Es ist schon lange her, als wir 2004 – also vor 21 Jahren – die Westkarpaten in Rumänien erkunden wollten. Beinahe wäre die Reise schon etwas in Vergessenheit geraten, wenn wir nicht die Dias und das Tagebuch von damals noch einmal hergesucht hätten. Diese Bilder aus Siebenbürgen und dem Banat muten uns heute fast urtümlich an. Würden wir es heute noch so wiederfinden? Unser Enkel Michele (10 Jahre) war wieder dabei. Er hatte sich schon 2002 im Maramureș-Gebirge und Vaser-Tal (Türchen 1 und 8 im Rumänienadventskalender 2019) als idealer Reisebegleiter bewährt. So freuten wir uns aufs abenteuerliche Erforschen von Höhlen und Schluchten, von denen es in den Karstlandschaften der Westkarpaten sehr viele gibt. Auch mit interessanten Vogelbeobachtungen war zu rechnen.
Am 11.7. brechen wir mit unserem Subaru Libero, in dem wir zu dritt auch schlafen können, auf…
…und kommen am 12.7. bis in die Puszta nach Nagyiván, wo in diesem Jahr 22 Storchennester besetzt sind.
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Am nächsten Tag überqueren wir bei Oradea die ungarische Grenze und erreichen am Abend hinter Beius den Ort Chișcău nahe der berühmten Bärenhöhle Peștera Urșilor im Galbena-Tal (Valea Galbenei).
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Am 14.7. besuchen wir die berühmte Höhle mit einer Vielzahl herrlicher Tropfsteingebilde auf mehreren Etagen. In der Galerie der Knochen befindet sich das 15.000 Jahre alte, noch vollständig erhaltene versteinerte Skelett eines Höhlenbären, das wir damals nicht fotografieren durften. Deshalb hier nur ein Foto aus Wikipedia.
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Das Apuseni-Gebirge
Das Galbena-Tal befindet sich im 1990 gegründeten Naturpark Parcu Natural Apuseni. Bizarre Kalksteinfelsen, Karstlöcher, tiefe Schluchten, Höhlen und prachtvolle Laubwälder, in denen noch Bären, Luchse und Wildkatzen leben, machen das Gebiet attraktiv für Bergwanderer. 2009 erhielt der Naturpark von der Europäischen Kommission in Brüssel einen Preis für herausragende europäische Reiseziele mit geschützten Zonen. Die Gipfel erreichen Höhen bis 1.800 Meter.
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An der Galbena entfaltet die große Pestwurz riesige Blätter.
In der Galbena-Schlucht (Cheile Galbenei) gibt es einen kaum erkennbaren Pfad, der uns hinauf führt bis zur Quelle, die sich aus einer Felshöhle über einen Wasserfall in die Schlucht ergießt. Die steilsten Passagen sind durch an den Felswänden befestigten Eisenseilen gesichert.
Ausgangspunkt für die nächste lange Wanderung am 16.7. ist die Poiana Florilor.
Es ist weit bis zu dem 300 Meter tiefen bewaldeten Karstloch der Cetăţile Ponorului…
…und danach über den Canton Glăvoi zur Eishöhle Ghetorul Focu Viu mit einem Gletscher und mehreren Tropfsteingebilden.
Am 17.7. geht es weiter über Ștei, Câmpani und den Vârtop-Pass nach Gârda des Sus und Gârda Seacâ – Ausgangspunkt für herrliche Bergwanderungen.
Aufstieg am 18.7. zur großen Eishöhle Peștera Ghetarul de la Scărișoara durch eine wunderschöne Karstlandschaft. Besonders beeindruckend ist der große Schlund, durch den man auf Eisenleitern hinuntersteigen muss in die großen Säle Biserica und Sala Mare mit meterdicken Eissäulen und einem riesigen 3.500 Jahre alten Gletscherblock mit einem Volumen von 75.000 Kubikmetern.
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Aus einem Reiseführer erfahren wir, dass jährlich am dritten Sonntag im Juli auf dem Berg Găina bei Câmpeni ein großes Fest, der sogenannte Mädchenmarkt stattfindet, das größte Volksfest der Motzen, einem Bergvolk am Oberlauf des Flusses Arieș. Da wird gesungen, getanzt, fröhlich gefeiert und Theater gespielt. Wir hatten uns sehr darauf gefreut, aber das Fest fand nicht, wie dort angegeben, am Sonntag, sondern schon am Samstag statt. So kamen wir zu spät und konnten nur noch zusehen, wie die vielen Menschen zu Fuß, auf Pferden und Heuwagen wieder vom Berg herunter strömten. Eine furchtbare Enttäuschung. Der ganze Tag war uns verdorben.
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Da trösten wir uns am Abend auf einer Karstwiese bei Roșia Montană mit einer Feldgrille, die sich mit Weißbrotkrümeln füttern lässt.
Hier, wo schon vor 2.000 Jahren von den Römern Gold abgebaut wurde, liegen noch immer viele Tonnen Gold und Silber unter der Erde. Der umweltfeindliche Abbau im Tagebau einer kanadischen Firma konnte jedoch gestoppt werden. Seit 2021 ist die Bergbaulandschaft UNESCO-Weltnaturerbe (Aufnahme aus Wikipedia).
Wir entdecken den Schneckenberg (Dealul cu Melci) in Vidra, im Tal des Kleinen Arieș. Am Ende der Ortschaft besteht eine ganze Felswand aus versteinerten Schnecken und Muscheln, die vor etwa 75 Millionen Jahren hier im Meer gelebt haben.
Idyllischer Lagerplatz bei Valea Lupșii.
Wir erreichen Poșaga de Sus in einem Seitental des Arieș unterhalb des eindrucksvollen Kalksteinmassivs Scărisoara-Belioara – ein Höhepunkt unserer Reise.
In Posaga des Sus stehen noch einige der alten Motzenhäuser mit den typischen steilen Strohdächern. Am Abend und in der Nacht rufen hier Waldkauz, Steinkauz und Zwergohreule zugleich.
Das Scărisoara-Belioara-Massiv – ein geobotanisches Schutzgebiet mit seltenen Pflanzen- und Tierarten.
Beim Aufstieg am 21.7. zum Șesul Craiului (1.353 m) und zur Scariţa-Spitze (1.382 m) beobachten wir seltene Vogelarten wie Steinadler, Haselhuhn, Felsenschwalben und Zippammern mit flüggen Jungen. Das Kammgebiet am Șesul Craiului ist berühmt für seinen bunten Pflanzenteppich mit seltenen Endemiten, Eiszeitrelikten und Steppenpflanzen. Erika Schneider hat in „Komm mit 1976“ (S. 234-242) dieses botanische Paradies ausführlich beschrieben.
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Wir fahren weiter über Aiud und Teiuș ins Trascău-Gebirge, das mit seinen eindrucksvollen Klammen und Schluchten, z. B. Râmeţ-Klamm und Turda-Schlucht, ebenfalls zum Parcu Natural Apuseni gehört. Im bis zu rund 1.370 Meter hohen Bergland lebt das Bergvolk der Motzen, vermutlich direkte Nachfahren der dakischen Urbevölkerung.
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Das schöne Râmeţ-Kloster unweit der Râmeţ-Klamm soll schon im 15. Jahrhundert gegründet worden sein, es beherbergt heute ein historisches Museum.
Auch hier gibt es noch einige der märchenhaften Motzenhäuser.
Der Fluss führt an gewaltigen Kalksteinfelsen vorbei zur Râmeţ-Schlucht.
Im Sommer führt der durch die drei Kilometer lange Schlucht plätschernde Fluss kein Hochwasser, weshalb wir am 23.7. zuversichtlich die Schlucht erkunden wollen.
Zunächst geht es trockenen Fußes über Geröll und große Steinklötzer, später von Stahlseilen gesichert an der Felswand kletternd.
Dann aber ändert sich plötzlich die Situation. Wir werden von einem Gewitter überrascht. Es gießt in Strömen. Schnell steigt der Wasserspiegel im Fluss, das Wasser färbt sich lehmig und die Wassertiefe ist nicht mehr erkennbar. Oft steht uns das Wasser bis übers Knie. Durchnässt und unterkühlt gelangen wir wieder zum Ausgang.
Nun geht es wieder zurück über Aiud nach Râmeţ und von dort aus in Serpentinen hinauf ins Motzenland. Hier endlich genießen wir die ersehnte Ruhe bei 900 Meter inmitten einer fast unberührten Karstlandschaft.
Die Wiesen wimmeln dank der Blütenfülle an Insekten. Wolf-Dieter Busching hat in „Komm mit 1987“ (S. 93-98) dieses Falterparadies ausführlich beschrieben.
Hier ein Moschusbock.
Es gibt auch viele Vögel hier wie diesen seltenen Schwarzstirnwürger. Unter dem Dach eines Funkturms kleben 270 besetzte Mehlschwalbennester, weil die Luft vor Insekten summt. Bienenfresser schwirren über die Wiesen. Am Abend ruft ein Steinkauz in der Nähe seiner Bruthöhle in einer Kopfweide.
Schwarzstirnwürger
Auch der nächste Tag macht uns glücklich in diesem fast menschenleeren Hochland des Trascău-Gebirges. Die weitläufigen Karstwiesen zwischen Râmeţ und Brădești wechseln ab mit kleinen Roggenfeldern, Waldinseln, Felsgebilden mit Höhlen und weit verstreuten Einzelhöfen.
Ein orthodoxes Grabkreuz.
Nur wenige der typischen Motzenhäuser sind noch bewohnt.
Die meisten dienen heute als Wirtschaftsgebäude, vor allem als Ställe und Scheunen.
Über der Höhle Peștera Dilbina fliegen Felsenschwalben mit ausgeflogenen Jungen. Leider gelingt es uns nicht, die Höhle zu besichtigen, weil eine Felswand vor dem riesigen Eingangstor für uns nicht ohne Risiko zu überwinden ist. In dieser Höhle verschwindet das Wasser der Täler Poieni, Ponorului und Seaca in einem Ponor und soll bei der Peștera Huda lui Papară wieder zum Vorschein kommen.
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Den Abschluss unserer Reise bildet die vielbesuchte Turda-Schlucht (Cheile Turzii) im Nordosten des Apuseni-Gebirges. Schon von weitem ist die große Spalte im Gebirge zu erkennen. Trotz gewaltiger Touristenströme macht es Spaß, durch die fast drei Kilometer lange Schlucht zu wandern. Sie ist nicht nur wegen ihrer landschaftlichen Schönheit, sondern auch wegen einer Vielzahl seltener Pflanzenarten unter Schutz gestellt.
Der Pfad schlängelt sich zwischen 300 Meter aufragenden Felswänden durch die enge Schlucht. Leider sind viele der zahlreichen Höhlen arg verschmutzt; heute vielleicht nicht mehr. Auf dem überfüllten Zeltplatz vor der Schlucht kratzen wir dann stundenlang den lehmigen, fest gebackenen Schlamm aus den Radkästen, wobei sich Michele wieder als konstruktiver Helfer erweist.
Auf der Heimfahrt noch einmal Rast auf einem Grashügel mit weiter Sicht nördlich von Bucea. Am 31.7. um 16.25 Uhr – nach 3.552 gefahrenen Kilometern – sind wir wieder zu Hause – mit vielen für immer bleibenden bunten Bildern im Kopf und auf den Dias.