Weinlese


von Katharina Emeneth

gemalte Körbe mit Weintrauben
gemaltes Bild einer Weinflasche neben zwei gefüllten Weingläsern umringt von Weintrauebn, Paprika und Wurst
Meine Erinnerungen an die Weingärten hinter dem Friedhof von Neusanktanna, meinem Heimatort nördlich der Kreisstadt Arad im Westen von Rumänien, sind ziemlich blass. In bester Erinnerung sind dagegen die mit süßen Weintrauben gefüllten Körbe und Taschen meiner Großmutter, wenn ich sie abgeholt habe von Remorka (Anhänger) aus Vilagisch (eine Nachbargemeinde). Ein oder zwei Mal war auch ich bei der Weinlese auf den dortigen Weinbergen dabei. Die Übernachtung in einer Kolna (Weinberghütte) war für mich eine Art Ausflug oder Urlaub in eine unbekannte Gegend. Meine damalige kleine Welt war ausschließlich auf den Ort und die Felder um Sanktanna beschränkt. Die heimgetragenen Weintrauben wurden auf dem Dachboden auf blaues Packpapier ausgelegt und gehütet als kostbare Beilage, zu Speck und Brot. Die allerschönsten Trauben wurden an ihren Stielen aufgefädelt und aufgehängt wie Würste auf einer Stange, damit sie möglichst lange erhalten bleiben.
gemalte Weintrauben auf einer Stange hängend
Mann und Frau stehen vor Körben voll mit Weintrauben
gemalte Weinberghütte
Zum Weinmachen haben meine Eltern einige Strohkörbe voll Muskateller aus dem Wochenmarkt gekauft. Die meisten Bewohner Sanktannas hatten ihre eigenen Weintrauben aus ihren Gärten. Oder in den Innenhöfen wuchsen die Weinreben auf Spalieren. Daraus entstanden oft wunderschöne Lauben deren Schatten zum Verweilen eingeladen hat. Jedes Haus hatte verschiedene Traubensorten und demzufolge schmeckte der Wein in jedem Haus verschieden. Somit konnte man Vergleiche anstellen. Es gab Geschmacksrichtungen von lieblich bis herb, jedoch waren sich alle einig, es gibt nur guten und besseren Wein in Sanktanna.
gemaltes Bild von einem Mann, welcher in einem Holzfass steht und auf einen Korb voller Weintrauben wartet, welcher ihm von einem Mädchen und einer Frau gereicht wird
gemalte Körbe auf Leitern stehend
Ohne Wein waren wir nie in meinem Elternhaus, da es nach jeder Fleischmahlzeit ein kleines Gläschen aus dem Keller für uns alle gab, auch für die Großmutter und Mutti und ein halbes Glas für uns Kinder. In fast jedem Haus gab es mindestens ein Weinfass mit selbstgemachtem Wein. Diese Fässer waren unterschiedlich groß. Ihr Fassungsvermögen ging von 50 bis 300 Liter. Die Vorbereitung dieser Fässer war mit viel Arbeit verbunden. Sie wurden mit viel Kraft durch hin und herschaukeln mit frischem Wasser gereinigt. Diesen Vorgang hat man so oft wiederholt, bis das Spülwasser klar und sauber war. Danach lag es einige Tage zum Trocknen auf einer liegenden Leiter in der Sonne. Und das saubere Fass wurde geschwefelt. Dabei wurde ein brennender Schwefelstab in das Fass eingeführt. Das diente zur Haltbarmachung des Weins und war eine Konservierungsmethode.
gemaltes Bild einer Karaffe mit drei Gläsern
gemalte Füße zerstampfen Weintrauben
Beim Weinmachen waren wir auch stets dabei, wenn unser Vater im Tertziwäle (Tretzuber) die schönen Trauben mit seinen Gummistiefeln zerstampft hat.
Männer tragen eine Weinpresse über den Hof Mann steht in einer Weinpresse während eine Frau und ein Mädchen einen Weinkorb tragen
Darunter stand ein Eimer, in den der frische Traubensaft über ein Röhrchen floss. Der Rückstand aus Trebern wurde durch eine rechteckige Öffnung mit Schieber in einen bereitstehenden Waschtrog geschoben. Später wurden auch die letzten Tropfen Saft aus ihnen durch die Weinpresse gepresst. Daraus hat man nach der Gärung den Treberschnaps gebrannt. Einige Literflaschen oder große Glaskrüge wurden mit süßem Wein gefüllt, damit hat die Großmutter im Winter Weinsuppe mit Brot gemacht.
gemalter Teller mit  Weinsuppe
gemaltes Bild eines Mannes, welcher stampfend in einerm Fass steht und daneben tragen eine Frau und ein Mädchen einen Korbvoller Weintrauben
Obwohl meine Großmutter sich dies öfter gegönnt hat, wurde nie eine lustige Witwe aus ihr. Unser Weinfass im Keller mit 150 Liter Wein wurde jeden Herbst gefüllt. Nach 5 bis 6 Wochen Gärszeit hat der Vater eine Probe mit dem Weuhewär (Weinheber) genommen. Das waren Flaschenkürbisse mit sehr langem Hals und Bauch an einem Ende. Dessen Brüder und Schwestern wuchsen nach Aussage meiner Mutter auf Bäumen. Mein Vater kannte sie als Kletterpflanzen und für mich waren es eindeutig Kellergewächse, die für Kinder tabu waren.
gemalter Baum mit Flaschenkürbissen
Flaschenkürbiss
Ich habe die ledrig hohle Form von damals nicht vergessen. Wir Kinder durften nur mit der Pipa (Wein-Hahn am Fass) den neuen Wein in die Weinflasche laufen lassen. Es gab auch eine Zeit, wo man mit einem kurzen Gummischlauch den Wein aus dem Fass gezogen hat. Das eine Schlauchende senkte man in das Fass und durch das andere Ende saugte der Weinholer mit dem Mund den Wein an. Damit musste man sehr geschickt sein und nur so viel Wein laufen lassen wie in die Flasche gepasst hat.
gemalter neben einem Weinfass und einer Weinflasche zieht mit einem Schlauch Wein aus dem Fass
Am Sonntagnachmittag, oder an Feiertagen wurde den Gästen vom eigenen Wein in ganz kleinen Weingläsern angeboten. Natürlich musste bei Hochzeiten oder Taufe genug Wein da sein, das gehörte einfach dazu. Auch bei Namenstagen, Neujahr oder Verwandtschaftstreffen wurde mit dem Wein angestoßen. Mit dem Spruch „Helf Gott und Seng´s Gott“! An Silvester haben die Männer bei Kartenspiel und Rauchen mit dem eigenen Wein das alte Jahr „versoffen“. Beim Tierhandel wurde der Kauf per Handschlag und Aldamasch (Umtrunk) besiegelt.
gemaltes Bild einer Weinflasche mit einer Karaffe neben Weintrauben und Weingläsern
Auch nach mehr als 30 Jahren seit der Auswanderung der Deutschen aus Sanktanna findet man heute noch in deren ehemaligen Gärten und Höfe dieselben Weinstöcke. Auch in der neuen Heimat wachsen bei einigen Landsleuten wieder die alten, mitgebrachten Rebsorten von Daheim. So wird eine schöne Tradition fortgesetzt.
gemalter Weinstock
Katharina Emeneth Ingolstadt 2.11.2021.
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