und weiter geht’s. Wie war der Alltag in Rumänien? Auch hier gibt es viele interessante Informationen.
Infotafel mit Fotos
Die Gedenkstätte befasst sich auch mit dem Kommunismus und dem Widerstand dagegen im gesamten Ostblock, zum Beispiel Solidarnosc in Polen, dem Prager Frühling sowie die Revolutionen in Ungarn und der DDR.
Mahnmal mit nackten Bronzefiguren im Hof
Die gesamte Ausstellung kann auditiv erlebt werden. Es gibt Hörproben des Hurra-Patriotismus und Jubelaufmärsche.
Personenkult um Ceaușescu
gemaltes Bild von Ceausescu
Skulptuer von Ceausecu und seiner Frau
gemaltes Bild von Ceausecu vor Fahnen stehend
Im Innenhof befindet sich eine plastische Gruppe Gefangener, welche sich auf die Gefängnismauer zubewegen.
Bronzefiguren mit teilweise erhobenen Armen vor einer Wand im hof stehend
Nach 3,5 Stunden Aufenthalt stolperten wir heraus, unfähig noch mehr Informationen aufzunehmen. Es ist eine Fülle an Informationen, die sich anstauen und verarbeitet werden wollen, aber nicht können. Ich sah in dem Museum einen Film in der Endlosschleife aus dem Sachsenring-Werk. Ich habe jemanden erkannt, mein Gott, das ist doch genau dreißig Jahre her!
gemalter filmstreifen mit Menschen drin
Das Stimmengeschwirr in der Gedenkstätte war international. Es ist eine beachtlich Leistung, dass diese Gedenkstätte versucht nicht nur die Opfer des Kommunismus und des antikommunistischen Widerstands in Rumänien, sondern im ganzen Ostblock aufzuarbeiten und darzustellen.
gemalte Schild wo Respekt drauf steht
Wenn ihr in der Mramureș seid, kann ich euch einen Besuch in dieser Gedenkstätte wärmstens empfehlen!
Natürlich ging unsere vierwöchige Reise noch sehr abenteuerlich weiter. Aber das ist wieder eine andere Geschichte.
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